: Iran: „Barfüßiger“ contra „amerikanischer“ Islam
■ Sieger der Parlamentswahlen stehen bereits seit Monaten fest / Raketenangriffe schwächen Kriegsgegner unter den Mullahs Alle Richtungen der Opposition sind von den Wahlen ausgeschlossen / Kapitalismus–Befürworter setzen sich durch
Aus Manama William Hart
In den Tagen vor der Wahl häuften sich beim iranischen Innenministerium Beschwerden von Kandidaten. Konkurrenten erhielten in ihrem Wahlkampf Unterstützung durch Behörden. Es existiere keine Chancengleichheit. Der Minister wiegelte ab und wollte sogar den Eindruck erwecken, als ob es sich bei den Beschwerdeführern um die Favoriten der iranischen Kapitalisten handele. Mit massiven Eingriffen soll gesichert werden, daß die Anhänger des „Islams der Barfüßigen“ einen Sieg über die Verfechter des „Islams amerikanischer Prägung“ erringen. Das sind die zwei Linien unter den Khomeinianhängern, die zur Wahlstehen. Faktisch hat Khomeini die Auseinandersetzung bereits am 7.Januar entschieden. Der Islamische Staat habe absolute Machtbefugnisse und könne sogar unter bestimmten Bedingungen religiöse Gebote außer Kraft setzen, hatte der Ayatollah erklärt. Ein schwerer Schlag für die Verfechter einer freien Marktwirtschaft unter seinen Anhängern. Damit sie sich gar nicht erst richtig zur Wehr setzen konnten, bekamen sie gleich das Etikett des amerikanischen Islams verpaßt. Damit hatte der Revolutionsführer zu Jahresanfang den Ausgang der Wahlen entscheiden. Ministerpräsident Mir Hussein Mussavi wird künftig eine satte Mehrheit im Parlament haben. Die Mullahs, die dem Kapitalismus anhängen und bisher etwa ein Drittel der Sitze haben, dürften als Fraktion kaum noch in Erscheinung treten. Sie hatten Ende vergangenen Jahres versucht, die zentrale Rolle des Staates in Frage zu stellen und sogar das Recht des Staates, Steuern einzutreiben, angezweifelt. Viele Kandidaten dieser Richtung blieben bereits im Vorfeld auf der Strecke. 2.000 wollten sich für die 270 Sitze des Islamischen Parlamentes bewerben. 1.500 wurden zugelassen. Ist die wirtschaftspolitische Orientierung bereits im Vorfeld entschieden, so wird die Frage von Krieg und Frieden schlicht ausgeklammert. Im Herbst vergange nen Jahres hatte Khomeini mehrfach angedeutet, zentrale Aufgabe der neu zu wählenden Abgeordneten sei es, über die Fortführung des Krieges zu entscheiden. Eine Chance für Frieden oder Waffenstillstand zeichnete sich ab, Großangriffe wurden aufgeschoben, die Gespräche mit UN–Generalsekretär Perez de Cuellar begannen. Der von Irak systematisch eskalierte Städtekrieg der vergangenen Wochen brachte den Rückschlag. Im Wahlkampf wird wieder nur von Fortsetzung des Krieges gesprochen. Zum Selbstverständnis der Is lamischen Republik gehört, daß Linke, Republikaner, Nationalisten, Monarchisten oder Anhänger der Volksmudjahedin nicht kandidieren dürfen. Die Freiheitsbewegung Iran von Mehdi Bazergan, dem alten religiösen Nationalisten, hat auf eine Wahlbeteiligung verzichtet. Die Organisation des ersten Ministerpräsidenten der Islamischen Republik darf ihre Zeitung nicht herausgeben, sie ist gegen die Fortsetzung des Krieges. So muß die kriegsmüde Bevölkerung eher erahnen, welcher Kandidat für ein Ende des Golfkrieges eintreten wird. Die oppositionellen Volksmujahedin haben gestern zum Boykott der Wahlen aufgerufen. In einem Kommunique hieß es, Khomeini habe eine „absolute Diktatur“ ausgerufen. Das Parlament besitze keinerlei Legitimität, da die Rechte der Bevölkerung verletzt würden und die Abgeordneten nicht nur Vorschriften zur Unterdrückung, Folter und Kriegstreiberei verabschiedeten, sondern sich viele von ihnen auch persönlich daran beteiligten. Die dritten Parlamentswahlen nach dem Schahsturz haben eine weitere Einengung der Auswahl gebracht. Gab es bei den ersten Wahlen noch Kandidaten aus allen politischen Lagern und mußte der Sieg der radikalen Khomeini–Anhänger oft mit Wahlfälschungen sichergestellt werden, so waren vor vier Jahren die Anhänger des Ayatollahs bereits unter sich. Heute hat Khomeini die Ausrichtung der Abgeordneten längst bestimmt. In der Krise kann man sich keine Konflikte leisten. Eine große Wahlbeteiligung soll die Massenzustimmung zur Islamischen Republik demonstrieren. „Ich selbst werde an den Wahlen unter allen Umständen teilnehmen“, hat Khomeini in seinem Wahlaufruf gesagt. Aber viele der Einwohner Teherans werden seinem Beispiel nicht folgen. Wie nahezu an jedem Freitag wird Irak auch am Wahltag Raketen auf die Wohnviertel der iranischen Hauptstadt abfeuern. Die Bewohner werden das Wochenende nutzen, um in den Norden des Landes zu fliehen.
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