Israel reagiert auf PIP-Brustimplantate: Bloß raus mit den Dingern
Die Entfernung von PIP-Implantaten ist in Israel kostenlos. Glück im Unglück für Orit, bei der ein Implantat bereits undicht ist. In Deutschland gibt es erste Klagen.
REHOVOT taz | Leicht verängstigt sitzt Orit im Büro von Dr. Amos Leviav. Noch knapp eine Stunde bleibt der 40-Jährigen bis zu ihrer Operation. Sie ist die dritte Frau, die heute ins Kaplan-Krankenhaus in Rehovot kommt, einer Stadt südlich von Tel Aviv, um sich ihre Brustimplantate der französischen Firma Poly Implant Prothèse, kurz PIP, auswechseln zu lassen. Bei einem Zehntel der knapp eintausend Israelinnen, die sich diese Silikonkissen einsetzen lassen haben, wurden die Implantate undicht.
Das Gesundheitsministerium in Jerusalem reagierte rasch, als der PIP-Skandal an die Öffentlichkeit drang. Über eine "Hotline" können Frauen Informationen darüber einholen, ob ihnen selbst die französischen Silikonkissen implantiert wurden. Das Ministerium stellte parallel Nachforschungen an, in welchen Kliniken wie lange PIP noch verwendet wurde. Die Stimme am Telefon fragt als erstes nach dem Namen des Arztes, der die Implantate eingesetzt hat. Gearbeitet wird nach dem Ausschlussverfahren.
Sicherheitshalber wird allen Frauen mit den französischen Brustkissen dazu geraten, sich untersuchen zu lassen. Das geschieht per Ultraschall, zusätzlich tastet ein Chirurg die Implantate ab. Dr. Chezy Levy, Chef der medizinischen Behörde, empfindet es als "Pflicht, den betroffenen Frauen Auskunft zu geben". Er geht davon aus, dass die meisten Frauen die PIP entfernen lassen - egal ob undicht oder nicht. In beiden Fällen übernehmen die staatlichen Krankenkassen die vollen Kosten für die Operation. Wer neue Brustkissen haben möchte - was die Regel ist -, muss allerdings dafür selbst in die Tasche greifen.
Ein Implantat läuft aus
Viele der betroffenen Frauen landen früher oder später auf dem Operationstisch von Amos Leviav. Und viele kommen aus der Privatklinik von Dr. Abraham Riegler, der auch Orit vor gut zwei Jahren die PIP-Implantate einsetzte. Eines begann vor wenigen Wochen auszulaufen. Orit, die ihren Familiennamen nicht nennen möchte, war über eine Freundin an Riegler geraten, der ihr mit zehn Prozent Rabatt gleich ein Angebot unterbreitete. Zwischen 2.500 und 4.000 Euro umgerechnet kostet die Brustvergrößerung in Israel.
Die Klagen: Nach dem Skandal um die Brustimplantate der Firma PIP (Poly Implant Prothèse) aus Frankreich, deren Gesundheitsgefährdung im Dezember 2011 bekannt geworden ist, hat am Montag die Münchner Rechtsanwaltskanzlei Patientenanwalt AG die Klage einer betroffenen PIP-Trägerin vor dem Landgericht Karlsruhe eingereicht. Die Klage auf Schmerzensgeld für bisherige und kommende Schmerzen, auf Behandlungskosten und Zukunftsrisiken wie etwa Folgeerkrankungen ist die Erste ihrer Art in Deutschland.
Die Beklagten: Die Klagen richten sich gegen die behandelnde Klinik in Karlsruhe, den behandelnden Arzt, den Chemikalienhändler Brenntag, der der Firma PIP das für Brustimplantate völlig ungeeignete Silikon lieferte, und den TÜV Rheinland als Gesamtschuldner. Der TÜV hatte den Brustimplantaten das CE-Siegel verliehen und damit den Marktzugang in Europa ermöglicht. Der Streitwert liegt bei rund 100.000 Euro. Gegen die Firma selbst kann nicht geklagt werden, da sie pleite ist und es keinen Rechtsnachfolger gibt. Die Münchner Anwaltskanzlei kündigte weitere Klagen von etwa sieben Frauen im Frühjahr an. Für ein gutes Dutzend weiterer Betroffener streben die Münchner Anwälte außergerichtliche Lösungen an. Bereits Ende voriger Woche hatte die Uniklinik Münster, an der zwischen 2002 und 2005 PIP-Implantate unter anderem Namen verwendet worden waren, Strafanzeige wegen Täuschung gegen Unbekannt gestellt.
Die Betroffenen: Nach Schätzungen der Aufsichtsbehörde für Medizinprodukte und des Bundesgesundheitsministeriums könnten bis zu 10.000 Frauen in Deutschland PIP-Implantate tragen. Mit genauen Zahlen wird Mitte Februar gerechnet.
Weitere Hilfe: Das Bundesgesundheitsministerium hat unterdessen für betroffene Frauen ein kostenpflichtiges Bürgertelefon eingerichtet (14 Cent aus dem Festnetz, 42 Cent über Mobilfunk): (0 18 05) 99 66 02
Ihr zartes Püppchengesicht lässt sie deutlich jünger aussehen, aber ein "Facelifting", so versichert Orit, habe es nicht gegeben. Sich Implantate einsetzen zu lassen, sei einzig ihr Wunsch gewesen. Ihr Mann habe sie nicht gedrängt. Doch nach drei Geburten habe sich ihr Körper verändert. "Die Brüste werden schlaff", wirft Amos Leviav ein und nickt ihr verständnisvoll zu. "So ist das eben." Orit, die zum Zeitpunkt ihrer Brustvergrößerung 38 Jahre alt war, ging davon aus, dass Riegler Facharzt für plastische Chirurgie sei. "Er hat sich mir so vorgestellt." Orit ärgert sich, nicht rechtzeitig genauere Erkundigungen über ihn eingeholt zu haben. Riegler ist zwar Chirurg, aber kein Spezialist für Schönheitsoperationen. Rein rechtlich ist er damit im grünen Bereich. "Es ist koscher", sagt Leviav, "aber es stinkt."
Chefarzt Leviav unterhält neben seiner Stelle im Kaplan-Krankenhaus eine private Klinik für die Schönheitsoperationen. "Gesunde Menschen werden in staatlichen Krankenhäusern nicht behandelt", sagt er. Außerdem ist Leviav Vorsitzender der israelischen Gesellschaft für plastische Chirurgie und Chef der Kommission für medizinisches Equipment der Krankenkassen. Ihm ist es zu verdanken, dass die PIP-Implantate von den staatlichen Kassen und Krankenhäusern nie eingesetzt wurde.
"Wir benutzen ausschließlich Präparate, die von der FDA, der US-amerikanischen Food and Drug Administration, freigegeben werden", sagt er. In den vergangenen 15 Jahren sei nur ein einziger Fall bekannt geworden, bei dem ein von der FDA anerkanntes Brustkissen ausgelaufen war. Israels öffentliche Gesundheitseinrichtungen folgten damit "dem schärfsten Sicherheitsstandard weltweit", auch wenn das den Staat fast immer etwas teurer kommt. "Ich gelte als Verschwender", sagt Leviav und setzt lächelnd hinzu, dass ihm seine Kollegen letztlich dankbar sind für sein Beharren auf Qualität.
Gesundheitsministerium genehmigte Import
Dennoch genehmigte das Gesundheitsministerium in Jerusalem Ende 2003 den Import von PIP-Implantaten. Erst im Dezember 2010, sechs Monate nach Schließung der Firma PIP, wurde der Import verboten. In dieser Zeit erreichten noch mal 1.600 PIP-Implantate Israel. "In Frankreich war es schon verboten, aber uns durfte die mangelhafte Ware weiter geschickt werden", schimpft Leviav.
Privatchirurg Riegler machte sich erst in dem Moment strafbar, als er noch nach dem Stichtag für das Importverbot PIP-Implantate auf eigenen Wegen aus Frankreich kommen ließ. Für dieses Vergehen musste er inzwischen seine Lizenz abgeben. Riegler ist vorerst der einzige israelische Arzt, dem ein Verfahren droht. Als er Orit vor über zwei Jahren die Implantate einsetzte, war der Import noch legal.
"Seine Praxis machte einen guten Eindruck auf mich", erinnert sie sich. Sie habe Riegler später sogar einer Freundin empfohlen. Vier Wochen nach dem ersten Termin sei sie in seiner Klinik zur Operation erschienen. "Am Anfang war auch alles in Ordnung." Erst gut zwei Jahre danach begannen die Stiche in der Brust, die sie zunächst ignorierte. Als jedoch die ersten Nachrichten über PIP-Implantate und mögliche Gesundheitsgefahren bekannt wurden, bekam sie Angst. Ultraschalluntersuchungen bestätigten, dass eines der Silikonkissen ausgelaufen war. Schnell bekam sie einen Termin im Kaplan-Krankenhaus.
"Ich würde das Implantat anschließend gern mit nach Hause nehmen", sagt sie. "Es sieht bestimmt schrecklich aus." Leviav öffnet eine Schublade und holt zwei Tüten mit je einem Silikonkissen heraus, die von einer anderen Patientin stammen. Eines ist defekt. Die dickflüssige Masse hat sich gelblich verfärbt. Orit gruselt es. "Das werde ich mir einrahmen und an die Wand hängen", scherzt sie. Ob sie Schadensersatz fordert, weiß sie noch nicht. "Hauptsache, das kommt erst einmal raus", sagt sie und setzt nach kurzer Pause hinzu: "Wir werden die Sache sicher nicht einfach so ruhen lassen."
Pamela Anderson ist out
Amos Leviav glaubt nicht, dass sich der PIP-Skandal spürbar auf die Nachfrage nach Brustvergrößerungen auswirken wird. Ihre Zahl sei immer eine Sache der Mode gewesen. "Vor 25 oder 30 Jahren gab es überhaupt keine Operationen", erinnert sich Leviav. Damals seien alle dem Vorbild des magersüchtigen britischen Models Miss Twiggy gefolgt. Später habe die vollbusige Pamela Anderson den Trend gesetzt. Ganz so fraulich müsse es inzwischen nicht mehr sein, was nicht heiße, "dass es weniger Operationen gibt, nur sind die Implantate heute kleiner als bis vor fünf Jahren". Waren es früher 0,3 Liter pro Kissen, so verwende er heute nur noch Implantate mit 0,25 Litern.
Der Schönheitschirurg berichtet über zwei Gruppen, in die sich fast alle seine Patientinnen einordnen lassen. Zum einen seien es die 35- bis 40-Jährigen, die mehrere Geburten hinter sich haben und noch vor ihrer Menopause stehen. Die andere Gruppe bilden die 18-jährigen Frauen, die flachbrüstig geblieben sind. Die Herkunft spiele bei dem Wunsch auf verschönerte Formen genauso wenig eine Rolle wie der soziale Stand. Der PIP-Skandal werde Frauen kaum davon abhalten, sich die Brust vergrößern zu lassen, vermutet Leviav, "aber sie werden sich ab sofort genauer informieren und ihren Ärzten vor der Operation mehr Fragen stellen".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen