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Irangate: Chronologie der Waffenpipeline

■ Ablauf der Waffenlieferungen an iranische Regierung enthüllt kaum glaubliches Ausmaß von Tolpatschigkeit im engsten Machtzirkel Washingtons / Mittelsmänner waren über halben Globus verstreut / Reagan müßte entweder wegen Gesetzesbruch oder wegen mangelnder Kontrolle über seinen Apparat angeklagt werden.

Aus Washington Stefan Schaaf

Flugzeuge, vor allem, wenn sie mit Waffen vollgestopft sind, spielen eine wichtige Rolle in dieser Geschichte. Geld - immer gleich Millionen von Dollars - ist ein weiterer wichtiger Faktor. Vielleicht der wichtigste ist jedoch Ideologie, denn sie bewegte Güter wie Guthaben, sie trieb die Menschen zu all den mysteriösen Aktionen, die inzwischen als der „Iran–Contra–Skandal“ in die amerikanische Geschichtsschreibung eingegangen sind. Als F–14– Jäger der US–Marine im Oktober 1985 eine gecharterte Egyptair– Maschine zur Landung in Sizilien zwangen, hofften sie, der Entführer des Kreuzfahrtschiffes „Achille Lauro“ habhaft zu werden. Doch die italienische Regierung spielte nicht mit. Sie zog es vor, den vier Palästinensern selbst den Prozeß zu machen und zeigte sich im übrigen äußerst ungehalten über den piratenhaften Handstreich ihrer amerikanischen Verbündeten. Die Entführung der Entführer, so wissen wir inzwischen, entstammt dem Hirn eines 42jährigen Oberstleutnants aus dem Nationalen Sicherheitsrat der USA. Sein Name: Oliver North. Die Episode im Oktober 1985 hatte den Rücktritt der damaligen italienischen Regierung und eine monatelange Frostperiode in den US–ägyptischen Beziehungen zur Folge. Sie hätte vermieden werden können, wenn ein politisch erfahrenerer und kühlerer Kopf in jenem Moment das Sagen gehabt hätte. Doch im Vergleich zu den anderen Aktivitäten Norths in jener Zeit und den daraus erfolgenden Schwierigkeiten kann man sie heute als Nebensache abhaken. Das Einschätzen politischer Realitäten war nicht Oliver Norths Sache. Er wollte handeln. Und weil er ein guter Schüler der Reagan– Doktrin war, hatte sein Handeln zwei Ziele: Kampf gegen den „Terrorismus“ und Kampf gegen das, was er einmal „sowjetische Modelle“ nannte - Staaten mit linken oder sozialistischen Regierungen. North erzählte es allen, die es hören wollten, ob konservativen Kaffeekränzchen oder wil den antikommunistischen Geheimbünden, die den Mann aus dem Weißen Haus häufig zu ihren Treffen als Redner einluden. Immer wieder würde er warnen: „Weniger als drei Stunden Flugzeit von hier haben wir ein solches sowjetisches Modell: Nicaragua.“ Den „Terrorismus“ zu bekämpfen war für North fast dasselbe wie gegen jene kommunistischen Satelliten anzugehen; und ein herausragender Partner dafür waren die Contras, die jede Unterstützung brauchten, seit der Kongreß in Washington 1984 die Gelder gesperrt hatte. Mit Verachtung sprach North über alle, die diese Ansicht nicht teilten und die „die ausgefeilteste Desinformationskampagne in diesem Land seit Adolf Hitler gegen unsere Unterstützung dieser Leute entfesselt haben“. Gelegentlich brachte er zu diesen Treffen mit seinen ideologischen Spießgesellen noch Gäste mit: Adolfo Calero etwa, einen der drei Contra–Bosse, der dem Betteln um Hilfe noch zusätzliche Dringlichkeit bescheinigte. Die Geldquelle Doch bei aller Energie ließ sich nicht mehr als eine Million Dollar im Monat lockermachen. Der Kampf der Contra gegen die Sandinisten war so allenfalls auf Sparflamme fortzusetzen. Bevor man den Kongreß überzeugen konnte, die Militärhilfe für die Antisandinisten wieder aufzunehmen, mußte man zumindest eine Zwischenlösung finden. Offenbar wurde sie gefunden, denn im Frühjahr 1986 begann ein neuer Strom militärischen Nachschubs für die Contra–Söldner. Bis zum Oktober wurden achtzig Flugzeugladungen mit Waffen über Nicaragua abgeworfen, eine Operation, die verschiedenen Schätzungen zufolge etwa zehn Millionen Dollar verschlungen hat. Kopf der Waffen–Luftbrücke war ein guter Freund Oliver Norths, der ehemalige US–Luftwaffenattache in Teheran, General Secord mit seiner Firma „Stanford Technologies“. North war noch in eine zweite wichtige Operation der Reagan– Administration verwickelt, die so geheim - und so kontrovers - war, daß nicht einmal das Außen– und das Verteidigungsministerium über ihre Details informiert war. Ihren Anfang nahm sie im Sommer 1984, als das State Department ein Videoband zugespielt bekam. Auf ihm ersuchten drei amerikanische Geiseln, die im Libanon festgehalten wurden, die US–Regierung, alles für ihre Freilassung zu tun. Die Reagan– Administration fürchtete besonders um einen der drei, den Diplomaten William Buckley, denn er war Chef der CIA–Abteilung in Beirut gewesen. Die ersten Versuche der Kontaktaufnahme mit den Entführern, verbunden mit finanziellen Angeboten, wurden von jenen nicht beantwortet. Im Frühjahr 1985, nachdem weitere US–Bürger in Beirut gekidnappt worden waren, tauchte in einem CIA–Papier erstmals der Gedanke auf, die Beziehungen zum Iran zu verbessern, indem man das strikte Waffenembargo gegen das Khomeini–Regime lockert. Man müsse dem Werben der Sowjetunion um Einfluß im Iran zuvorkommen, argumentierten die Geheimdienstler. „Zeichen guten Willens“ Währenddessen hatte sich dem Weißen Haus ein anderer Kommunikationskanal eröffnet. Der damalige Sicherheitsberater Reagans, Robert McFarlane, hatte über einen hohen Beamten des israelischen Außenministeriums, David Kimche, sowie einen israelischen und einen iranischen Waffenhändler vom Interesse der iranischen Regierung an US–Waffen erfahren. Es war ein äußerst zaghafter und zerbrechlicher Versuch, der „Zeichen guten Willens“ verlangte, um weiter verfolgt werden zu können. McFarlane wußte, was für ihn ein solches Zeichen der Iraner sein könnte: Druck auf die pro–iranischen Entführer seiner Landsleute im Libanon, ihre Geiseln freizugeben. Die Iraner wußten gleichfalls, woran ihnen gelegen war: an Ersatzteilen für die weitgehend am Boden liegende Luftwaffe, die noch aus Zeiten des Schah stammte. Im August 1985 weihte McFarlane Präsident Reagan in den Plan ein. Wie McFarlane vorletzte Woche in einem Kongreßhearing aussagte, habe Reagan zugestimmt. Reagan habe gesagt, falls die Waffen an Iraner gingen, die „ernsthaft gegen Terrorismus seien und eine Änderung der iranischen Politik anstrebten“, handele es sich nicht um einen Bruch der US–Anti“terror“politik - eine äußerst fragwürdige Interpretation des gesetzlichen Verbots von Waffenlieferungen an fünf als „terroristisch“ gebrandmarkte Staaten. Im September wurden die ersten 500 TOW–Antipanzerraketen von Israel an den Iran geliefert. Die Hoffnungen der Reagan– Dealer wurden nur zu einem Teil erfüllt: Wenige Tage später wurde Benjamin Weir von seinen Entführern in Beirut freigelassen, doch von den übrigen Geiseln - inzwischen waren es fünf - fehlte weiter jede Spur. Weir wurde in die USA gebracht und vier Tage lang verhört, bevor die Öffentlichkeit von seiner Freilassung erfuhr. Der Iran schickte bald den nächsten Wunschzettel. Man brauche Ersatzteile für das iranische Luftabwehrsystem auf der Ölbohrinsel Kharg. Ende November wurden die Teile von Israel über Lissabon in den Iran geflogen. Die CIA hatte auf Ersuchen Norths das Flugzeug gestellt, nachdem er sie über den Inhalt der Lieferung belogen hatte. Die „Firma“ CIA, im Glauben, sie transportiere Ölbohrausrüstung, verstieß damit klar gegen amerikanische Gesetze. Die Iraner waren mit der Lieferung nicht zufrieden, denn offenbar hatten sie von den Israelis veraltete und unbrauchbare Ware erhalten. Weder bezahlten sie, noch sorgten sie für die Freilassung weiterer Geiseln. Ein neuer Anfang Diese Episode führte zunächst zum Abbruch der Operation. Die Reagan–Administration wollte in Zukunft ohne israelische Mittelsmänner agieren. Die CIA verlangte eine offizielle Genehmigung derartiger Geheimaktionen, und zwei von Reagans wichtigsten Kabinettsmitgliedern, Shultz und Weinberger, forderten auf Sitzungen im Dezember und Januar, das Liebeswerben mit den Ayatollahs solle überhaupt aufhören. Doch Reagan war von ihren Einwänden nicht überzeugt; außerdem stand er unter moralischem Druck der Familien der Geiseln. Am 17. Januar unterzeichnete er die Bewilligung für weitere geheime Waffenlieferungen an den Iran, diesmal direkt aus Pentagon–Beständen. Der Kreis der Mitwisser wurde so klein wie möglich gehalten, selbst Weinberger, die Stabschefs der Streitkräfte und Shultz wußten nicht Bescheid. Ausdrücklich untersagt wurde auch die übliche Unterrichtung der Geheimdienstausschüsse im Kongreß durch CIA–Chef Casey. Eine Hürde mußte Reagans neue Waffen–Pipeline noch nehmen. Trotz aller Vollmachten des Präsidenten verbot nach wie vor ein Gesetz direkte Rüstungsgeschäfte der US–Regierung mit dem Iran. Man brauchte einen Mittelsmann - und fand ihn in dem saudischen Multimillionär Adnan Khashoggi. Der kannte sich in der Affaire bereits aus, war er doch in der ersten Phase des Deals ein wichtiger Spieler gewesen. Das neue Arrangement hatte einen Vorteil: Es erlaubte der Reagan–Administration die Kontrolle über die finanzielle Seite der Operation und ermöglichte damit erst die Abschöpfung des Profits zugunsten der Contra. Der genaue Weg, den die Erlöse aus dem iranischen Waffen–Deal nahmen, ist bisher umstritten, doch wurden sie zunächst auf ein von der CIA in der Schweiz eingerichtetes und von Oliver North kontrolliertes Konto eingezahlt und flossen von dort ans Pentagon - und aller Wahrscheinlichkeit nach an die Contra oder die von General Secords Firma geleitete Nachschuboperation - zurück. Einige Berichte stellten die These auf, es habe sich um ein CIA–Konto gehandelt, aus dem vor allem die afghanischen Mudjaheddin versorgt wurden. McFarlanes Reise Im Februar 1986 werden zwei Boeing 707 voll Waffen von Texas aus in den Iran geflogen; im Mai wird Ex–Sicherheitsminister McFarlane von seinem Nachfolger Admiral Poindexter gebeten, sich auf eine Reise nach Teheran vorzubereiten. Am 28. Mai fliegt er an Bord einer Maschine mit weiteren Waffen und Ersatzteilen nach Teheran. Auf seiner Reise, die außer Warten und fruchtlosen Verhandlungen nichts erbringt, wird er von Oliver North und drei weiteren an dem Handel Beteiligten begleitet. North habe ihm zu diesem Zeitpunkt erklärt, sagt McFarlane später aus, daß ein Teil der Erlöse aus dem Geschäft an die Contra geflossen sei. Nach seiner Rückkehr nach Washington empfiehlt McFarlane dem Präsidenten die Operation zu beenden. Doch Ende Juli findet eine abermalige Waffenlieferung statt; zur gleichen Zeit wird der Geistliche Lawrence Jenco aus der Geiselhaft im Libanon entlassen. Doch im September werden abermals zwei US–Bürger in Beirut verschleppt; und am 21. Oktober, fünf Tage vor der bisher letzten Waffenlieferung an den Iran, verschwindet ein dritter Amerikaner aus einem Straßencafe im Westteil der libanesischen Hauptstadt. Eine knappe Woche später wird David Jacobsen nach 17–monatiger Gefangenschaft freigelassen. Die Bilanz im Oktober: Vier Waffenlieferungen an Teheran, und nach wie vor befinden sich fünf US–Bürger in den Händen des „Islamischen Heiligen Krieges“ oder anderer pro–iranischer Untergrundorganisationen im Libanon. Dazu mehren sich die Zeichen, daß der Deal auffliegen könnte. Anfang Oktober wird Eugene Hasenfus über Nicaragua abgeschossen und bringt die geheime Nachschuboperation für die Contra ins Gerede. Vor Gericht in Managua sagt er aus, er habe im Glauben gehandelt, im Auftrag der Regierung in Washington zu arbeiten. Am 7. Oktober erfährt Bill Casey, daß kanadische Geschäftsleute, die einen der Waffentransporte an den Iran zwischenfinanziert hatten, nicht bezahlt worden sind und eine Klage erwägen. Die Anklage In Teheran tauchen Flugblätter in den Straßen auf, in denen von „Geheimverhandlungen“ mit den Amerikanern die Rede ist. Wie war es möglich, daß die Reagan– Administration den politischen Sprengstoff, den ihre Hinwendung zum Iran und der Bruch ihres höchstrangigen außenpolitischen Prinzips darstellte, dermaßen unterschätzte? Wie soll man erklären, daß Reagan, Casey und McFarlane hofften, eine Operation, die den halben Globus umspannte, geheimzuhalten? Soll man glauben, daß eine untere Charge im Weißen Haus, ein Mann dazu noch, der als Militär darauf gedrillt ist, Befehlen zu gehorchen, die Kontrolle über den finanziellen Teil der Operation eklatant mißbrauchte, ohne sich bei seinen Vorgesetzten rückzuversichern? Es kann noch lange dauern, bis diese Fragen beantwortet werden. Doch möglicherweise haben wir nichts weiter vor uns als eine Tolpatschigkeit gewaltigen Ausmaßes. Reagan ist kein Politiker, sondern Ideologe und Vereinfacher; North ist kein Politiker, sondern ein Macher; und McFarlane hatte zuviel Vertrauen in diejenigen, die für die politische Absicherung ihres gewagten Unternehmens zu sorgen hatten. Es spielt keine Rolle mehr, ob Reagan von der Abschöpfung der Gelder an die Contra gewußt hat oder nicht - man wird ihn entweder des Gesetzesbruchs oder der extremen Fahrlässigkeit anzuklagen haben. Nach Verfassung und Tradition des US–Regierungssystems, das dem Präsidium so weitgehende außenpolitische Vollmachten ausstellt, trägt er für das Treiben seiner Untergebenen die Verantwortung.

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