Irgendwas stinkt

AFD Gefährliche Demagogen oder harmlose EU-Skeptiker? Wer ist diese Alternative für Deutschland – und wer hört ihnen zu? Begegnungen vor der Europawahl am 25. Mai

VON NINA APIN

Ein nasskalter Dienstag im April. Die Alternative für Deutschland (AfD) hat zum Pressefrühstück in die Landesgeschäftsstelle in Schöneberg geladen. Weißes Büromobiliar, auf dem Tisch Kekse und Getränke. Das Personal der gerade mal ein Jahr alten Euro-Kritiker-Partei trägt konservativen Chic: weiße und rosafarbene Hemden, Krawatten, marineblaue Blazer.

Spinner? Eiferer?

Einzig Hans-Olaf Henkel, hinter dem Bundesvorsitzenden Bernd Lucke Spitzenkandidat für die Europawahl, schlappt leicht verspätet und mit lässigem Grinsen, in Cordhose und Wollpulli, herein. Fast wirkt es, als amüsiere sich der ehemalige Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie über die streberhafte Aura seiner Parteifreunde. Geduldig wartet er, bis der Geschäftsführer den Berliner Landesverband als „Hort der Stabilität“ gepriesen und alle Anwesenden vorgestellt hat.

Wie radikale Spinner sehen die nicht aus. Auch nicht wie einfältige Leute, die sich ein verschwörerisches Weltbild gezimmert haben – oder wie hasserfüllte Eiferer. Wer aber sind sie dann?

Henkel beginnt zu reden: Er beklagt, dass „Altparteien“ und Medien die AfD in die rechtspopulistische Ecke gedrängt hätten. Dass deshalb in Massen die Falschen eingetreten seien, die man nun mühsam wieder entfernen müsse. Er spricht von einer „internen Säuberungswelle“ – niemand im Raum zuckt zusammen.

Henkel betont die liberalen Elemente der Partei, für die er in diesem Wahlkampf sein Gewicht als weltläufiger Wirtschaftskapitän und eine Million Euro seines Privatvermögens in die Waagschale wirft: Die AfD sei gegen Vorratsdatenspeicherung, gegen einen gesetzlichen Mindestlohn und für ein Arbeitsrecht von Asylbewerbern. „Das steht noch nicht mal im Europaprogramm der Grünen!“, ruft Henkel triumphierend. Das stimmt zwar nicht, aber niemand im Saal widerspricht ihm. Im Übrigen, sagt Henkel, wolle man weder die D-Mark wiederhaben noch raus aus dem Euro. Man wolle nur ein besseres, ein unbürokratischeres Europa. Was, bitte schön, sei daran populistisch?

Hinter Henkel hängt ein Wahlplakat der AfD: „Solide Währungsunion statt Euro-Schuldenwahn“.

Im Saal vor Henkels Rednerpult sitzen unter anderem: ein Westberliner Unternehmer mit Gattin, ein abtrünniger SPDler, einige Volkswirte. Hugh Bronson, Listenplatz zwölf, Mitarbeiter der renommierten britischen Wochenzeitung Economist mit englischer und deutscher Staatsbürgerschaft, erzählt in lockerem Plauderton von seinem Treffen mit Mitgliedern der Kommunistischen Partei – kluge Leute seien das, mit denen man einige Schnittmengen habe. Mehr als mit den dogmatischen Grünen jedenfalls. Auch ein RBB-Journalist ist gekommen. Er sagt, er sei in die AfD eingetreten, weil ihn das undemokratische Gebaren der EU-Demokraten empöre: „Warum müssen Bürger Einschnitte hinnehmen? Und in der EU-Direktion sitzen 55.000 hochbezahlte Mitarbeiter.“

Götz Frömming, Pressesprecher des Berliner Landesverbands, Gymnasiallehrer, gebürtiger Bayer und 2013 auf der Liste für die Bundestagswahl, outet sich beim Imbiss als ehemaliger Aktivist des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Bei den Anti-Atom-Protesten in Brokdorf sei er dabei gewesen und im Wendland. Mehr als saurer Regen und Atomausstieg treibe ihn derzeit die „EU-Fremdherrschaft“ um, dieser Bürokratie-Krake im fernen Brüssel.

In der Schöneberger Geschäftsstelle sitzen an diesem regnerischen Apriltag Menschen zusammen, die das Gefühl haben, von einer ausufernden EU-Bürokratie gegängelt zu werden. Aber ist das schon alles? Da muss doch noch mehr sein. Was ist mit den Wahlplakaten draußen, die fordern: „Einwanderung braucht klare Regeln“?

Betuchtes Bürgertum

Drinnen, im Konferenzraum, spricht Henkel davon, dass es nicht nur offensichtlich sei, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland sei – sondern auch gut so. Sprechen so Rechtspopulisten?

Wenige Tage später. Wahlkampfveranstaltung mit den Berliner Europawahlkandidaten Henkel, Beatrix von Storch und Bronson, im Bürgersaal Zehlendorf. Erreicht die AfD ihr Ziel von sieben Prozent, haben die ersten beiden gute Chancen auf den Einzug ins Europaparlament. Welches Publikum ziehen die Werbeveranstaltungen der AfD an, in welchem Rahmen präsentiert sich die Partei?

Im Foyer ein Werbebanner der Jungen Freiheit: „Wo alle einer Meinung sind, wird meistens gelogen“. Jeder Besucher wird mit einer Junge-Freiheit-Tasche beschenkt. Darin: Süßigkeiten, und eine Ausgabe der Rechtsaußen-Wochenzeitung. Der Aufmacher: die AfD und das „Spiel mit der Macht“.

Auf einem Büchertisch sind die Werke von Hans-Olaf Henkel neben Thilo Sarrazins „Tugendterror“ und Publikationen von JF-Chefredakteur Dieter Stein drapiert. Eine Koalition derer, die sich vom Mehrheitsdiskurs unterdrückt sehen.

Wie sieht es bei den Besuchern im Saal aus, bei den potenziellen Wählern?

Dort hat überwiegend gutbetuchtes Bürgertum fortgeschrittenen Alters Platz genommen, darunter viele Ehepaare. Erst redet Bronson. Über seine unübersichtliche Stromrechnung und Windräder im Wattenmeer. Über „Staatsabzocke“ bei der Energiewende und „identitätszerstörende“ EU-Erweiterung. Applaus.

Dann tritt von Storch vor das Rednerpult. Die Anwältin, die seit Jahren für christlich-ultrakonservative Vereine lobbyiert, spricht schnell und erregt – umso mehr Bedacht legt sie auf ihre Wortwahl, inhaltlich beschränkt sie sich auf Kritik am „zentralistischen EU-Staat“. Kein Wort über ihre ultrakonservativ-christlichen Ansichten zu Familien-und Geschlechterpolitik, mit denen sie selbst in der Partei aneckt.

Im Burschenschaftskeller

Nach der Frau mit dem starren Blick und der gestärkten Bluse Auftritt Henkel. Zeit für ein paar Lockerungsübungen – joviale Witze über den Namen des Moderators: Wer einen Döhnert in der Partei habe, könne ja wohl schlecht als ausländerfeindlich gelten. Großes Gelächter. Was Henkel nicht sagt: Der Burschenschaftler Peer Lars Döhnert arbeitet nicht nur für die AfD, sondern war, zumindest bis 2012, auch für die Junge Freiheit tätig.

Zum Vorwurf, die AfD sei homosexuellenfeindlich, dröhnt Henkel: „Ja, muss ich erst meine Verlobung mit Bernd Lucke bekannt geben, damit das aufhört?“

Stimmung im Saal. Dann ist Henkel wieder ganz Wirtschaftsexperte, er doziert über Marktwirtschaft und Wettbewerb. Entweder die südeuropäischen Krisenländer müssten raus aus dem Euro. Oder wir. Oder jeder kriegt seine eigene Währung. Herren mit Einstecktüchern im Sakko nicken ihren Gattinnen zu, junge Männer schauen ernst: Gut, dass das mal einer sagt!

Expliziter wird es aber nicht. Den ganzen Abend kein Wort über christliche Werte, die es gegen Fremde zu verteidigen gelte – in Sachsen fordert die AfD immerhin ein Minarettverbot und eine Deutsche-Musik-Quote im Radio. In Zehlendorf kein Wort dazu, auch nichts über Frauen, die zu Hause bleiben sollen, oder über Homosexualität, die der AfD-Bundesvorsitzende Bernd Lucke öffentlich ablehnt.

Und doch: Da ist eben auch die selbstverständlich zur Schau getragene Nähe zur Jungen Freiheit – und der Ausklang des Zehlendorfer Abends in einem Burschenschaftskeller. „Etwas unglücklich“, schreibt Pressesprecher Frömming am nächsten Morgen zerknirscht per Mail. Ist das eine Distanzierung – oder nur Taktik einer taz-Reporterin gegenüber?

Anruf bei Carsten Koschmieder im Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Der Politologe beobachtet die neue Partei seit ihrer Entstehung im Februar 2013. Die AfD, sagt Koschmieder, erfinde eine neue Art von Rechtspopulismus: „Die Leute auf den vorderen Plätzen wissen sehr genau, was man sagen kann, um in unserer Demokratie ernst genommen zu werden.“ Offene Hetze oder rechte Parolen seien in Deutschland verpönt – hintenrum aber agitiere die AfD gegen Ausländer und Schwule und spreche von „entarteter Demokratie“.

Ein Rezept, das beim Wahlvolk gut ankomme, meint Koschmieder. Seine Prognose: Als „liberal-konservative Partei mit versteckt-rechtspopulistischem Anklang“ habe die AfD durchaus das Zeug dazu, sich in der bundesdeutschen Parteienlandschaft zu etablieren. Vorausgesetzt, sie schaffe es, sich intern zu einer halbwegs einheitlichen Linie durchzuringen.

Momentan gebe es in der Partei noch zwei dominante Strömungen, so Koschmieder. Über die marktliberale Grundausrichtung seien sich alle in der Partei einig. Darüber hinaus ständen sich auf gesellschaftspolitischer Ebene zwei Positionen gegenüber: Eine eher liberale, die in die FDP-Lücke stoße. Und eine ultrakonservative, die sich rechts von der Merkel-CDU positioniere. Letztere gewinnt seinem Eindruck nach an Einfluss.

Hier, sagt Koschmieder, liege die Gefahr: „Wenn Leute von der AfD dauernd in Talkshows Dinge sagen, die ‚man ja wohl mal noch sagen darf‘, dann verschiebt das den politischen Diskurs. Auch weil andere Parteien wie die CDU sich von Rechtsaußen-Positionen nach rechts treiben lassen.“

Ist die AfD also ein Haufen cleverer, rhetorisch gewandter, und wandelbarer, Demagogen– oder ist sie im Inneren tatsächlich gespalten, in ein marktliberales und in ein ultrakonservatives Lager?

Treffen mit Götz Frömming. In welcher Partei fühlt einer wie er sich zu Hause? Der ehemalige Umweltaktivist, zuvor bei den Freien Wählern aktiv, entwirft ein Bild von einer AfD, die weltoffen ist: Familiensplitting auch für homosexuelle Ehepaare. Deutschland als Einwanderungsland, das nicht weniger Flüchtlinge und Einwanderer als bisher aufnehmen solle – aber feste Kontingente müsse es geben. Er spricht über eine notwendige Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetz. „Wir sind allenfalls liberal-konservativ, aber nicht rechts.“

Die offensichtliche Nähe zur Jungen Freiheit? Man hätte auch jede andere Zeitung genommen, sagt Frömming.

Der umjubelte Auftritt des Verschwörungstheoretikers Jürgen Elsässer neulich bei einer AfD-Kreisveranstaltung in Dahlem? Elsässer gehört zu den größten Verteidigern Sarrazins. Ach, es gebe eben ein paar sehr konservative Bezirksverbände im Westen der Stadt, sagt Frömming. Im Übrigen habe man eine parteiinterne Aufnahmesperre für Mitglieder der NPD und der rechtspopulistischen Kleinstpartei Die Freiheit erlassen.

Das Prinzip Gullydeckel

Dass Beatrix von Storch, die vermutlich bald im EU-Parlament sitzende AfD-Spitzenkraft, auf katholischen Portalen gegen Abtreibung und Homoehe hetzt? Frömming macht eine wegwerfende Handbewegung. Er selbst sei mit 18 Jahren aus der Kirche ausgetreten – und komme mit Frau von Storch bestens aus. Es gebe im Übrigen auch eine „starke Homo-Polit-Fraktion“ in der Berliner AfD.

Es gibt aber auch die Burschenschaftler, die Klimwandel-Leugner und die sächsischen Islam-Gegner. Kommt darauf an, was man sehen mag.

Mit der AfD, sagt ein Kollege, sei es wie mit einem Kanaldeckel. Geschlossen falle er nicht weiter auf. Aber öffne man ihn nur ein paar Zentimeter weit, werde es schnell unappetitlich.