piwik no script img

Israel und seine BeduinenNur eine Nummer in der Wüste

Ein neues Gesetz soll die Gebietsansprüche der Beduinen in der Negev-Wüste regeln. Und sie gewaltsam ins 21. Jahrhundert katapultieren.

Palästinensischer Beduinenjunge. Bild: ap

BEERSCHEWA taz | 40 Grad zeigt das Thermometer, dabei hat der Sommer noch gar nicht angefangen. Nur den Hühnern, die nach Melonenschalen und Brotresten picken, scheint die dumpfe Hitze in al-Sara nichts auszumachen. Weitläufig über einen Hügel verteilt liegen die kleinen Häuser und Wellblechhütten des Dorfes in der Negev-Wüste.

Vom Staat nicht anerkannt, gibt es dort keine Schule und keine Post, nicht einmal Straßen. Strom und Wasser müssen sich die 70 Familien des Dorfs – ausschließlich Beduinen – selbst organisieren. Khalil Alamour will trotz der harten Lebensumstände nicht weg.

„Ich will nicht in der Stadt leben“, erklärt der Lehrer, der Mathematik und Computertechnik an einer Mittelschule unterrichtet. Obwohl ihm der Staat Bauland in einer der neuen Wohnsiedlungen verspricht, die sein Volk ins 21. Jahrhundert katapultieren sollen. „Klar“, sagt Alamour sarkastisch. „Sie geben mir ein Grundstück von 800 Quadratmetern, dafür nehmen sie mir woanders 40 Hektar weg.“

Israels Beduinen

Das Gebiet: Etwa 11.000 Beduinen sind nach der Staatsgründung 1948 in der Negev-Wüste geblieben, bis heute ist die Gruppe auf 200.000 Menschen angewachsen. Die meisten leben in al-Siaj, arabisch für Reservat, das bis Ende der 60er Jahre unter Militäradministration stand. Erst anschließend konnten die Beduinen den Besitzanspruch auf das Land, von dem sie vertrieben wurden, aktenkundig machen, wobei Israel ihren grundsätzlichen Anspruch nie anerkannt hat. Trotzdem räumt Israel der Urbevölkerung des Negev eine Art moralische Befugnis ein.

Die Siedlungen: Nur ein Bruchteil der Beduinen, arabisch-muslimische Nomaden, leben noch in Zelten. Die meisten bauten zunächst Wellblechhütten und später feste Steinhäuser, ohne die nötigen Baugenehmigungen dafür zu beantragen.

Der Prawer-Begin-Plan: So genannt nach dem einstigen Nationalen Sicherheitsberater Ehud Prawer sowie Minister Benjamin Begin, liegt er nun dem Parlament zur Abstimmung vor. Er sieht die Umsiedlung nicht nur von 10.000 Beduinen, sondern bis zu 45.000 Menschen vor. Er soll die Besitzansprüche endgültig regeln und sieht vor, dass die Beduinen bis zu 50 Prozent Ersatzland bekommen und kleine Wiedergutmachungszahlungen – dafür sollen sie auf weitere Ansprüche verzichten. Die 200 bisherigen Rechtsverfahren zur Klärung der Eigentumsverhältnisse gingen ausnahmslos zugunstendes Staates aus.

Seit 6 Jahren Abrissdrohung

„Al-Sara“ steht auf dem grünen Schild am Ortseingang, das die Einwohner aufgestellt haben, gleich über einem zweiten, das einen Bulldozer zeigt. Das kleine Dorf hat das Glück, unmittelbar neben einem Militärcamp zu liegen, zu dem eine zweispurige Straße führt, und ist deshalb, anders als die meisten anderen nichtanerkannten Dörfer, mit dem Auto erreichbar. „Wir sind Nutznießer der Armee“, sagt Khalil Alamour lachend. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem in Hebräisch vorne „Ich bin aus al-Sara“ steht und hinten „Reißt mir mein Haus nicht ab“.

Seit sechs Jahren klebt neben der metallenen Eingangstür zu seinem schlichten Bungalow der Abrissbefehl. An den „Hausbesitzer“, heißt es auf dem Zettel, ohne dass Alamour namentlich angesprochen würde. Der siebenfache Vater zeigt auf die Zahl 67 am oberen Rand des Dokuments. „Ich bin nur eine Nummer“, sagt Alamour. Für ihn sei das Antisemitismus. „Das tut weh, wirklich.“ Im Dorf sind alle Häuser nummeriert und vom Abriss bedroht.

30 Kilometer westlich von al-Sara, im fünften Stock eines vollklimatisierten Bürohochhauses in Beerscheva, zerbrechen sich die für die Entwicklung der Beduinen im Negev zuständigen Beamten den Kopf über die Urbanisierung der Nomaden von einst. Abteilungsleiter Ami Tesler ist direkt dem Büro des Ministerpräsidenten unterstellt, das wiederum eng zusammenarbeitet mit der Kommission für nationale Sicherheit. Städteplanung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gehört zu seiner Mission. Es geht um die Zukunft der Beduinen von al-Siaj, dem „Reservat“, in das sie der Staat nach dem Unabhängigkeitskrieg trieb.

Beide Seiten tragen Schuld

„60 Jahre lang ist viel geredet worden, aber passiert ist nichts“, sagt Ami Tesler. Beide Seiten trügen Schuld an der Situation, räumt er ein. „Auch der Staat Israel hat viel versäumt.“ Immer wieder gab es Ansätze, die Grundstücksansprüche zu regeln, und immer wieder scheiterte man an einem Kompromiss. Ohne eine klare Abgrenzung zwischen staatlichem und privatem Land sind eine wirtschaftliche Entwicklung und der Ausbau von Infrastruktur in der Wüstenregion nicht möglich. Jetzt endlich sei man in Jerusalem zu der Einsicht gelangt, dass „Handlungsbedarf besteht“, sagt Tesler befriedigt.

In diesen Tagen entscheidet die Knesset über den „Prawer-Begin“-Plan, eine Art Schlüssel für Wiedergutmachung an den Beduinen, die den Anspruch auf Grundbesitz stellen. Bis zu 50 Prozent Ersatzland will der Staat zur Verfügung stellen plus einen kleinen finanziellen Ausgleich, vorausgesetzt, die gesamte Chamula, die Großfamilie, stimmt dem Handel zu.

„Die Dörfer kommen weg“

Über eine Milliarde Schekel (etwa eine halbe Million Euro) stellt der Staat bereit. Tesler scheint es gar nicht abwarten zu können, das Geld endlich auszugeben zu können, um die wirtschaftlich schwächste Bevölkerungsgruppe im Land voranzubringen. Anhand einer Liste erläutert er, wie viel Schekel in den Aufbau einer Industrie, in Infrastruktur, Gemeindeeinrichtungen und neue Polizeistationen fließen sollen. „Wir wollen den Negev entwickeln“, schwärmt er, „und die Beduinen sollen daran teilhaben.“

Der sportliche Mittfünfziger mit aparten grauen Schläfen breitet eine Karte aus und malt mit seinem Kugelschreiber einen Kreis in der Luft: „Diese Dörfer kommen weg“, erklärt er und zieht – wieder in der Luft – einen Strich bis kurz unter Beerscheva. „Die hier ziehen nach Segev Schalom“, eine in den 70er Jahren gegründete Township im Negev. „Das sind schon mal 10.000.“

Rund die Hälfte der Beduinen lebt heute in für sie vom Staat errichteten Townships oder legalisierten Dörfern. Problematisch ist für Leute wie Tesler die andere Hälfte, sind die 45 nichtanerkannten Dörfer. Auch weil dort unter Umgehung aller „Sicherheitsvorschriften“ gebaut wurde. Dörfer wie al-Sara, wo Khalil Alamour lebt.

Das Township als Antithese

„Sie wollen uns vertreiben und auf engstem Raum zusammenpferchen“, sagt Alamour. Die Townships sind für ihn die Antithese zum Leben der Beduinen. Als Junge, so erinnert er sich, zog seine Familie mit der Herde während der Dürrezeiten ein paar Dutzend Kilometer nach Norden oder Westen, wo es leichter war, die Tiere zu ernähren. Khalil liebte es, die Schafe zu hüten, bis er nach dem Abitur für drei Jahre das Dorf verließ und zum Studium nach Beerscheva zog. Dort wohnte er zur Untermiete bei einem älteren jüdischen Ehepaar. Die beiden waren aus Polen immigriert und „behandelten mich wie ihren Sohn“, sagt er.

„Ich bin Araber durch meine Sprache und Kultur, Moslem durch meine Religion, ich gehöre zum palästinensischen Volk und ich bin Israeli. Ich möchte Teil dieses Staates sein, den ich liebe, aber mein Lebensweg ist der des Beduinen.“ In der Wüste zu leben, sich von ihr zu ernähren und ihren Herausforderungen zu stellen, gehört für Alamour genauso dazu wie die Nähe zur Chamula, zur Großfamilie. Die Vorstellung, „in vier Wände eingesperrt zu sein“ und von Geschwistern, Tanten, Onkels und Cousins getrennt zu leben, macht ihm Angst.

An eine Entwicklung der Wüstenregion mit Hilfe von Staatsgeldern glaubt Alamour nicht. „Arbeitsplätze?“ fragt er spöttisch. „In Rahat, der größten Beduinenstadt des Negev und auch weltweit, ist es dem Staat Israel in 40 Jahren nicht gelungen, auch nur eine einzige Fabrik aufzubauen.“

Eigene Stromversorgung

Der energische Lehrer macht sein Dorf auf eigene Faust für das 21. Jahrhundert tauglich. Zusammen mit den anderen Dorfbewohnern verlegte er auf eigene Kosten eine kleine Wasserleitung nach al-Sara, womit die Olivenbäume bewässert werden können, und bereits seit zehn Jahren haben die Dorfbewohner Strom. Einer nach dem anderen folgte dem Beispiel Alamours und installierte Solarzellen. Die meisten haben ihre Kollektoren auf dem Dach oder vor dem Haus stehen. Durch die einmalige, wenn auch kostspielige Anschaffung konnten die Generatoren ersetzt werden. Die stinkenden, lauten Benzinmotoren lieferten früher den Strom in den illegalen Dörfern. Sogar eine Internetverbindung besitzt Alamour per Satellit mitten in der Wüste.

Dass die Beduinen ohne jede öffentliche Aufsicht seit 60 Jahren willkürlich Häuser bauen, ist Leuten wie Ami Tesler von der staatlichen Planungskommission dagegen ein Dorn im Auge – und auch Mitarbeiter des Umwelt- und Gesundheitsministeriums halten dies im Prinizip für katastrophal. „In einem Staat gibt es Vorgaben“, dröhnt Tesler, „Sicherheitsvorschriften“. Da könne nicht jeder einfach irgendwo ein Abwasserrohr verlegen oder eine Stromverbindung.

Auf ganze drei Jahre ist der Masterplan im Negev angelegt. Wenn es zur Umsetzung kommt, geht es auch al-Sara an den Kragen. Ein Teil der nichtanerkannten Dörfer würde legalisiert werden, der Rest abgerissen.

Ginge es nach den Beduinen, dann sollte die Regierung einfach alle 45 umstrittenen Dörfer anerkennen. „Israel hat uns in den Jahren der Militäradministration fast alles weggenommen“, schimpft Alamour. „Wir sagen: Okay, lasst uns al-Siaj, und fertig. Aber das reicht ihnen nicht. Sie wollen immer mehr.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • B
    bull

    Solange es den Staat İsrael gibt wird der politische İslam in allen Staaten des Nahen Ostens ein Faktor bleiben.İnklusive der Türkei.İch bin überzeugt davon dass der gewachsene Einfluss der İslamisten in dieser Region alleine wegen der Existenz des Religionstaates İsrael gewachsen ist.Alle Staaten in dieser Region waren in den 60 und 70er Jahren weiter im Aufbau weltlicher Staaten nach europaischem Vorbild als heute.

  • R
    R.J

    Was geht in den Köpfen von Menschen vor, die tausende von Kilometern als Anreise in Kauf nehmen, um Beduinen ihr Land streitig zu machen?

  • J
    Jupp

    Es geht um Landbesitz und nicht um Bauvorschriften oder Abwasserbeseitigung und ob solche Machenschaften in der Zuweisung von Land vor europäischen Gerichten Bestand hätten?

     

    Schon das bislang von Siedlern, auch in Beer-Scheba in Anspruch genommene Land müsste einen Pachtertrag für die Beduinen einbringen, mit der sie sich jede erdenkliche Hilfe leisten könnten.

     

    Wie kann es dort überhaupt „Staatsland“ geben, wo die Beduinen seit jeher jede mögliche Ressource genutzt haben verbunden mit der Einsicht, das sie oft nur vorübergehend zur Verfügung stehen, sie aber das ursprüngliche Volk der Wüste sind?

     

    Und wo bleibt der Platz, den sie brauchen um ihrer wachsenden Bevölkerung eine Zukunft zu geben, wie kann es da überhaupt Platz für Siedler aus Frankreich oder New York geben?

     

    Im Fußball wird wieder mal vorgeführt, wie man in der EU den Kolonisten glaubt unter die Arme greifen zu müssen, obwohl ihre Machenschaften eine Ablehnung auf breiter Front verdienten.

     

    Es sollte Sache der Beduinen sein, zu entscheiden, was sie mit ihrem Land anfangen und wie sie es entwickeln und nicht Verfügungsmasse jener, die aus Kasachstan, Kansas, Frankfurt oder sonst woher stammend glauben, sie besäßen das Recht sich dort niederzulassen und andere zu verdrängen.

  • A
    Aganantis

    "Über eine Milliarde Schekel (etwa eine halbe Million Euro)" - nicht nur das Hintergründe fehlen, auch mit der Mathematik ist es im Artikel leider nicht weit her. 5 Schekel sind ungefähr ein Euro, wie man dann auf eine halbe Million kommt ist mir schleierhaft.

  • B
    boomboombaader

    ich habe ja meine vermutung, an was es sie erinnert:D frau knaul wär trotzdem gut beraten, wenn sie sich auf englische texte bezieht, diese dann auch komplett zu übersetzen, da "township" nicht anderes als eine "wohngemeinde" is, mit der gleiche verve könnte man vermutlich auch jüdische siedlungen in der westbank als "township" bezeichnen, grüss mir den jakob und den ken

  • OL
    Ohne Lobby

    @boomboombaader

    Sie sind ja ein ganz Schlauer.

    "Township" ist in Israel der offizielle Begriff für die staatliche verordnete Sesshaftmachung von Beduinen (woran die mich erinnert, schreibe ich lieber nicht), ob das jetzt in Ihr schlichtes Weltbild passt oder nicht.

     

    "Israel is currently building 13 new villages or towns for the Negev Bedouin. These townships are intended to meet all the present and future needs of this population. "

     

    Quelle: http://www.mmi.gov.il/static/HanhalaPirsumim/Beduin_information.pdf

     

    Einen ganz herzlichen Dank an Frau Knaul für Ihre differenzierte Berichterstattung aus Israel/Palästina!

  • B
    boomboombaader

    wie kommt frau knaul eigentlich dazu, von "townships" zu schreiben? geht es ihr darum, dem deutschen michel weiszumachen, dass der einzige staat in nahost, welcher als bürgerliche demokratie, allen ihren staatsbürgerInnen die gleichen freiheitsrechte gewährt, ein "apartheidstaat" wäre? grüss mir den jakob ;)

     

    ps natürlich gehört auch rassismus in israel kritisiert, allerdings sollte man dabei auf verleumderisches vokabular besser verzichten

  • G
    Gonzi

    Warum stellt Israel überhaupt Ansprüche auf den Negev?