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Islam-Theoretiker Ramadan"Sexualität ist fein"

Lust und Begehren passen sehr wohl zu Religiösität - auch zum Islam, meint Tariq Ramadan, der Theoretiker des Euroislam.

Streitbarer Theoretiker: Tariq Ramadan Bild: ap

taz: Herr Ramadan, es ist viel von der Rückkehr der Religionen die Rede. Was suchen junge Leute, die sich für den Islam begeistern?

Tariq Ramadan: Das ist ja nicht nur eine Sache der Muslime. Wir können das auf der gesamten Welt feststellen: Man wendet sich der Religion zu, weil man Sinn sucht. Es gibt eine Sehnsucht nach den spirituellen Dimensionen des Daseins.

Und das suchen die jungen Muslime auch?

Ja, aber es gibt noch ein paar zusätzliche Gründe: Es gibt die spirituellen Bedürfnisse, es gibt den Druck aus der Gesellschaft, die dem Islam ein derart negatives Image verleiht, dass viele sagen: "Dann will ich erst recht ein Muslim sein." Soziale Probleme spielen eine Rolle. Das ist sehr komplex. Aber was mir wichtig ist: Wenn sich Muslime dem Islam wieder verstärkt zuwenden, dann muss das und darf das nicht heißen, dass sie die Fäden mit der sie umgebenden Gesellschaft abreißen. Und das ist ja auch gar nicht der Fall. Ein großer Teil derer, die sich der Religion zuwenden, sind Studenten.

Vielleicht ist ja gerade das das Problem. Intellektuelle begeistern sich dann nicht für den traditionellen Alltagsislam, sondern neigen zu Rigorosität, zu Eiferertum.

Ja, das kann sein. Die Leute, die in terroristische Akte involviert waren, sie waren gut ausgebildet, sie waren sozial integriert, sie waren kulturell integriert.

Teilweise waren sie nicht einmal als Muslime geboren.

Einige, ja. Aber wir sollten auch hier bei den Fakten bleiben: Die meisten, die sich der Religion zuwenden, studieren fleißig weiter und werden keine Terroristen. Sie entfremden sich keineswegs der Gesellschaft.

Die Frömmler in allen monotheistischen Religionen - nicht nur im Islam, aber eben besonders aktuell im Islam -, haben diese Haltung: Die Gesellschaft ist niedrig. Überall nur Suche nach Spaß, nach Lust. Jeder ist getrieben von Hedonismus und sexuellem Appetit. Meine Frage: Was ist so schlecht am sexuellen Appetit?

Nichts ist schlecht am sexuellen Appetit. Da haben Sie ganz Recht. Sexualität ist kein Problem. Spaß und Lust sind kein Problem. Fantasien sind kein Problem. Menschen sollen ihre Natur akzeptieren, aber sie brauchen auch eine ethische Basis. Das ist ein ganz wichtiges Prinzip, nicht nur für die Religionen, auch für jede humanistische Philosophie.

Aber sind diese Religionen, mit ihrer Gewaltgeschichte, mit ihren mordlüsternen "Heiligen Schriften", tatsächlich Ressourcen für Moral? Glauben Sie das wirklich?

Aber sicherlich!

Aber das sind doch gewaltverherrlichende Schriften!

Aber es kommt darauf an, wie wir sie lesen. Jedes Buch, das wir auf dogmatische Weise lesen, kann gefährlich werden. Wir müssen sie als ethischen Leitfaden lesen, den Menschen sagen: "Sexualität ist fein. Aber folge doch ethischen Prinzipien, wenn du ein praktizierender Muslim bist."

Wozu braucht diese Ethik Religiosität? Welche ethischen Werte können Sie nicht haben, wenn Sie nicht religiös sind?

Das sage ich doch gar nicht. Ich kenne viele Leute, die Agnostiker sind, die Humanisten sind und sehr moralische Menschen. Aber Sie fragen von außerhalb des religiösen Feldes. Ich sage von innen: Die Religiosität ist meine Antwort auf die Frage nach dem Sinn. Und auf Basis dieser Antwort formuliere ich eine Ethik, die mir und anderen religiösen Menschen erlaubt, mit Ihnen zusammenzuleben. Ich frage Sie ja auch nicht: Warum brauchen Sie den agnostischen Rationalismus?

Sie reisen herum als Modell für den Euroislam. Warum sagen Sie Ihren Leuten nicht: Vergessen wir das mit der Religion!

Aber ich bin doch ein Gläubiger!

Finden Sie nicht auch die Überbewertung der religiösen Identitäten im öffentlichen Diskurs beunruhigend? Plötzlich heißt es: "Wir" gegen "Sie". Die religiösen Diskurse vergiften doch alles.

Grundsätzlich vergiften sie gar nichts. Ich glaube an diese Religion, an ihre Riten und ihre Werte. Das sage ich zu meinen Mitbürgern in Europa: Fordert mich nicht auf, dass ich weniger Muslim sein muss, um mehr ein Bürger zu werden. Wir müssen einen Zustand akzeptieren, den es gibt - ob Sie oder ich das nun wollen oder nicht. Ich plädiere für ein "neues Wir". Wir teilen gemeinsame Werte und wir können uns als Bürger verständigen, davon bin ich überzeugt. Das Hauptproblem ist Dogmatismus auf beiden Seiten. Wir haben Menschen, die in diese Gesellschaften einwandern, mit ihren Kulturen, mit ihren religiösen Traditionen. Die neuen Generationen sind einfach sichtbarer als die Einwanderer vor dreißig Jahren. Auf der einen Seite redet man über Integration, auf der anderen Seite haben die Menschen eine Identitätskrise und suchen Halt bei der Religion. Diese objektiven historischen Faktoren führen zu dieser Debattenlage. Wir können nicht sagen: Weg mit der Religion. Wir können aber auf beiden Seiten den Dogmatismus bekämpfen, der zur Polarisierung führt.

Dass sich ein Einwanderer primär als "Muslim" versteht, ist doch überhaupt nicht selbstverständlich. Dass er primär als "Muslim" wahrgenommen wird, ebenso wenig. Diese Zuschreibungen sind doch Ideologie und keineswegs etwas Notwendiges, Objektives.

Jeden Tag in meinem Leben höre ich das Wort "Integration". Wenn immer das Wort "Integration" fällt, sendet man eine Botschaft an jemanden, dass er noch einen weiten Weg zu gehen hat, bis er dazugehört. Die Leute haben Arbeit, sie leben hier, aber man sagt - sie gehören nicht dazu. Warum gehören sie nicht dazu? Wegen ihrer Religion, wegen ihrer Kultur. Die wird dann auch zur Selbstabgrenzung benutzt. Wir haben hier einen Teufelskreis. Wir beleben damit die religiösen Diskurse. Es gibt Probleme? Ja. Aber essentialisieren wir sie nicht, islamisieren wir nicht soziale Probleme. Das wird dann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Und dramatisieren wir die Probleme nicht. Die Dinge bewegen sich doch in eine positive Richtung. Innerhalb von zwei Generationen haben sich die muslimischen Communities unglaublich verändert. Die Frauen arbeiten, sie übernehmen Verantwortung in den Communities, sie engagieren sich für mehr Freiräume und Liberalität, sie führen das Leben, das sie für richtig halten. Das muss nicht das Leben sein, das ein agnostischer Rationalist für richtig hält, aber es ist ihre freie Wahl, die freie Wahl der Frau. Die Dinge bewegen sich.

INTERVIEW: ROBERT MISIK

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3 Kommentare

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  • S
    SGröne

    Die ersten beiden Kommentar-Verfasser sollten sich mal Gedanken über den Blech machen, der in der Bibel steht und den Mist, der im Namen des Christentums verzapft wurde.

     

    Es gibt nicht "den Islam". Und wer die Bibel tatsächlich schon mal in der Hand hatte, der wird auf fast jeder Seite über Passagen stoßen, die einer Auslegung bedürfen und alles andere als "unmißverständlich" sind.

     

    Ich kann die Ausführungen, und auch die Hoffnungen, von Tariq Ramadan nur unterstützen. Man kann sich nur wünschen, dass er mehr Einfluss in der Diskussion bekommt.

  • DD
    Dr. Dietmar Holtgrewe

    Ich lese zum wiederholten Male in einem Interview mit einem Islamwissenschaftler, das was im Koran steht, wäre gar nicht so gemeint, wie es da steht, sondern man müsse den Koran anders lesen, nämlich "richtig lesen".

     

    Herr Ramadan und seine Kollegen könnten sich um den interkulturellen Dialog sehr verdient machen, indem sie eine deutsche Ausgabe des Korans herausgäben, der in einer unmißverständlichen Form geschrieben ist, die man so verstehen könnte, wie man sie liest.

    Wenn diese Version dann mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung kompatibel ist, könnte sie als für den Gebrauch in den deutschen Moscheen und Koranschulen verbindlich erklärt werden.

    Die Basis für ein friedliches Miteinander wäre damit gelegt.

  • JG
    jean gerber

    Das gesamte Interview entspricht nicht der Realität. Nur Wunsch-Theorien ! Der Islam wünscht keine Integration - denn dies bedeutet Unterwerfung an andere Lebens- und Gesellschaftsformen. Der Koran lässt keine Kritik oder Weiterentwicklung zu. Daher ist der Islam auch keine Religion sondern eine IDEOLOGIE. IDEOLOGIEN sind NICHT INTEGRIERBAR. das ist eine traurige Wahrheit und hat nichts mit Ausschliessen oder Fremdenhass zu tun. DER ISLAM schliesst sich selber aus und hat seine eigenen gesellschaftlichen strukturen entwickelt.z.Bsp.eigene Moschee-Zentren in denen man unter sich alles Lebensnotwendige abwickelt.