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Iranischer Twitterer bleibt stummWo ist persiankiwi?

Er gilt als einer der wichtigsten seriösen Twitterer aus dem Iran. Seine Berichte waren nüchtern und meist korrekt. Am Mittwoch änderte sich der Ton, wurde fast panisch. Nun ist er stumm.

Die genaue Identität ist nicht bekannt - der oder die Betreiber des Twitter-Accounts müssen anonym bleiben. Bild: screenshot twitter.com/persiankiwi

"Persiankiwi bist du in Ordnung?", diese bange Frage stellt im Moment nicht nur der Twitter-User "justicetoday". Viele Twitterer stellen dieselbe Frage, besonders die, die derzeit aus Solidarität mit der iranischen Reformbewegung ihre Profilbilder in Grün eingefärbt haben. "Hat jemand von persiankiwi gehört?" fragt auch Tbazz215. "Ich werde nervös."

Die Sorgen sind verständlich, denn seit Mittwoch Spätnachmittag ist persiankiwi verstummt. So lange hat er bislang nicht pausiert. In 10 Tagen hat er imposante 823 Kurznachrichten geschrieben.

Und seine letzten Botschaften vom Mittwoch waren zunächst aufgeregt, schließlich etwas panisch, bevor er seinen bislang letzten Tweet publizierte: "Allah, du bist der Schöpfer von allen und alle müssen zurück zu Dir – Allah Akbar."

An diesem Mittwochnachmittag war persiankiwi seinen Einträgen zufolge am Baharestan Platz in Teheran. Nach Angaben der Reformbewegung wollten sich hier mehrere Tausend Menschen versammeln, um gegen die Wahl Ahmadinedschads zu demonstrieren. Doch die Polizei erstickte die Versammlung im Keim – und das mit großer Härte.

Persiankiwi wird von vielen Journalisten und Bloggern als glaubwürdige Quelle angesehen. Eine Position, die sich persiankiwi in den vergangenen zwei Wochen auch dadurch erarbeitet hat, dass er zum Beispiel die Meldungen über Panzer in Teheran dementierte. Offenbar zu Recht, denn bis heute gibt es keine weiteren Meldungen oder Zeugnisse davon, dass jemals die Armee ausgerückt ist.

Kein Wunder, dass seinen Berichten auf Twitter inzwischen über 38.000 Menschen folgen, bei Twitter heißen sie "Follower". Und seine Meldungen werden sehr oft retweetet, also von seinen Lesern weitergeleitet. Inzwischen sind die Twitterer und Blogger mehr oder weniger die letzten, die noch unabhängig aus dem Iran berichten können.

Persiankiwi startet seine Tweets zwei Tage nach der Wahl am Sonntagabend. Oft sind es rein informative Beiträge, wo und wann protestiert wird, was vor seinem Fenster passiert, wie man ungefiltert auf die Website von Mussawi zugreifen kann oder wer verhaftet wurde.

Dazu kommen Verhaltenstipps, seine SMS nach Versenden stets vom Handy zu löschen etwa. Oder Reifen anzuzünden, wenn Hubschrauber über dem Viertel kreisen, um sich dem Zugriff zu entziehen. Oder Appelle an alle "Menschen im Iraner", verfolgten Demonstranten Unterschlupf zu gewähren.

Es ist nicht ganz sicher, ob ein Mann, eine Frau oder vielleicht mehrere Personen hinter dem Pseudonym persiankiwi stecken. Einige Tweets legen nahe, dass es einer ist, vermutlich ein Mann.

Die etwas privateren Tweet zeichnen sich meist durch Optimismus aus. In der Nacht zum Montag nach dem ersten Protestwochenende, schreibt er etwa: "Habe seit dem frühen Samstagmorgen nicht geschlafen. Erschöpft. Aber wie soll man schlafen, während gerade Geschichte geschrieben wird." Eine Woche später vor den Protesten am Samstag, den 21. Juni, schreibt er "heute auf die Straße - für die Freiheit".

Dann kommt der vergangene Mittwoch. Mehrfach hat persiankiwi den Aufruf verbreitet zum Protest an diesem Nachmittag: "Wednesday 4pm Baharestan Sq, Tehran - Sea of Green". Gegen halb vier Uhr nachmittags kommt sein erster Tweet von dort. "Komme gerade vom Baharestan Platz - sie schlagen Leute wie Tiere". Überall Blut, die Polizei habe auf sie gewartet "es war wie eine Mausefalle". Er habe gesehen wie "7 oder 8 Milizionäre auf eine Frau mit Schlagstöcken einprügeln - sie hatte nichts zur Verteidigung".

Dann wird der Ton langsam besorgter: "So viele verhaftet ... wir verlieren unsere Gruppe". "Die Leute rennen in die Seitenstraßen und dort wartet die Miliz". Alle Läden seien geschlossen "man kann nirgendwohin".

Dann, um 17 Uhr 16 sendet er jene schreckliche Nachricht, die andere Oppositionelle bislang nicht bestätigen konnten. "In Baharestan sahen wir Milizen, die mit der Axt Leute wie Fleisch zerhackten - überall Blut." Andere Stimmen der Opposition berichten von drei bestätigten Toten.

Laut persiankiwi müssten es mehr sein. Offenbar erfasst ihn langsam Panik. "Sie fangen Leute mit Handy - so viele getötet heute - sie haben einen von uns gefasst".

Und dann "sie ziehen die Toten in Lastwagen - wie in der Fabrik - kein Mensch kann so etwas tun". Und dann erneut: "sie haben einen von uns, sie werden foltern und Namen kriegen - nun müssen wir schnell verschwinden." Nach dieser Meldung setzt er noch direkt im Anschluss zwei Nachrichten ab: "Leute erinnert Euch immer an unsere Martyrer".

Und schließlich um 17 Uhr 39 Iraner Zeit seine Lobpreisung Gottes als bislang letzter Tweet.

Die Pause muss aber nichts bedeuten. Schon häufiger hat persiankiwi solche Lobpreisungen getweetet. Vielleicht ist er nur untergetaucht, spekulieren auch viele Follower. Vielleicht hat er schlicht keinen Zugang mehr zum Internet. Vielleicht ist es aber auch viel schlimmer.

Update Freitagabend: Noch immer keine neuen Tweets von persiankiwi. Merkwürdigerweise aber folgt er inzwischen 42 Personen – einer mehr als noch am Nachmittag (siehe Foto). Offenbar tut sich doch etwas auf dem Account. Nur warum erscheinen dann keine neuen Meldungen?

Update Samstagmittag: Am Freitag tauchte ein neuer Account namens persiankiwi2 bei twitter auf. Er gibt sich als persiankiwi aus, nutzt dasselbe Profilfoto und behauptet, die Regierung habe das Passwort und den alten Account übernommen. Mehrere Twitter-User warnten, persiankiwi2 habe nicht dieselbe Tonalität, nutze andere hashtags (Schlagwörter auf Twitter) - und sei vermutlich eine Fälschung. Daraufhin wurden auf persiankiwi2 mehrere Einträge gelöscht, und der Account am Samstagvormittag praktisch neu gestartet. Es handelt sich anscheinend also wirklich um einen Fake.

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18 Kommentare

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  • W
    Whereistheirvote

    Laut einem anderen aktiven Blogger aus dem Iran ist Persian Kiwi nicht festgenommen, sondern hat keinen Internetzugang.

  • I
    InaBerlin

    Das kann nicht dein Ernst sein @Tyler!

    Wie kann jemand so d...lich, ignorant und zynisch sein und die Verhältnisse im Iran allen Ernstes mit den Verhältnissen in Dtl. gleichsetzen? Wann, um Himmels Willen, ist das letzte Mal in Dtl. jemand fürs as Twittern verhaftet worden oder wurde gar als Mitglied der Opposition im Gefängnis gefoltert? Jeder kann hier demonstrieren gehen, seine Meinung offen kundtun und Wahlergebnisse anzweifeln, wie es ihm beliebt, ohne deshalb sein Leben zu riskieren.

    Unfassbar, dieser lächerliche Relativismus.

  • O
    ole

    Naja @ Tyler,

    Sie haben natürlich recht, wenn Sie davon sprechen, daß alles was im Iran passiert die Angelegenheit eines souveränen Staates ist.

     

    Aber auch hier bedarf es keiner Aufregung. Denn jedes Land, ob nun China, Iran oder Deutschland, welches das Medium www auch nur ansatzweise zulässt, muß nun einmal damit rechnen, daß die Meinungen bzw. die Verbreitung von Meinungen und Ansichten global werden. Das ist also erst einmal keine Einmischung sondern lediglich eine Informationsverbreitung. Was man dann daraus macht ist eine andere Frage.

    Anderenfalls kann man ja zensieren und sperren und sich somit schützen.

  • T
    Tyler

    Wrschnl. ist er verhaftet worden. So wie man auch hier in Deutschland als Dissident verhaftet wird. Was soll die ganze Aufregung ? Das sind Angelegenheiten eines souveränen Staates, so wie auch Deutschland einer ist.

  • Y
    yetzt

    persiankiwi wurde verhaftet, sagt twitter. also, liebes altes kugelschreibermedium, es ist zwit für eine recherche und eine artikelaktualisierung oder -fortsetzung.

  • G
    GermanGirltwit

    Wieso eigentlich automatisch "Er"? Einige in der Twittergemeinde - ich auch - halten es durchaus für denkbar, dass persiankiwi eine Frau ist - oder eine gemischte Gruppe, die abwechselnd twittern. Alles ist möglich, und vieles nur Gerücht. Für die Verhaftung gibt es nur eine unsichere Quelle. Das verbreitet sich dann in Windeseile wie mit der stillen Post. Ob was dran ist, wird sich zeigen. Es gibt übrigens ein zweites Fake: persiankiwie.

  • LB
    Lutz Bucklitsch

    Machen wir dem iranischen Geheimdienst das Leben schwer!

     

    Falls ihr einen Twitter-Account besitzt, besitzen wollt, oder damit leben könnt einen zu besitzen: Geht auf die Settings Seite und stellt eure Zeitzone auf GMT +3.30 und den Ort auf Teheran um bzw. ein. Die iranischen Sicherheitskräfte sind auf der Jagd nach Bloggern, indem sie den Zeitzonen- bzw. Ortsangabenfilter verwenden. Desto mehr Leute sich in dieser Zeitzone befinden, desto mehr Schwierigkeiten haben sie dabei, die Internetverbindungen der (bloggenden) Iraner zu unterbrechen.

     

    Bitte leitet diese Nachricht an möglichst viele Leute weiter!

     

    Übersetzungen in andere Sprachen erwünscht!

     

    Passed on from a friend-If you have a Twitter account, set your location to Tehran and your time zone to GMT +3.30. Security forces are apparently hunting for bloggers using location/timezone searches. The more people at this location, the more of a logjam it creates for forces trying to shut down Iranians’ access to the internet. Cut, paste and please pass it on to everyone you know. By the way it takes two minutes to create an account.

     

    Please translate this into your language(s)!

  • RS
    Rod Sanchez

    Wie kann man Twitter nur als Informationsquelle betrachten? Das ist alles überhaupt nicht verifizierbar.

  • F
    FrankSchuster

    Was ich nicht verstehe - kann man die Geschehnisse im Iran nicht via Satellit sehen ? Zumindest die Nachrichtendienste müssten daher doch wissen, ob es eskaliert (?)

  • V
    vic

    @Schulz

    Bitte Herr Schulz, missionieren muss an dieser Stelle nicht sein

    Ihre privaten Ansichten in Ehren, aber das muss ja nicht hier sein.

  • AH
    Amel Husnic

    Also ich bitte sie...einen Twitter Menschen als seriöse Quelle zu bezeichnen ist doch töricht...lachhaft, so einen Artikel hat die taz wahrlich nicht verdient.

  • SG
    Steve Gaarder

    Ich habe ein Tweet gesehen - ich erinnere mich nicht mehr, von wem - das behauptet, Persiankiwi sei untergetaucht und habe zur Zeit keinen Zugang zum Computer.

  • F
    Fidbert

    dass plötzlich 42 leute in seiner liste auftauchen, kann damit zusammenhängen, dass er von dieser nummer 42 erst akzeptiert werden musste. das muss nicht zwangsweise heißen, dass er dessen tweet erst heute angeklickt hat - er war also nicht zwangsweise heute eingeloggt.

  • C
    CMS

    Die Frage beantworten die Twitter gleich selbst: "roprice" schreibt: "@slseveral @oxfordgirl yeah, no way @persiankiwi2 is @persiankiwi... different writing style, tone, hashtags #IranElection"

  • C
    CMS

    Wer ist "persiankiwi2"? Nur jemand der den Namen adaptiert hat?

  • S
    Schulz

    Ich denke zwar eher, dass es eine Frau ist, wenn ein Kind abgebildet wird, aber das ist nicht sicher.

    Bei dieser Menge an Meldungen ist es aber sicher, dass eine Ortung stattgefunden hat.

    Das ist ganz leicht.

    Sogar ich in Berlin wechsle mehrmals taeglich die Internetcafes... und sogar hier ist es nicht unbekannt, wo ich schreibe.

    Bei Personal-PC ist es noch wesentlich einfacher, Handys sind immer numeriert, die Chips zusaetzlich und jeder, welcher nicht verlorengehen will, nimmt googles Findungsdienst.

     

    Gott schuf den - die Menschheit nach Gottes Vorbild und niemand kommt an Gottes (Gerichts-)Thron vorbei. Ja, aber wir haben einen Fuersprecher, Verteidiger, Rechtsanwalt, Vermittler und der Freispruch ist schon da, egal, wie menschliche Gerichte entscheiden.

    Das ist die kurze endliche Summe des christl. Glaubens.

  • DS
    Danny Schweizer

    "startet seine tweets 2 Tage nach der Wahl" - das ist dann eine seriöse Quelle? Gibt´s keine Blogger/Twitter mit etwas mehr background?

  • LW
    Lutz Weiering

    Der englische Text der letzten Nachricht von persiankiwi geht auf die arabische Formel "inna lillah wa inna ilaihi raadschi´uun" zurück("wahrlich wir sind Gottes /gehören Gott und zu ihm kehren wir zurück"), was man auch im Iran immer dann zitiert, wenn jemand gestorben oder etwas (tödlich) schreckliches passiert ist.