piwik no script img

Iron Maiden Konzert in BremenMit der Dorfbevölkerung ins Gedränge

Er war nie wirklich Fan von Iron Maiden, sagt unser Kolumnist. Für das Konzert der Metal-Band ist er dennoch in die Stadt gefahren. Er war nicht allein.

Der Schrecken des Metal: Iron-Maiden-Sänger Bruce Dickinson bei der aktuellen Tour mit Horror-Maskottchen „Eddie“ auf einer Bühne Foto: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

A cht Wochen lang war ich nicht in der Stadt, acht Wochen lang habe ich sie nicht sonderlich vermisst. Ich war krank und mit mir beschäftigt und hatte vielleicht zum ersten Mal seit dem Umzug in den Speckgürtel so was wie ein Gefühl von Einkehr. Oder jedenfalls doch überdurchschnittlich viel Ruhe von sehr viel Mist da draußen. Das war gut, richtig und vernünftig – wurde schließlich aber doch dermaßen langweilig, dass ich mir zur Feier der Genesung ein Ticket für das Großkonzert von Iron Maiden gekauft habe: eine Krawallveranstaltung, deren Kirmesfaktor auch dann schon durch die Decke gegangen wäre, wenn nicht auch noch das halbe Dorf mit in die Stadt gekommen wäre.

Lässt man sporadische Festivalbesuche beiseite, war ich noch nie auf einem Konzert dieser Größenordnung. Überhaupt sind mir solche Menschenmassen fremd. Ich gehe nicht zum Fußball, meide den Jahrmarkt und fühle mich auf Demos spätestens ab vierstelliger Teil­neh­me­r:in­nen­zahl meist so überflüssig, dass ich gar nicht erst hingehe. Selbst meine gelegentlichen Reisen zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass sich am Ziel noch weniger Menschen aufhalten als zu Hause.

Warum stehe ich jetzt ausgerechnet bei Iron Maiden im Gedränge?

Warum stehe ich jetzt also ausgerechnet bei Iron Maiden im Gedränge? Zwischen 35.000 anderen Menschen? An seligen Jugenderinnerungen liegt es jedenfalls nicht, auch wenn mir die historische Stückauswahl der „Run for Your Lives World Tour“ (nur die ersten neun Alben, keine Songs nach 1992) an diesem Abend durchaus entgegenkommt.

Ich war zwar nie wirklich Fan, kenne aber zumindest alle Lieder dieser Best-of-Frühwerk-Veranstaltung und werde mich im Verlauf des Abends selbst ein bisschen über meine Textsicherheit wundern. Vor allem sind zwei sehr gute Freunde hier, und die anderen Menschen zwar zu viele, aber trotzdem irgendwie auch alle ganz süß … auf Metal-Art.

Das abgesteckte Gelände auf der Bremer Bürgerweide platzt aus allen Nähten. Selbst hinten ist es voll, wo Musikanten und Horrorfigürchen nur noch auf den Monitoren zu erkennen sind. Wo weiter vorne irgendwann sogar der Weg zur nächsten Theke beschwerlich wird, pflügen sich lustige Menschen mit „Ghost Busters“-artigen Tanks auf dem Rücken wie lebende Zapfanlagen durch die Menge. Sieben Euro kostet der Becher Bier.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und wie gesagt: Das halbe Dorf ist auch hier. Schon am Bahnhof im Speckgürtel waren auffällig viele schwarze, auffällig martialisch bedruckte Shirts zu sehen. Manche dieser Menschen sehe ich mehrmals die Woche vor der Schule, beim Einkaufen oder beim Sport, und nie im Leben käme ich auf die Idee, sie mal auf einem Konzert zu treffen.

Dass Metal bis ins Mark verbürgerlicht ist, überrascht nun niemanden – umgekehrt ist es aber schon ein eigenwilliges Schauspiel, der Vermetalung der Bür­ge­r:in­nen beizuwohnen. Auf der Rückfahrt später ist dieser lustige Augenblick längst hegemonial: Statt wie sonst von Bahn, Schulausfällen und Werder handeln heute wirklich alle Gespräche im Abteil von Maiden, Metal und der Show.

Dabei gäbe es darüber eigentlich auch nach dem Spektakel wenig Neues zu berichten: Die Setlist war seit Wochen bekannt, Merchandiseauswahl und -preise längst Thema in der Lokalpresse. Die dritte Zugabe endete auf die Minute pünktlich wie im Guide zu An- und Abreise versprochen. Das alles ist zugegebenermaßen sehr praktisch, auch wenn einen die komplette Abwesenheit von Spontaneität doch ein bisschen wehmütig werden lässt. Ich könnte nicht mal genau sagen, wonach – aber es wird schon sonderbar eng auf dem endlos weiten Platz, wo alles durchgetaktet und viel zu teuer ist. Man könnte auch sagen: ein ganz normaler Kurzurlaub.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteur und CvD
Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!