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Italien: Immunität für Abgeordnete soll fallen

Rom (taz) — Noch hat Italien, zehn Wochen nach den vorgezogenen Neuwahlen, keine Regierung, sind die Parlamentskommissionen nicht besetzt, stehen die beiden größten Parteien — Christdemokraten (DC) und Demokratische Partei der Linken (PDS) — ohne komplette Führungsmannschaft da. Doch schon liegen auf den Tischen der neuen Volksvertreter zwei Initiativen, die Regierung wie Opposition gleicherweise noch viel Kopfzerbrechen machen werden: Die Neofaschisten des „Movimento sociale italiano/Destra nazionale“ (MSI/DN) haben ihre alte Lieblingsidee von der Wiedereinführung der Todesstrafe neu aufgelegt; die Abgeordneten der Bürgerliste „la Rete“ des ehemaligen palermitanischen Bürgermeisters Leoluca Orlando fordern die Beseitigung jeglicher parlamentarischer Immunität für Abgeordnete.

Beide Gruppen lehnen den der anderen kategorisch ab, gehen aber grundsätzlich in ihrer Motivation von derselben Erscheinung aus — der Durchdringung der italienischen Politik und Administration mit Korrupteuren und Mafia-Zuarbeitern. Der Mord am Antimafia-Staatsanwalt Giovanni Falcone, seiner Frau und seiner Eskorte mit einer Tausendkilobombe hat dokumentiert, wie ungeniert sich der kriminelle Untergrund auch terroristischer Anschläge zur Beseitigung ihrer Feinde bedient.

Gegen das von den bürgerlichen Parteien eilig gegen die MSI-Forderung vorgebrachte Argument, dafür bekomme man keine parlamentartische Mehrheit, haben sich die MSI- Streiter mittlerweile einen Ausweg einfallen lassen: man solle in den von der Mafia nahezu flächendeckend kontrollierten Gebieten Unteritaliens und Siziliens das Kriegsrecht verhängen — darin ist die Todesstrafe für Aufrührer vorgesehen. Mafiabosse könnten damit faktisch sofort standrechtlich erschossen werden. Strittig ist allerdings, ob nicht auch für die Verhängung des Kriegsrechts in Friedenszeiten eine qualifizierte Mehrheit notwendig ist.

Schwerer tun sich die Abgeordneten bei der Forderung der „Rete“ zur Beseitigung des Immunitäts-Status der Volksvertreter. Hierfür zeichnet sich nach langen Jahren eines stabilen Nein mittlerweile ein großer Meinungsumschwung ab. Auslöser dafür sind die immer zahlreicheren Verwicklungen von Deputierten und Senatoren in kriminelle Geschäfte, von der Bestechlichkeit über die Bildung mafioser Vereinigungen bis zu terroristischen Anschlägen. Innerhalb von nur drei Wochen sind alleine im Zuge des Mailänder Bestechungsskandals fast ein Dutzend staatsanwaltschaftliche Anträge auf Aufhebung der Immunität von Abgeordneten und sogar amtierenden Ministern gekommen.

Die Aussicht auf Erfolg dieser Anträge ist gering: in den Freigabe- Kommissionen sitzen die Vertreter eben jener Parteien, die die Bestechungsgelder kassiert haben. Statistiker haben errechnet, daß zum Beispiel in der letzten Legislaturperiode von fast 400 Anträgen nur 36 stattgegeben wurde — darunter acht gegen das Pornomodell Cicciolina wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Ein Abgeordneter der Neofaschisten — eben jener, die vehement für Todesstrafe, aber gegen Abschaffung der Immunität sind — ist sogar von „lebenslänglich“ wegen eines Bombenanschlags auf einen Zug bedroht.

Sollte sich das in Italien demnächst doch ändern, lassen die Neofaschisten ihren Mann einfach ins Europaparlament wählen. Dort wird die Immunität fast nie aufgehoben: der im März ermordete Mafia-Oberkungler Salvo Lima amtierte dort zehn Jahre unbehelligt, obwohl seine Akten Hunderte von Seiten in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und parlamentarischen Kommissionsberichten füllten. Werner Raith

Kommentar Seite 12

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