Iranischer Regisseur über seine Arbeit: "Lieber in meinem eigenen Land fremd"
Filmemacher Mohammad Rasoulof droht ein Jahr Haft. Trotzdem stellte er in Berlin seinen neuen Spielfilm vor. Ein Gespräch über Selbstzensur und einen Alltag in Angst.
taz: Herr Rasoulof, ist es schwierig, über Dinge zu sprechen, die nicht unmittelbar mit Ihrem Film zu tun haben?
Mohammad Rasoulof: Das ist sicher so. Ich fühle mich als Filmemacher. Wenn politische Aspekte in meinem Film gesehen werden, dann deshalb, weil ich mich an den Menschen und Schicksalen orientiere, die ich kenne.
Gestatten Sie mir trotzdem eine Frage zu Ihrer Situation. Das Urteil gegen Sie wurde im Oktober reduziert, auf ein Jahr Haft. Was ist mit dem Berufsverbot?
Im März 2010 wurden der iranische Filmemacher Mohammad Rasoulof und sein Kollege Jafar Panahi verhaftet; mehrere Wochen verbrachten die beiden in Untersuchungshaft. Im Dezember 2010 fiel das Urteil: sechs Jahre Gefängnis wegen "Propaganda gegen das System". Während das Berufungsverfahren an Panahis harscher Strafe nichts änderte, wurde Rasoulofs Strafmaß auf ein Jahr reduziert. Vergangene Woche reiste der 1973 geborene Regisseur nach Berlin, wo er seinen neuen Spielfilm "Bé omid é didar" ("Good Bye") auf dem Festival "Around the World in 14 Films" vorstellte. "Bé omid é didar" erzählt von einer Anwältin, die nicht mehr arbeiten darf und den Iran verlassen will, der Film ist eine beklemmende Studie der Unterdrückung.
Ich hatte gar kein Arbeitsverbot, das galt nur für Jafar Panahi. Aber wir waren beide zu sechs Jahren Haft verurteilt. Die Situation ist für mich selbst sehr unklar, ein Schwebezustand. Natürlich kann ich meine Freude darüber, dass das Urteil reduziert wurde, nicht verbergen, aber die Wahrheit ist, dass der Druck auf das iranische Kino weiterhin besteht. Viele iranische Dokumentarfilmer wurden in den letzten Wochen unter Druck gesetzt, einige von ihnen waren im Gefängnis, Mojtaba Mirthamasb ist noch drin.
Mirthamasb hat zusammen mit Jafar Panahi "This is not a Film gedreht", einen Film, in dem Panahi seine prekäre Situation zum Thema macht.
Das alles weist über eine private Angelegenheit weit hinaus. Ich weiß nicht, welche Zukunft uns erwartet.
Wie konnte Ihr Film unter diesen Bedingungen entstehen?
Man braucht zwei Genehmigungen. Zuerst muss man das Drehbuch einreichen und dafür eine Lizenz erhalten, bevor man zu filmen anfangen kann. Und man muss den fertigen Film zeigen, damit man weiß, ob man diesen Film ins Kino bringen darf.
Wo reicht man das denn ein? Bei der Zensurbehörde des Ministeriums für Kultur?
Ja. In der ersten Phase ist die Zensur sehr streng. Wenn Sie eine Genehmigung für das Drehbuch beantragen, das Ihnen vorschwebt, dann ist das eigentlich unmöglich. Deshalb versuchen die Filmemacher in dieser Phase sehr vieles von dem auszusparen, was sie sich für den Film vorgenommen haben. Sie betreiben Selbstzensur, damit sie die Genehmigung bekommen. Sobald sie die haben, ist es einfacher. Man kann dann anfangen zu drehen und entscheiden, was man genau machen will.
Wie war das denn bei "Good Bye"?
Als ich aus der Untersuchungshaft kam, habe ich mich dafür entschieden, mich nur mit Dingen zu beschäftigen, die mit Film zusammenhängen, nicht mit Politik. Einen neuen Film zu drehen, war die einzige Sache, die mir helfen konnte, diese Probleme hinter mir zu lassen und zugleich zu artikulieren, was in meiner Umgebung geschieht. Ich habe also sofort eine Geschichte entwickelt, war mir aber so gut wie sicher, dass ich mit diesem Drehbuch keine Genehmigung bekommen würde. Deshalb habe ich angefangen, meine eigene Geschichte zu zensieren. Ich hab' mich an die Stelle derjenigen versetzt, die Zensur betreiben, und von deren Warte aus geschrieben.
Heißt das, dass Sie tatsächlich zwei Drehbücher schreiben? Eines, das das Ihre ist, und eines, das die von Ihnen selbst zensierte Version darstellt?
Manche Szenen habe ich nur in meinem Kopf, andere schreibe ich nieder, und dann korrigiere ich sie. Das zum Beispiel, was im Fahrstuhl passiert, habe ich nicht aufgeschrieben. Der Zensurbehörde lieferte ich ein harmloses Drehbuch, trotzdem haben sie mir keine Erlaubnis erteilt. Das brachte mich sehr durcheinander, ich wusste nicht, was ich tun sollte - offenbar hatte ich nicht genug zensiert. Mit Hilfe des Hauses des Filmes - das ist eine einigermaßen unabhängige Einrichtung der Filmemacher in Iran - konnte ich dann doch noch eine Drehgenehmigung erhalten.
In diesem Zeitraum hat das Gericht getagt, und ich bin zu sechs Jahren verurteilt worden. Ich dachte, jeden Moment könnte man mich ins Gefängnis stecken. Deshalb habe ich rasch angefangen, diesen Film zu drehen. Aber bis zur letzten Minute habe ich mit mir gerungen, was ich machen sollte. Das, wozu mir Zensurbehörde die Erlaubnis erteilt hat? Oder das, was mir ursprünglich vorschwebte? Die Entscheidung ist schwer, wenn man mit sechs Jahren Haft konfrontiert ist und weiß, man kann etwas tun, was die Lage noch verschlimmert. Aber ich dachte, ich muss meinen Film machen.
Und Sie haben dann ja einen sehr direkten, entschiedenen, klaren Film gedreht.
Ich habe verdrängt, was mir passieren könnte. Meine größte Sorge war die Unsicherheit, ich wusste nicht, womit ich konfrontiert würde. Und in diesem Schwebezustand habe ich mir vorgenommen zu glauben, dass nichts passiert ist. So konnte ich arbeiten. Und ich habe mir außerdem gedacht: Wenn etwas Schlimmes passiert, dann akzeptiere ich das.
Gegen Ende des Films sagt die Hauptfigur: "Wenn man sich im eigenen Land als Fremder fühlt, ist es besser, fortzugehen und sich in der Fremde als Fremder zu fühlen."
Das betrifft die Protagonistin, mich betrifft es überhaupt nicht. Ich bin ganz klar der Meinung: Ich fühle mich lieber in meinem eigenen Land fremd als in einem anderen. Das bedeutet, dass ich meine Filme in Iran drehen möchte, denn dort kenne ich die Situation.
Warum spielt Ihr Film fast ausschließlich in Innenräumen?
Ich habe alle Mittel eingesetzt um anschaulich zu machen, wie die Protagonistin sich fühlt. Was meinen Sie, was es bewirken kann, wenn man eine Figur nur in geschlossenen Räumen zeigt? Das zeigt, wie meine Hauptfigur sich fühlt. Das ist ja die Materie, mit der man arbeitet, wenn man Filme macht: Licht, Farbe, Ton, mise-en-scene.
Ein extremer Innenraum wird in der Fahrstuhlszene etabliert, die Sie eben schon erwähnt haben. Zwei Männer von der Sicherheitsbehörde drängen sich zu der Protagonistin in die kleine Kabine.
Ich wollte zeigen, wie sich Menschen fühlen, wenn sie von den Sicherheitskräften in die Enge getrieben werden. Das habe ich selbst erfahren, wenn auch nicht im Fahrstuhl. Sie haben mein Büro betreten, alles durchkämmt und vieles mitgenommen. Ich arbeite in einem großen Appartmenthaus, und die Sicherheitskräfte haben sich Zugang zu meinem Büro verschafft, indem sie geklingelt und den Nachbarn gesagt haben: "Der Mann in diesem Appartment, der handelt mit Drogen".
Das ist für mich eine entscheidende Frage: warum sie meine Nachbarn belogen haben. Warum haben sie nicht gesagt, dass sie sich eines Films wegen Zugang zu dem Büro verschaffen? Ich denke, weil sie meinen, dass das, was sie tun, ein Fehler ist.
Der Ehemann Ihrer Protagonistin ist abwesend, sie lebt wie eine allein stehende Frau, und Ihr Film macht anschaulich, wie eng ihr Spielraum deshalb ist. Wollten sie das so konsequent darstellen?
Das gehört ja zu den Schwierigkeiten einer Frau in Iran, zu ihrem Alltag. So etwas in Iran darzustellen, ist fast überflüssig, weil es so alltäglich ist. Und alle haben sich daran gewöhnt.
Dass sich alle daran gewöhnt und Strategien entwickelt haben, wie sie damit umgehen, sieht man ja auch im Film.
Das ist der einzige Weg, in Iran zu überleben: Man versucht auf einer individuellen Ebene, das Leben, das man führen soll, einfach zu umgehen und sein eigenes Leben zu leben. Das führt aber zu einem Vertrauensverlust - man entwickelt ein Misstrauen gegenüber jedem Menschen, weil man dauernd in Angst lebt und immer besorgt ist, dass man doch zur Verantwortung gezogen wird, für etwas, was eigentlich zu den ganz basalen Lebensrechten jeder Person gehört.
Ist "Good Bye" eigentlich in Teheran zu sehen gewesen?
Nein. Keiner meiner Filme lief in Iran im Kino.
Übersetzung: Nasrin Bassiri
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