■ Israel: Nach dem Rücktritt von Außenminister Levy ist die Lage noch düsterer als zuvor. Denn Netanjahu bleibt – auf unabsehbare Zeit: Der Überlebenskünstler
Er könnte in jedem politischen Zirkus auftreten. Bibi Netanjahu, der Weltmeister des Überlebens, strahlt vor Glück. „Ich liebe es zu siegen“ hat er vor kurzem bekannt. Vielleicht hat das vor 2.277 Jahren auch der selige König Pyrrhus gesagt, als er seinen berühmten Sieg gegen die Römer errang.
Netanjahu ist schlau. Ein schlauer Politiker ist einer, der aus einer Falle entkommt, in die ein kluger Politiker gar nicht geraten wäre. So war es auch bei der letzten in der scheinbar endlosen Reihe von Krisen der Netanjahu-Ära. Netanjahu hatte seinen Außenminister Levy beim Haushalt einfach ignoriert. Denn er glaubte einfach nicht, daß Levy, der schon so oft seinen Rücktritt angedroht hatte, die Konsequenzen ziehen würde. Der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte, war eine humoristische Fernsehsendung, in der Levy als Vogel in der Kuckucksuhr jede Stunde verkündete: „Ich trete zurück! Ich trete zurück!“ Der schnell beleidigte Levy sah ein, daß, wenn er seine Drohung diesmal nicht wahrmachte, endgültig zur Spottfigur würde.
Nun verfügt Netanjahus Koalition in der Knesset nur noch über eine hauchdünne Mehrheit. Der Rücktritt Levys schwächt, so sagt man, den „gemäßigten“ Flügel in der Regierung. „Gemäßigt“ ist sehr relativ. Levy hat sich nie gegen die forcierte Siedlungspolitik gewendet. Ein Abgeordneter seiner Partei ist der Vorsitzende der „Eretz-Israel-Front“, eines losen Bündnisses von 18 rechtsradikalen Abgeordneten. Gemäßigt war Levy nur, weil er als Außenminister den USA gefallen wollte.
Trotzdem wird sein Rücktritt zwangsweise zu einer Verhärtung führen. Netanjahu kann es sich nun nicht mehr leisten, auch nur die Stimme eines einzigen Abgeordneten seiner Koalition zu verlieren. Und während die „gemäßigten“ Mitglieder seiner Koalition bisher wenig Standfestigkeit bewiesen, sind die Extremisten in der Regierung fanatische Vertreter ihrer Überzeugung. Einige haben bereits angekündigt, daß sie die Regierung stürzen werden, wenn Netanjahu auch nur einen Quadratmeter des heiligen Vaterlandes aufgeben würde. Jetzt können sie es.
Damit steht die nächste Krise schon vor der Tür. Es handelt sich um den „zweiten Takt“, ein typisch israelischer Euphemismus für Rückzug. Laut Vertrag hätte sich Israel seit Mai 1996 in drei Phasen aus dem gesamten Westjordanland, außer gewissen (aber nicht definierten) „Sicherheitslokalitäten“, zurückziehen müssen. Dieser Vorgang hätte im September 1997 abgeschlossen sein sollen. In der Praxis ist nichts geschehen. Der erste „Takt“ ist nicht ausgeführt worden, weil Schimon Peres damals der Mut fehlte, etwas vor den Wahlen zu unternehmen. Dann kam Netanjahu. Er schlug einen Rückzug vor, der so kümmerlich war, daß die Palästinenser sich weigerten, ihn anzunehmen. Jetzt redet man über den „zweiten“ Takt.
Die Debatte darüber ist lächerlich. Die Minister diskutieren, unter Ausschluß der Palästinenser, ob man sechs oder zwölf Prozent des Westjordanlandes versprechen soll. Das ist rein theoretisch, denn weder die einen noch die anderen denken ernsthaft daran, wirklich etwas aufzugeben. Von 33 Prozent des Territoriums, die dem Vertrag entsprechen würden, ist überhaupt keine Rede mehr. So ist das Ganze ein Manöver, um die USA abzuwimmeln. Clinton läßt sich ja gern betrügen, um einer Auseinandersetzung mit Israel – und den jüdischen Wählern in den USA – aus dem Wege zu gehen.
Der Name des Spiels ist: Wie schiebt man den Palästinensern die Schuld zu. Ein geschickter Propagandafeldzug wiederholt endlos die These, Israel habe den Vertrag peinlich eingehalten, die Palästinenser aber hätten ihn systematisch gebrochen (Araber sind ja nun mal so). Daher kann niemand von Netanjahu verlangen, seine Verpflichtungen einzuhalten. Und welchen Verpflichtungen die Palästinenser nachkommen müssen, das ändert sich von Woche zu Woche. Denn wenn eine erfüllt wird, findet man eine andere. Die letzte Liste enthält drei, von denen sich zwei widersprechen. Erstens: Arafat muß den Terror bekämpfen. Zweitens: Die palästinensischen Sicherheitsorgane müssen auf 24.000 Mann reduziert werden. Wie erreicht man mehr Sicherheit mit weniger Sicherheitsbeamten? Das muß man Netanjahu fragen. Und wie immer, wird er eine Antwort finden.
Da Arafat behauptet, daß er den Terrorismus erfolgreich reduziert habe, hat ein Komitee von israelischen, palästinensischen und US-Experten ein Dokument verfaßt, das klar die Schritte definiert, die die Erfüllung dieser Verpflichtung darstellen. Netanjahu hat dieses von seinen eigenen Generälen unterzeichnete Dokument einfach abgelehnt.
Was immer die Palästinenser tun, es wird von Israel nicht als Erfüllung ihrer Verpflichtungen anerkannt. Und deshalb wird Netanjahu nicht verpflichtet sein, irgend etwas aufzugeben. Seine Koalition erlaubt es ihm ja nicht, und er selbst will es sowieso nicht.
Alles andere ist Taktik. Clinton braucht einen Erfolg, um seine ziemlich jämmerliche Amtsperiode zu verschönern. Er muß auch seine arabischen Bundesgenossen, die vor ihren fundamentalistischen Gegner Angst haben, irgendwie beruhigen. Also fordert er Netanjahu höflich auf, doch bitte etwas Territorium aufzugeben.
Am liebsten möchte Netanjahu tun, was ihm am besten gelingt – das, was man in den USA, wo er ja zur Schule war, als Con-Trick bezeichnet. Also, seinem Partner ehrlich in die Augen zu blicken und ihm dabei etwas vorzumachen. Er möchte einen Rückzug von zwölf Prozent versprechen, diesen aber von unmöglichen Forderungen an die Palästinenser abhängig machen. Doch seine Koalitionspartner sind auch damit nicht einverstanden, und ihnen kann er schwer etwas vormachen. Sie kennen ihn nämlich.
Vorgestern kam nun Dennis Ross, der US-Unterhändler. Denn Clinton will den Schein wahren, daß der „Friedensprozeß“ weitergeht. Weil Netanjahu weiß, daß nichts dahintersteckt, droht er den USA mit einer „Konfrontation“ – also damit, den Kongreß gegen das Weiße Haus auszuspielen. Von den zwölf Prozent ist er abgerückt, nun spricht er von sechs Prozent. Ross trabt in diesem Spiel nutzlos hin und her. Und Netanjahu riskiert einen Zwist mit den USA, mit seinen Koalitionspartnern und der gestärkten Opposition.
Wie wird er sich aus dieser Krise befreien? Ich wette, es wird ihm gelingen. Bis zur nächsten und übernächsten Krise. Und irgendwann wird es plötzlich mit ihm aus sein. Hoffentlich nicht zu spät. Uri Avnery
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