: Irak spricht von „Neubewertung aller Pläne“
■ Neue diplomatische Initiativen sollen Druck auf Bagdad verstärken/ 'Novosti‘ meldet: Irak vielleicht zu Rückzug bereit/ Saddam läßt ein paar Geiseln frei
Washington/Dschidda/Amman/Bagdad (dpa/afp/ap/adn) — Die USA wollen mit neuen diplomatischen Initiativen den Druck auf den Irak verstärken und eine Entscheidung über ein militärisches Vorgehen gegen das Land vorerst zurückstellen. Ferner denkt Washington daran, neue UNO-Resolutionen einzubringen, in denen die Zerstörung Kuwaits durch den Irak verurteilt und Reparationen für die durch die Invasion vom 2. August angerichteten Schäden gefordert werden. Dem Bericht zufolge prüfte zusätzlich das US-Justizministerium die Möglichkeit einer UNO-Resolution, in der der Irak wegen Kriegsverbrechen verurteilt wird.
Zugleich mehren sich die Anzeichen, daß der Irak zu Verhandlungen bereit ist. Nachdem Tariq Aziz bereits am Samstag in Amman erklärt hatte, die Golfkrise sei in eine Phase „neuerlicher Überprüfung und Neubewertung aller Pläne und Trends“ getreten, war am Wochenende aus Amman und Moskau zu erfahren, Irak sei offenbar zu einem Teilrückzug aus dem besetzten Kuwait bereit, wenn ihm dafür ein Teil der von ihm annektierten Gebiete zugeschlagen wird. Irak beanspruche die strategisch wichtigen Inseln Warba und Bubijan im Golf sowie die Ölfelder von Süd-Rumaila und die Provinz Sadamijat El Mutlaa für sich. Nach Angaben arabischer Diplomaten in Amman hatte Saddam Hussein einen entsprechenden Vorschlag König Hussein von Jordanien bei einem geheimgehaltenen dreistündigen Besuch am 9.Oktober unterbreitet. Die sowjetische Nachrichtenagentur 'Nowosti‘, zweite Quelle, bezog sich auf den Besuch des sowjetischen Gesandten Jewgeni Primakow und dessen Gespräch mit Saddam Hussein am 5. Oktober. Hussein habe damals das gleiche Angebot gemacht. Schon am Freitag hatte eine irakische Oppositionsgruppe berichtet, irakische Politiker dächten über einen Rückzug aus Kuwait nach. Die im Exil arbeitende Demokratische Partei Kurdistans erklärte, unter führenden Politikern der regierenden sozialistischen Baath-Partei zirkuliere eine Umfrage über ihre Haltung zu einem möglichen Rückzug. Saddam könnte diese Umfrage benutzen, um ein Nachgeben in der Golfkrise zu legitimieren, hieß es.
Rege Reisediplomatie allerorten
Neben dem irakischen Außenminister Aziz ist auch US-Verteidigungsminister Richard Cheney auf Mission. Nach einem Treffen mit dem mittlerweile wieder treuesten Verbündeten in Großbritannien wird er weiterreisen nach Moskau und Paris. Aus Angst, Gorbatschow und Schewardnadse könnten Cheney zu viel über die militärische Schlagkraft Bagdads erzählen, drohte ein irakischer Militärsprecher schon am Freitag den Sowjets, für diesen Fall werde man den 5.000 sowjetischen BürgerInnen in Irak die Ausreise verweigern. In Kairo empfing Präsident Husni Mubarak den britischen Außenminister Douglas Hurd. Der türkische Präsident Turgut Özal traf am Sonntag in Dschidda mit dem saudischen König Fahd zu einer zweiten Gesprächsrunde zusammen. Er plant eine Rundreise durch Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, Ägypten und Syrien. Die Türkei, Nato-Mitgliedsland, hatte sich von Anbeginn auf westliche Seite geschlagen und die irakische Pipeline durch ihr Land gekappt. Der französische Außenminister Roland Dumas wollte am Sonntag Tunesien besuchen und anschließend nach Katar, Bahrain und Oman weiterreisen.
Parallel zum Besuch des irakischen Ersten Stellvertretenden Ministerpräsidenten Taha Jassin Ramadan am Wochenende in Libyen gab es einen Bericht im Londoner 'Independent‘, wonach Lybien im Auftrag Iraks mit einem chilenischen Rüstungsunternehmen über den Kauf von Sprengbomben verhandele. Die Sprengbomben werden wegen ihrer verheerenden Wirkung auch „Atombombe des kleinen Mannes“ genannt. Der Name der chilenischen Waffenfirma wurde mit „Industrias Cardoen“ angegeben. Libyens Staatschef Gaddafi hat sowohl die irakische Invasion in Kuwait als auch den Aufmarsch einer internationalen Streitmacht am Golf kritisiert.
Geiselfreilassung tröpfchenweise
Saddam Hussein hat den 15 Spaniern, die im Irak festgehalten werden, die Ausreise gestattet. Das spanische Außenministerium bestätigte am Samstag die bevorstehende Ausreise der 15 Geiseln, die von einer Parlamentsdelegation in privater Mission erwirkt wurde. Auch der ehemalige Popsänger Cat Stevens, nun Yusuf Islam, war erfolgreich: vier moslemische britischen Geiseln dürfen mit ihm zurückfliegen. Saddam Hussein erlaubte britischen Frauen sogar den Besuch ihrer an strategischen Stellen festgehaltenen Männer. Da solche Einzelmissionen von großem Erfolg gekrönt sind, plant auch der frühere konservative britische Premierminister Edward Heath eine Mission. Er will Hussein am 21. Oktober treffen und unterstrich, daß er in rein privater Weise in den Irak fliegen und seinen Flug selbst bezahlen werde. Schließlich will er Douglas Hurd nicht in die Quere kommen.
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