: Irischer David beißt US-Goliath
■ Chemiemulti muß wegen giftiger Emissionen Schadensersatz an einen Bauern zahlen / Von R. Sotscheck
Die konservative irische Europa-Abgeordnete Mary Banotti ahnte schon am vergangenen Dienstag die Folgen: „Bisher hatten die meisten Menschen Angst, gegen große Konzerne und all ihre wissenschaftlichen Beweise vor Gericht zu ziehen, weil sie keine Hoffnung auf Erfolg hatten. Aber jetzt wird sich das ändern.“ Soeben hatte Irlands oberster Gerichtshof den US-Pharma-Multi Merck, Sharpe & Dohme verurteilt, an einen Farmer Schadensersatz zu zahlen. Das Gericht sah es als genügend wahrscheinlich an, daß giftige Emissionen aus den Schornsteinen seines irischen Zweigunternehmens zu Gesundheitsschäden bei dem Farmer und zum Tod seiner Rinderherde geführt haben.
„Von dem Schadensersatz einmal abgesehen - vor allem bin ich froh über das Urteil, weil es meinen Nachbarn beweist, daß ich nicht völlig plemplem bin.“ Farmer John Hanrahan ist erleichtert. Für ihn geht ein langer Kampf vor den Gerichten zu Ende - der längste Zivilstreit in der irischen geschichte. (Nur über die Höhe der Schadensersatzzahlung muß jetzt noch der High Court entscheiden - dasselbe Gericht, das ihn in der ersten Instanz abgewiesen hatte.)
Hanrahans Farm liegt in Ballydine und gehört zur Grafschaft Tipperary im Süden der Insel. Einst wurde sie vom Landwirtschaftsministerium als Musterfarm ausgezeichnet. Doch seit 1976 ging es rapide bergab: Damals eröffnete Marck, Sharpe & Dohme, der Welt zweitgrößter Pharma -Produzent, sein irisches Zweigwerk. Von der Giftmüll Verbrennungsanlage, nur wenige Kilometer von Hanrahans Farm entfernt, wehte jetzt oft ein strenger Geruch herüber.
Doch blieb es nicht bei unangenehmen Düften. Bei Hanrahan traten Atmungsbeschwerden auf, seine Frau Selina leidet seit einer Explosion in der Fabrik unter Gebärmutterkrämpfen. Trotz mehrerer Beschwerden bei Merck & Co. und bei den Behörden tat sich nichts. Die für die Messung der für Emissionen zuständige Behörde war von Anfang an darauf bedacht, den Pharma-Konzern reinzuwaschen und veröffentlichte nur unvollständige oder frisierte Untersuchungsberichte.
1979 verschlechterte sich die Situation drastisch. Hanrahan hatte jetzt ständig Atmungsprobleme und Schmerzen in der Brust, was ihm einige Krankenhausaufenthalte einbrachte. Die Milchproduktion seiner Rinderherde sank beträchtlich, deformiert geborene Kälber und Zwillingsgeburten häuften sich. Im Jahr 1981 starben 67 Rinder. Ende 1986 waren schon insgesamt 200 Tiere tot. Der Tierarzt riet davon ab, die noch lebenden Tiere an die Fleischfabriken zu verkaufen sie seien nicht zum Verzehr geeignet. 1982 starb Hanrahans Hund an Krebs. Auffällig war auch der Pflanzenwuchs. Das Gemüse erreichte ungekannte Größen, die Blumenkohlköpfe wurden riesig wie Fußbälle. 1982 verklagte Hanrahan schließlich Merck, Sharpe & Dohme, nachdem er aus Gesundheitsgründen in die Stadt ziehen mußte.
Das Zweigwerk Ballydine gehört dem US-amerikanischen Pharma -Multi, der 1953 durch die Fusion von Merck (1668 in Darmstadt gegründet) mit Sharpe & Dohme entstanden war. Es beschäftigt 260 Leute und produziert hauptsächlich pharmazeutische Grundstoffe, die zur Weiterverarbeitung an andere Niederlassungen exportiert werden. In den USA war Merck & Co. schon in verschiedene Skandale verwickelt. Jessica Mitford schreibt in ihrem Buch „Cheaper than Chimpanzees“ (Billiger als Schimpansen), daß die Firma seit 1963 Gefangene als Versuchsobjekte für Medikamente benutzte. Erst auf Druck der Öffentlichkeit stellten die meisten Gefängnisbehörden wegen der vielen Todesfälle die Tests 1969 ein. Der britische Girwood-Bericht über medikamentenbedingte Todesfälle machte Anfang der 70er Jahre zwei Merck-Präparate (Tryptizol und Indocid) für jeweils 50 Todesfälle verantwortlich. Beide Präparate werden heute in Ballydine produziert.
Vor dem High Court, in erster Instanz, gab der Konzern zu, die Betriebsgenehmigung für die Giftmüll-Verbrennungsanlage in Ballydine verletzt zu haben. Im Jahr 1981, dem Jahr der höchsten Todesrate unter Hanrahans Rindern, arbeitete die Anlage mit Temperaturen unter 500 Grad, obwohl 750 Grad vorgeschrieben sind. Der Pharma-Konzern räumte ein, daß niemand genau wisse, welche Chemikalien bei der unvollständigen Verbrennung ihres Giftmülls entstünden. Mehrere Tierärzte fanden Chemikalien, darunter Dioxine, in den Lungen von Hanrahans Rindern. Dennoch verlor Hanrahan Ende 1985 den Prozeß.
Hanrahans Anwälte stützten sich in der Berufungsverhandlung hauptsächlich darauf, daß der Richter diese Tatsachen nicht ausreichend berücksichtigt habe. Mit dem einstimmigen Urteil zu Hanrahans Gunsten hat das höchste irische Gericht jetzt einen Präzedenzfall geschaffen. Zum ersten Mal in einem Umweltprozeß mußte der Kläger nicht eine lückenlose Beweiskette aufstellen, sondern das Gericht entschied nach dem Prinzip der „höchsten Wahrscheinlichkeit“. Dementsprechend wurde das Urteil von Umweltschutzgruppen und den irischen „Grünen“ begrüßt. Ein Sprecher der Partei: „Dieses Urteil gibt allen kleinen Davids Mut im Kampf gegen die Goliaths dieser Welt.“
In Hanrahans Heimatort stieß das Urteil dagegen auf wenig Freude. Seit Beginn des Rechtsstreites ist Familie Hanrahan isoliert; viele Geschäftsinhaber weigern sich, die Hanrahans zu bedienen. Die meisten fürchten, Merck, Sharpe & Dohme, der weitaus größte Arbeitgeber in der Gegend, werde nach diesem Urteil sein Zweigwerk schließen. Außerdem könnte das Urteil schwerwiegende Folgen für Neu-Investitionen ausländischer Firmen in Irland haben. In den letzten 20 Jahren hat sich die Pharma-Produktion zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Faktor in Irland entwickelt. Ein Fünftel des Bruttosozialprodukts wird hier geschaffen, davon 80 Prozent alleine von US-Konzernen. Das US-Magazin 'Multinational Monitor‘ schreibt, dieser Boom laufe parallel zur Verschärfung der Arbeits- und Umweltgesetze in den USA. Das habe „die US-Konzerne veranlaßt, ihre Risiken in unterentwickelte Länder wie Irland zu exportieren.“ Irland ist von diesen Investitionen extrem abhängig und lockt ausländische Firmen mit Steuererleichterungen, Investitionszuschüssen und laschen Umweltgesetzen. Die Profitrate der US-Investitionen in Irland liegt bei durchschnittlich 31,7 Prozent - gegenüber einem weltweiten Durchschnitt von 13,2 Prozent.
Hanrahan, der mit dem Prozeß seine finanzielle Existen aufs Spiel gesetzt hatte, forderte nach der Urteilsverkündung die Ärzte auf, genauere Untersuchungen über bestimmte Krankheiten in Ballydine anzustellen. „Ich bin ja nicht der einzige, der durch Merck, Sharpe & Dohme geschädigt worden ist“, sagte er. „Die anderen sind bloß vor dem übermächtigen Konzern zurückgeschreckt.“
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