Israelis in Angst: Rückkehr eines Gespenstes
Seit Beginn des Gazakrieges gibt es weltweit Anschläge auf jüdische Einrichtungen. Auch in Deutschland fürchten sich viele Israelis und Juden vor Racheakten - und meiden die Öffentlichkeit.
Esther M. fürchtet sich. Seit 35 Jahren lebt sie nun schon in Deutschland, "aber jetzt", sagt sie, "habe ich Angst, dass andere mitkriegen, dass ich Jüdin bin. Die Leute sehen doch immer nur, wie Israel auf die armen Palästinenser schießt. Dabei wissen die meisten doch gar nicht, was wirklich los ist in Israel."
Auch Yoval Z. spürt, wie sich die Stimmung verschärft. "Wenn die Leute merken, dass ich Israeli bin, muss ich mich ständig rechtfertigen. Die anfängliche Solidarität geht jetzt zu Ende", sagt der 26-jährige Politologe. Erst vor drei Monaten ist er nach Berlin gekommen. Angst vor Übergriffen wie Esther M. hat er nicht. Aber auch er will seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. "Wenn ich mich hier schlecht fühle, gehe ich", sagt Yoval Z.
Der Ton gegenüber Juden und Israelis ist rauer geworden in Europa, seit die israelische Armee in den Gazastreifen einmarschiert ist. Die radikalislamische Hamas droht mit Anschlägen auf Juden in aller Welt. Und tatsächlich: In Brüssel, Toulouse und London haben Unbekannte Brandanschläge auf Synagogen verübt. In Dänemark hat ein palästinensischer Einwanderer zwei Israelis angeschossen. In der Türkei musste eine israelische Basketballmannschaft in die Kabinen flüchten, weil in der Halle antisemitische Parolen skandiert wurden. Und in Deutschland?
Es ist nicht so, dass sich die hier lebenden Juden einig wären in der Bewertung der Politik Israels. Auch sie kennen die Zahl der Toten und Verletzten, die schrecklichen Bilder aus dem Gazastreifen. Aber sie pochen auf das Recht des jüdischen Staates auf Selbstverteidigung. Dafür und gegen den Terror der Hamas wollen tausende von ihnen am Sonntag in Frankfurt und Berlin demonstrieren. Aber kaum war der Berliner Demoaufruf raus, wurden im Internet die Namen, Privatadressen und Kontaktdaten der Initiatoren steckbriefartig veröffentlicht. Die Jüdische Gemeinde hat sich daraufhin an den Staatsschutz gewandt.
Die Frankfurter Organisatoren berichten von Sicherheitsbedenken der Polizei, 4.000 DemonstrantInnen werden in der Mainmetropole erwartet. Vor einer Woche, so erzählt Claudia Korenke von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), sei in Frankfurt aus einer propalästinensischen Großdemo heraus "Vergast die Juden!" skandiert worden. Ein Mitglied der DIG habe daraufhin Strafanzeige erstattet. "Wut und Verzweiflung" fühle sie bei so was, sagt Korenke. Sie selbst ist vorsichtiger geworden. Als Vizevorsitzende der DIG habe sie zu Hause oft Besuch aus Israel, seit einem halben Jahr lässt sie die israelische Fahne zur Begrüßung lieber im Schrank. Aber darauf, das Land am Sonntag zu unterstützen, wird die 57-Jährige nicht verzichten.
Auch Stephan Kramer wird am Sonntag in Berlin demonstrieren. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland sagt, die Stimmung in Deutschland sei "spürbar gereizter und angespannter. Ich erlebe in den letzten drei Wochen, stärker als normalerweise, persönliche Anfeindungen." Und er nimmt ernst, dass sich Menschen wie die Verkäuferin Esther M. Sorgen machen. In der gegenwärtig aufgeheizten Stimmung könne niemand ausschließen, "dass Einzelpersonen zum Ziel von Aggression und Gewalt werden". Sachliche Kritik, so der 40-Jährige, "ist kein Sakrileg. Aber die politische Großwetterlage im Nahen Osten ist schon seit vielen Jahren stets ein Vorwand für antiisraelische und antisemitische Eruptionen."
Auch Juliane Wetzel vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung hat Verständnis für Juden und Israelis, die sich hier nicht mehr sicher fühlen, die sich nicht mehr trauen, ihre Meinung offensiv zu vertreten. Antisemitische Sprüche, getarnt als Israelkritik, hätten schon während der zweiten Intifada und des Libanonkrieges zugenommen. "Und irgendwelche Verrückten gibt es immer." Sie ist froh, dass die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) klar Stellung bezogen hat, als sie die Hamas für die Eskalation im Nahen Osten verantwortlich machte. Die Politik müsse klare Standards der Auseinandersetzung setzen.
Genau das ist es, woran Alex G. Elsohn seit Jahren arbeitet. Der 44-Jährige ist Europadirektor von Givat Haviva, einer Organisation, die sich für jüdisch-arabische Verständigung einsetzt. Jedes Jahr nutzen etwa 30.000 Jugendliche die Programme des Zentrums. Elsohn will "scharf unterscheiden zwischen rechtsnationalem und arabischem Antisemitismus. In Zeiten wie diesen nimmt der arabische natürlich zu", er sei ein Übel, gegen das man kämpfen müsse. Angst hat er nicht. "Ich bin exponiert, und wer mich finden will, der kann das." Dass Juden in Deutschland Angst haben, sich öffentlich zu Israel zu bekennen, irritiert ihn. "Entweder man steht dazu, oder man verzichtet darauf, seine Meinung zu sagen."
Esther M. verzichtet am Sonntag darauf, öffentlich ihre Meinung zu vertreten. Sie wird nicht zur Berliner Pro-Israel-Demonstration gehen. Das heißt aber nicht, dass sie etwas dagegen hätte - betont sie. "Nur weil ich das nicht tue, meine ich nicht, dass niemand demonstrieren sollte. Ich finde es gut, wenn die Leute auf die Straße gehen und sich zeigen."
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