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Italien und seine "Ultra"-FußballfansCineastische Prügelorgie

Nicht immer feiern Italiens Fans so fröhlich. Ein Fanausweis soll helfen, die Gewalt der "Ultras" im Stadion zu verhindern. Diese hat es jetzt ins Kino geschafft.

So soll es sein: Fröhliche Interaktion zwischen Fans und Stars in Mailand am Wochenende. Bild: reuters

PALERMO taz | Italiens Fußballfans gehen in ein heißes Wochenende. Und das, obwohl die Serie A aussetzt. In Rom werden sich am Samstag die Fanvertreter der Clubs aus den südlichen Regionen treffen, um Aktionen gegen den Fanpass zu organisieren. Dieser von Innenminister Maroni propagierte Ausweis soll im Winter flächendeckend eingeführt werden. Nur wer solch einen Pass hat, kann danach für Auswärtsspiele seiner Mannschaft Tickets erwerben. Maroni glaubt, dass so die Gewalt in und um die Stadien eingedämmt werden kann. Die Fans fühlen sich gegängelt. Sie befürchten vor allem zusätzliche Kosten.

"Im letzten Jahr hat Milan den Pass für alle, die wollten, umsonst gegeben. Jetzt verlangen sie eine Gebühr. Und bei jedem Ticket, das du kaufst, wird eine neue Gebühr fällig", schimpft Giancarlo Cappelli. Der grauhaarige Herr in den 60ern ist seit 40 Jahren Milan-Fan und ist damit der Alterspräsident der Rossoneri. Auch Stefano Calvagna findet den Pass lächerlich. "Gewalt ist ein Phänomen unserer gesamten Gesellschaft, nicht nur des Fußballs. Mit so einem Pass wird man ihr nicht Herr", ist er sicher. Auch Calvagna ist vom Fach. Er hat die landesweit bekannten Irriducibili des hauptstädtischen Clubs Lazio mitbegründet.

Das Stadion war für 15 Jahre seine Heimat. Als Erinnerungsstücke sind ihm Tätowierungen der meist martialischen Machart überall auf dem Körper verblieben. Doch jetzt will er, "ein Ultra der ersten Generation", wie er sagt, die gegenwärtig aktiven Horden über die Folgen ihres Tuns aufklären. Dazu hat er den Film "LUltimo Ultras" gedreht, der heute anläuft. Calvagna ist nicht irgendwer. Er gilt als "der italienische Tarantino". Sein Handwerk hat er als Regieassistent bei "Beverley Hills 90210" gelernt. Fürs italienische Fernsehen hat er Thriller gedreht, auch eine Dokumentation über Kinderpornografie in Thailand. Calvagna geht mit der Kamera dahin, wo es wehtut.

Um seine Ultra-Nachfolger abzuschrecken, greift Calvagna tief in den dramatischen Setzbaukasten. Er spielt selbst den Protagonisten, der bei einer Randale einen anderen Fan getötet hat und seitdem vor der Polizei flüchtet. Die großen Stadien sind ihm verwehrt, die alten Kontakte unsicher. Das Leben ist einsam. Giovanni ist abgestiegen. Er zieht jetzt durch die Provinz und bringt Fans unterklassiger Mannschaften das "richtige Verhalten" bei.

Als er doch noch sein Liebesglück findet, muss er feststellen, dass es ausgerechnet die Mutter des von ihm getöteten Fans ist. Kitsch, mag man denken, aber diese Art "Kitsch ist auch in der Antike zu Hause. Ödipus tötet seinen Vater, Kreon opfert Sohn und Tochter." Die ganze existentielle Wucht der Tragödie trifft diesen Mann, der beim Prügeln übertrieben hat.

Leider geht Calvagnas Konzept nicht ganz auf. Zu sehr hat sich der Filmemacher noch jene Faszination an der Gewalt bewahrt, die den Fan einmal durchtost haben mag. Mit Hunderten von Fans hat er am Gardasee Prügelorgien vor der Kamera inszeniert, die beeindruckend realistisch sind. "LUltimo Ultras" mag auf die abschreckend wirken, die Gewalt ohnehin ablehnend gegenüberstehen.

Die direkten Adressaten aber werden fachmännisch die Prügelszenen beurteilen. Manch neues Element wird seine Anwendung finden. Ab Donnerstag kommt der Film mit 35 Kopien in die Kinos. Vorerst nur in Italien. Aber auch in deutschen Fanforen erwartet man sehnsüchtig diesen Film.

Immerhin bricht Calvagnas Hooligan-Opus mit den üblichen Klischees. Sein Personal besteht nicht nur aus tumben Prüglern, sondern aus durchaus sympathischen Mitbürgern. Die Frage, woher die Lust an der Gewalt kommt, kann er allerdings auch nicht klären. Calvagna präsentiert lediglich die Folgen.

Und so kann man an diesem Wochenende in Rom trefflich über die zukünftige Bonuskarte für Fußballfans witzeln, sich im Kino die richtige Muskelspannung holen oder aber weiter hilflos erschreckt sein über die Urgewalt, die sich Wochenende für Wochenende Bahn bricht und der mit erschreckend unzureichenden Mitteln begegnet wird.

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