: Ist es die reine Geldgier oder hehres künstlerisches Interesse? Weil jetzt das Bild von der Kunst die Kunst sein soll, wollen Christo und Jeanne Claude jede Bildveröffentlichung des verpackten Reichstages einzeln genehmigen - und abkassiere
Ist es die reine Geldgier oder hehres künstlerisches Interesse? Weil jetzt das Bild von der Kunst die Kunst sein soll, wollen Christo und Jeanne Claude jede Bildveröffentlichung des verpackten Reichstages einzeln genehmigen – und abkassieren
Christo läßt die Fotografen einpacken
Für drei Wochen feierten Berlin und fünf Millionen BesucherInnen vor dem „Wrapped Reichstag“ ein einziges rauschendes Fest – der Kater folgt nun mit ein paar Monaten Verspätung. So manchem dämmert jetzt, daß das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude vielleicht doch nicht die gutmütigen, leicht spinnerten Märchengestalten sind, für die man sie im Überschwang der Gefühle gehalten hatte. Denn handfester Streit über einen handfesten Eingriff in die Pressefreiheit ist angesagt: Christo und Jeanne Claude wollen jede Bildveröffentlichung des verhüllten Reichstages einzeln genehmigen – und Lizenzgebühren kassieren.
So flatterte bereits Anfang Dezember in die Redaktionsstuben gar eine Warnung der Deutschen Presseagentur, daß Veröffentlichungen von dpa-Fotos des verhüllten Reichstags mit Vorsicht zu genießen und zur „Vermeidung negativer Folgen“ vorher die Rechtsfragen mit den Inhabern der Rechte geklärt werden müßten: „dpa kann dafür nicht in Anspruch genommen werden.“ Für eine Presseagentur ein höchst ungewöhnlicher Vorgang.
Hintergrund der Mahnung: Christo und Jeanne-Claude haben die Rechte an Fotos vom verhüllten Reichstag exklusiv dem Düsseldorfer Fotografen Wolfgang Volz übertragen. Klartext: Zeitungen, die Bilder vom Reichstag bringen wollten, müssen nun auf die Volz-Fotos zurückzugreifen. Keine angenehme Prozedur: Nach Artikel 59 des Urheberrechtsgesetzes ist dazu eine Genehmigung nötig sowie – außer dem regulären und üblichen Fotohonorar – die Zahlung einer Lizenzgebühr.
Während die Medien das Projekt im Sommer noch umjubelten, tritt an die Stelle der „großen, stillen, sehr tiefen und ganz leichten Heiterkeit“ (Nürnberger Nachrichten) nun Unmut. Lugt aus dem „Apfel im Schlafrock“, wie die „Zeit“ ähnlich unbewegt wie der Kanzler das Ereignis bewertete, eine geldgierige Made?.
Mit 17 Millionen Mark hatte sich das Paar verschuldet, nun soll wenigstens der Lizenzfotograf auf seine Kosten kommen – denn von den Fotohonoraren profitieren Christo und Jeanne Claude nicht direkt. Ihre Schulden wollen sie ausschließlich durch den Verkauf von Originalzeichnungen und -modellen abbauen.
Allerdings hatte der Christo- Clan schon im Sommer ein – gelinde ausgedrückt – gespaltenes Verhältnis zur Presse offenbart. Wer den Reichstag abbilden wolle, so verlangte die „Verhüllter Reichstag GmbH“ in einem Rundschreiben, solle die dazugehörigen Artikel „zur Überprüfung der Fakten“ vorlegen. Die indiskutable Forderung stieß flächendeckend auf Kritik und wurde schlicht ignoriert. Die MedienvertreterInnen beriefen sich auf ihr Recht auf aktuelle Berichterstattung und knipsten, was das Zeug hielt. Aber auch danach wachten die Christos unnachgiebig über ihre Ansprüche, was ihren Sympathiebonus erheblich zusammenschmelzen ließ. Fliegende Händler, die unautorisierte Postkarten angeboten hatten, wurden abgeführt, Wohnungen durchsucht, Verleger vor Gericht verklagt. Den Prozeß um Veröffentlichungen in Form von Postkarten und Kalendern haben die Künstler bereits gewonnen.
Haus- und Hoffotograf Wolfgang Volz kann daran nichts Anstößiges finden. Ähnliches, so erinnert er sich, habe sich zugetragen, als die Künstler 1985 den Pont Neuf in Paris verpackt hatten: Auch damals habe man sich gegen Wilderer wehren müssen. Bloß seien seinerzeit weniger Verstöße gegen Christos und Jeanne-Claudes Anordnungen registriert worden, meint Volz. Seine Erklärung: Vor elf Jahren sei das Medieninteresse insgesamt geringer gewesen.
Aus der Sicht des Künstlers machte die rigide Handhabe freilich durchaus Sinn. Christo, über dessen Kunst der Kritiker Werner Spieß einmal schrieb, in ihr manifestiere sich die „Ästhetik des Transitorischen“, vertraut seit 25 Jahren dem Fotografen Wolfgang Volz. Auf ihn ist der Künstler, der keine „Monumente“ fertigt, sondern „Berichte, Dokumentationen über provisorische, selbstironische Vermessenheit“ (Spieß) hinterläßt, angewiesen. Der Düsseldorfer begleitet die Projekte von Christo und wird dafür seit jeher mit der Übertragung der Fotorechte entlohnt. Damit wollen Christo und Jeanne Claude der ungehinderten Vermarktung ihrer Kunst einen Riegel vorschieben. Es ist paradox: eines der teuersten Kunstwerke aller Zeiten als Symbol gegen die Kommerzialisierung von Kunst.
Denn eine Arbeit wie der verhüllte Reichstag ist nur der halbe Christo. Die andere Hälfte besteht in der Vorbereitung der Aktion und in der anschließenden Dokumentation. Christos Kunst wandert: vom eigentlichen Ereignis zum Foto von Volz, das so den Stellenwert eines eigenständigen Kunstwerks erhält. Das hat seinen Preis: Die Berliner Galerie Nothelfer verkauft die streng limitierten „Originalabzüge“ je nach Format und Motiv zu Preisen zwischen 3.200 und 6.200 Mark. Als nun verschiedene Zeitungen in ihren Jahresrückblicken eigene Fotos abdruckten, stand das Problem plötzlich wieder im Raum. Laut Urheberrecht dürfen nur Kunstwerke, die sich „bleibend“ an öffentlichen Plätzen befinden, „durch Lichtbild vervielfältigt und öffentlich wiedergegeben werden“.
Letztlich dreht sich die Kontroverse also um die Frage, wie lange nach einem Ereignis die Berichterstattung darüber noch Tagesaktualität besitzt. Was die von Volz beanstandeten Jahresrückblenden angeht, so scheiden sich die Geister. Die ZeitungsmacherInnen halten die Aktualität nach wie vor für gegeben, Volz sieht das genau anders herum. Der in Bonn ansässige Deutsche Journalisten Verband reagierte erbost: Es gehe Volz ja gar nicht um die Kunst, sondern nur ums Verdienen.
Bisher trägt die Auseinandersetzung alle Züge eines Scheingefechts. Davon, daß Volz bisher Lizenzgebühren verlangt hat, ist nichts bekannt. Ulrich Clewing
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen