Israel erkennt Tausenden Wohnrecht ab: Palästinenser ausgebürgert
Israel erkennt 4.577 Palästinensern das Wohnrecht in Ostjerusalem ab. Das ist ein dramatischer Anstieg. Die EU protestiert und diskutiert Strafmaßnahmen.
Die eine Front, der Siedlungsbau, schien gerade beruhigt, und schon tut sich für Premierminister Benjamin Netanjahu eine neue auf. Israel hat im vergangenen Jahr 4.577 Palästinensern das Wohnrecht in Ostjerusalem aberkannt, 21-mal mehr als im Jahresdurchschnitt seit 1967.
Für die Europäische Union ist das Grund genug, um Maßnahmen gegen die israelischen Versuche zu diskutieren, "das demografische Gleichgewicht" in der Stadt zu manipulieren. In einem von der liberalen Haaretz am Mittwoch auszugsweise veröffentlichten Bericht von in Ostjerusalem und Ramallah stationierten europäischen Diplomaten heißt es weiter, die israelische Regierung und die Stadtverwaltung Jerusalems verfolgten das Ziel, "den Osten der Stadt vom Westjordanland abzukoppeln".
Der Bericht war ein Grund für die schwedische Initiative, Ostjerusalem zur Hauptstadt Palästinas zu erklären, was in diesen Tagen Debattenthema in Brüssel ist. Das israelische Außenamt hatte schon Anfang der Woche empört darauf reagiert: "Der von Schweden eingeleitete Prozess beeinträchtigt die Fähigkeit der EU, als Vermittler beim politischen Prozess zwischen Israel und den Palästinensern zu agieren." Auch Oppositionsführerin Zipi Livni (Kadima) warnte, dass ein solcher Schritt als Versuch empfunden werde, "die Ergebnisse der Verhandlungen über eine Endstatuslösung in einem so empfindlichen Punkt im Voraus festzulegen". Livni appellierte an die EU, der schwedischen Initiative nicht zuzustimmen.
Die EU-Debatte steht im Zusammenhang mit dem jüngst von Netanjahu angekündigten Baustopp in israelischen Siedlungen, der indes nicht für Ostjerusalem gilt. Erst vor gut zwei Wochen hatte die Stadtverwaltung den Neubau von 900 Wohneinheiten in Gilo im Osten Jerusalems genehmigt. Die palästinensische Führung weigert sich, die Friedensverhandlungen fortzusetzen, solange der Baustopp Ostjerusalem nicht umfasst.
Der dramatische Anstieg der Zahl der Palästinenser, denen Israel im Jahr 2008 das Wohnrecht aberkannte, geht laut Innenministerium auf eine Prüfung zurück, wer von den gemeldeten Bürgern tatsächlich dort wohnhaft ist. Für die Palästinenser gilt, dass sie den Status eines Bürgers von Jerusalem verlieren, wenn sie sich im Jahr mehr Tage im Westjordanland als in Jerusalem aufhalten. Viele Palästinenser haben dort wegen der Wohnungsnot einen Zweitwohnsitz. Auch wer länger als sieben Jahre im Ausland lebt oder eine andere Staatsbürgerschaft annimmt, verliert den Aufenthaltsstatus.
"In den palästinensischen Wohnvierteln werden jährlich nur 200 Baugenehmigungen erteilt", heißt es in dem Diplomaten-Bericht, der der Stadtverwaltung die ungleiche Behandlung von Israelis und Palästinensern zur Last legt. Die Autoren werfen der israelischen Regierung vor, rechtsradikale Organisationen zu unterstützen, die in die palästinensischen Wohnviertel im Umfeld der Altstadt vordrängen.
Der Bericht empfiehlt, die Präsenz der palästinensischen Autonomiebehörde in Jerusalem zu stärken und sich für eine Wiedereröffnung der PLO-Vertretung einzusetzen.
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