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Neues Album von Sophia KennedyIst der Herd eigentlich aus?

Abstand halten zur geistigen Enge. Mit dem neuen Album „Squeeze Me“ entwirft Sophia Kennedy Pop, der aufreizend lässig und zugleich angstvoll klingt.

Die Welt wird wieder kleiner, Sophia Kennedy denkt ihren Pop in groß Foto: Rosanna Graf

Berlin taz | Brutale Kriege, multiple Krisen: Der Zustand unserer Welt ist desaströs. Das omnipräsente Säbelrasseln führt auch zu immer drastischeren wirtschaftspolitischen Sparmaßnahmen, die zunehmend Kün­s­tle­r:­In­nen in ihrer Existenz bedrohen – man denke an die verheerenden Kürzungen am Berliner Kulturetat. Aus dieser Gemengelage heraus Kunst zu machen, die den Groove des Zeitgeists aufgreift und damit dann aber auch nicht unreflektiert auf der Strecke bleibt, ist eine Gratwanderung.

Gelungen ist sie der Hamburger Künstlerin Sophia Kennedy mit ihrem neuen Album „Squeeze Me“. Zum Interview in einem Café der Hansestadt bringt sie – überraschenderweise – ihren Künstlerfreund Mense Reents mit. Er produziert seit jeher ihre Soloalben. Der Moment der Überrumpelung geht schnell vorbei, denn das Duo verbindet eine humorvolle Zugewandtheit, in die man auch als fremde, neue Gesprächsteilnehmerin sofort miteingeschlossen wird.

Gerade hat Sophia Kennedy – mit tatkräftiger Unterstützung von Mense Reents – mit „Squeeze Me“ ihr bis dato stringentestes und poppigstes Werk vorgelegt. Die düsteren HipHop-Elemente des Vorgängers wurden zurückgefahren und die großen Gesten – sie wurzeln in Kennedys Blues- und Jazzeinflüssen –, sind diesmal in ein schlichteres Arrangement gekleidet. Mal wesentlich durch einen Drumbeat oder repetitive Klavierakkorde getragen, kommt der neue Kennedy-Sound minimalistischer und lieblicher daher. Gerade deshalb hat es die Musik der zehn Songs in sich.

Squeeze Me

Das Vexierspiel beginnt schon beim Titel: Mit dem Imperativ „Squeeze Me“ assoziiert man eher eine leidenschaftliche Umarmung. Ob man diese Aufforderung andererseits auch als Metapher für den selbstzerstörerischen künstlerischen Schaffensprozess verstehen soll? „Zu tausend Prozent“, antwortet Kennedy bestimmt.

Sophia Kennedy

Sophia Kennedy: „Squeeze Me“ (City Slang/Rough Trade)

Live: 30. Mai 2025, Immergut Festival/Neustrelitz, die Tour startet im Oktober

„Ich möchte niemandem verwehren, in den Titel etwas Süßes hineinzulesen. Aber ich habe ihn in andere Kontexte gesetzt, in denen er auf jeden Fall negativ gemeint ist. Es geht um Machtverhältnisse in zwischenmenschlichen Beziehungen aller Art. Es geht aber auch um das Gefühl, dass sich alles verengt. Die Welt wird kleiner, anstatt, dass sie größer wird.“

Mehrdeutigkeiten wie beim Titel markieren das Werk der 35-jährigen Hamburger Musikerin mit US-Wurzeln. Aber mit zur Schau gestellter Verantwortungslosigkeit haben sie wenig zu tun, sondern viel mehr mit dem Versuch, Komplexität einzufangen und widerzuspiegeln.

In Rage nach der Rauchpause

Wenn man Kennedy auf die Überlegungen zu ihren Songs anspricht, antwortet sie sofort sehr konkret. Dabei redet sie sich manchmal ein bisschen in Rage. „Verstehst du, was ich meine?!“, fragt sie einmal mit Nachdruck nach einer Auslassung in der Raucherpause, und wendet sich schon im selben Moment enttäuscht ab, als würde sie gar nicht damit rechnen.

Kennedy macht es sich nicht leicht. Sie versteckt sich nicht hinter den Ambivalenzen ihrer Musik, sondern will sie verständlich machen. Eine No-Nonsense-Haltung, die sie auch mit der Arbeitsweise von Mense Reents teilt. Jenseits ihrer langjährigen musikalischen Zusammenarbeit arbeiten beide gerne in unterschiedlichsten Kontexten.

Kennedy zieht es immer auch wieder in den Clubkontext, ob mit ihrem Duo Shari Vari (mit Helena Ratka), oder gerade erst als prominente Gesangsstimme auf dem neuen Album „Music Can Hear Us“ von DJ Koze. Reents bleibt Mitglied (und Co-Produzent) der Goldenen Zitronen und eine Hälfte des Duos Die Vögel (mit Jakobus Siebels) und ist als viel beschäftigter Gastmusiker und Produzent aus der Hamburger Indie-Pop-Szene kaum wegzudenken.

Klischees mit jungen Künst­le­r:In­nen

In den Songs auf „Squeeze Me“ hat Sophia Kennedy es auf Klischees abgesehen, von denen sie sich eingeengt fühlt. In ihren Texten eignet sie sich solche an und versucht, sie durch Überzeichnung zu überwinden. Erstes Beispiel: das Klischee, dass man jungen Künst­le­r:In­nen unterstellt, sie könnten nur durch Patronage erfolgreich werden und nicht aufgrund eigener Fähigkeiten.

Es findet sich in „Feed Me“, einem Song mit einem schlendernden E-Bass-Riff, kinderliedähnlichen Repetitionen und Sounds, die an die Animation eines Babys erinnern. Kennedy sagt, ihr Songtext handele von Bevormundung und Gönnerhaftigkeit. Vom Versprechen, jemanden groß herauszubringen.

„Und zwar nicht mit der Prämisse, dass das etwas Böses sein könnte, sondern dass jemand das Beste für dich will. Aber im Umkehrschluss sagt er damit, dass du es ohne ihn nicht schaffst“. Diese Ambivalenz greift die Künstlerin mit einem sarkastischen Songtext auf, der in einer simplen, scheinbar naiven Melodie daherkommt: „Die Bösartigkeit liegt hier in der Lieblichkeit“. Das sei ein bisschen wie bei Velvet Underground, findet Reents.

Mythen über Frisuren

Ein zweites Beispiel: das ominöse Klischee der „starken Frau“. Es findet sich in vielen Facetten in „Drive The Lorry“, einem markant coolen Stück mit luftigem Dub-Beat, über den sich zwischendurch elegische Streicherarrangements schieben. Im Text macht sich Kennedy subtil über den Mythos lustig, dass für Frauen eine Veränderung im Leben immer mit einer Veränderung ihrer Frisur einhergeht:

„Es geht um eine Person, die in ihrer Perücke mit einem Lkw über eine Brücke rast und sagt: ‚Ich scheiß auf euch alle.‘“ Dabei sinniert die Person auch über eine Peitsche: „I’m not a feather, babe / I’m a whip“, singt Kennedy lasziv. Die Frisur als Machtsymbol, die Fähigkeit, einen 16-Tonner-Brummi zu fahren und die Identifikation mit einer Peitsche: verschiedene Klischees über selbstsichere Frauen werden hier heraufbeschworen und ineinander verdreht.

Mense Reents erklärt den eigenen Anspruch: „Es kommt uns entgegen, die Dinge ins Artifizielle zu treiben. Wenn eine sehr eigenwillige, offene Form dabei herauskommt, dann ist es für uns gelungen“. Damit ist „Drive The Lorry“ beispielhaft für die humorige Überspitzung in der Musik von Kennedy und Reents.

Ironie und Sarkasmus

Mit diesem Ansatz sind sie derzeit nicht alleine. Ob bei Smerz, Fuffifufzich oder den Chemnitzern Blond: im zeitgenössischen Pop wird viel mit metaironischen und metasarkastischen Ebenen gespielt. Fraglich ist, inwieweit das zu so etwas wie einer allgemeinen Interpassivität beiträgt und damit die Künstlerschaft noch mehr in eine Rechtfertigungsrolle drängt.

Mit seinen mal imposanten, mal diffusen Posen stellt „Squeeze Me“ dem wiederum indirekt eine Frage entgegen: Liegt die Verantwortung für (fehlende) Reflexion über ein Kunstwerk und seine gesellschaftliche Wirkmacht nicht viel mehr bei den RezipientInnen als bei den KünstlerInnen? Wir sprechen dann noch über „Hot Match“, das Finale des Albums.

Zum dumpfen Drumbeat hört man Motorensounds und Reifenquietschen, dann einen brummenden und zwischendurch aufheulenden Bass-Synthesizer. „Firefighters stand in front of my door / Do you live here / I don’t know anymore“, singt Kennedy mit tiefergelegter Stimme. Ob das Stück sich wohl auf die politische betrübliche Weltlage beziehen ließe, weil es von einer Art Schockstarre im Angesicht einer Katastrophe handeln könnte? „Ja, aber nicht nur. Ich scheue mich vor flachen politischen Metaphern wie ‚Die Welt brennt‘. Obwohl sie das natürlich tut! Aber plakative Sätze können schnell ihre Bedeutung verlieren.“

Powerpop mit Motorrad

Also weiter im Song: „Motorcycling, Motorbiking / I don’t care anymore“, heißt es in Anlehnung an Chris Speddings Powerpopklassiker „Motor Bikin'“ von 1975. Den habe ein Freund von Reents immer im Tourbus gesungen und er selbst dann so häufig im Studio, dass Kennedy den Satz in ihren eigenen Songtext eingebaut habe.

Schließlich hört man Kennedy zum lockeren Groove eines Klaviers basale Gelüste heraufbeschwören: „Hot Match / I love the way you move“. Alles ein Wink in Richtung Zügellosigkeit in Krisenzeiten? Das habe er an der Stelle auch so interpretiert, erklärt Mense Reents.

Kennedy entgegnet, „Hot Match“ erzähle auch von einer ganz persönlichen Paranoia, zuhause beim Weggehen den Herd angelassen zu haben. Sie möge das Wechselspiel von Bedeutungsvollem und Banalem. Also noch mehr Ambivalenzen? „Ich hab das ganze Stück ja immer nur sexuell gelesen“, grinst Reents risikobereit. Alle lachen.

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