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Irak nach den GIsDer Traum vom Wandel

Weder sind die US-Amerikaner Orest noch die Iraker das Volk von Argos. Der irakische Schriftsteller Najem Wali über die Zukunft seines Landes nach dem Abzug der US-Truppen.

Resteverwertung: Überbleibesel der GIs auf dem Bab al-Sharji-Markt. Bild: reuters

"Ach, der Abzug der Amerikaner – was heißt das schon?" So der mit einem tiefen Seufzer vorgebrachte Kommentar eines Freundes in Bagdad. In seinem Tonfall mischte sich Ironie mit Resignation: "Wir haben mit Strom-, Wasser-, Öl- oder Gasmangel zu kämpfen, ganz zu schweigen von den Fliegen, also verschon mich bitte mit dem amerikanischen Abzug! Es ist doch ganz egal, schließlich sind sie nicht Orest und wir nicht das Volk von Argos."

Sicherlich würde dieser Kommentar bei den US-amerikanischen Generälen angesichts des zweiten Teils der Aussage, der sich auf das Drama "Die Fliegen" von Jean-Paul Sartre bezieht, Frustration aufkommen lassen. Würde, denn sie sind ja weiterhin der Überzeugung, dass sie in den Irak kamen, um das Volk dort aus der Knechtschaft zu befreien.

In Sartres Stück, das 1943 nach drei Jahren nationalsozialistischer Besatzung Frankreichs im Pariser Théâtre de la Cité uraufgeführt wurde, befreit der "Held" Orest die Bewohner der antiken griechischen Stadt Argos von dem Tyrannen Ägist, der diese mit Feuer und Schwert regiert.

Bild: dpa
NAJIM WALI

irakischer Schriftsteller, lebt im deutschen Exil. 2011 erschien sein Roman „Engel des Südens“. Hanser Verlag, 544 Seiten, 24,90 Euro.

Selbiger hatte, nachdem er zunächst Agamemnon, den Vater Orests und Elektras, umgebracht und Klytämnestra, die Gemahlin des betrogenen Königs, geehelicht hatte, in der Stadt ein repressives Terrorregime errichtet. Wobei er all ihren Bewohnern auferlegte, für das von ihm begangene Verbrechen Sühne zu leisten. Obwohl Göttervater Jupiter Orest am Ende drängt, zu bleiben und den Thron zu besteigen, beschließt dieser, die Stadt zu verlassen und deren "befreite" Einwohner ihrem Schicksal zu überlassen.

Als er dann wirklich geht, verschwinden mit ihm auch die laut surrenden Fliegen und fallen über den erstbesten Passanten her. Laut Jupiter stehen die Fliegen symbolisch für die an den Bewohnern nagende Reue über den Mord an König Agamemnon. Nun wollte natürlich Sartre mit dem Stück auf die deutsche Unterdrückung anspielen, die umso unnachgiebiger wurde, je heftiger sich der französische Widerstand manifestierte.

Keine Befreier

Mein irakischer Freund dagegen meinte, man könne über die US-Amerikaner sagen, was man wolle, nur Befreier seien sie nicht. Und auch den Irakern könne man anhängen was man wolle, nur nicht, dass sie den Tod des mit Feuer und Schwert regierenden Tyrannen Saddam Hussein, der sie in nicht enden wollende Kriege verstrickte, bereuten.

Wie mein Freund glaubt heute niemand im Irak mehr, dass die Amerikaner als Befreier kamen. Dabei sah er doch selbst seinerzeit in ihrem Einmarsch in Bagdad die Chance, sich eines diktatorischen Regimes zu entledigen, das den Menschen 35 Jahre lange die Luft zum Atmen nahm. Er schrieb damals, wie er und seine weitläufige Familie, von deren Söhne Saddam nach und nach etliche "beseitigt" hatte, beim Anblick der symbolischen Hinrichtungsfeier für den Diktator auf dem Firdaus-Platz vor Freude getanzt hatten.

Dutzende von Irakern, mit denen ich damals sprach, berichteten mir gleiches. Sie konnten es kaum fassen, nun endlich von Saddam befreit zu sein. Ein kurzfristiges Gefühl, das nur nachvollziehen kann, wer Demütigung und Versklavung durch ein derartiges Regime selbst erlebt, in den Folterzellen des Bath-Regimes eingesessen hat.

Die Iraker, die mehr als zwölf Jahre lang mit ansehen mussten, wie ein ungerechtes und extrem destruktives Embargo ihre Kinder dahinraffte, sahen sich plötzlich vor eine schwierige Entscheidung gestellt:

Sie hatten die Wahl zwischen einer blutrünstigen Diktatur einerseits und "imperialistischen" Invasoren andererseits, deren wirtschaftliche Beweggründe nur allzu klar schienen, die ihnen jedoch einen nahezu unerreichbaren Traum erfüllt hatten: den Sturz des Diktators. Sie sahen in dem US-Feldzug den Anbruch einer neue Ära in der Geschichte des Irak, den Traum vom Wandel.

Doch diese Ära, von der einige glaubten, sie würde einen neuen Irak hervorbringen, folgte zwar dem Beispiel Deutschlands und Japans nach 1945, wurde jedoch durch das Eintreffen des US-amerikanischen Zivilverwalters Paul Bremer bereits im Keim erstickt.

Bremer zauberte wie ein Scharlatan Wunderrezepte aus dem Hut. Er versammelte auch die irakische Opposition, die auf amerikanischen Panzern ins Land zurückgekehrt war, und behandelte sie als Repräsentanten der verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppierungen.

Demokratie à la Bremer

Aus ihnen bildete er in der Folge den Regierungsrat, dessen Vorsitzenden er monatlich in alphabetischer Reihenfolge neu ernannte. Dabei hätten die Iraker so sehr einen Staat mit modernen Institutionen und einer funktionierenden Zivilgesellschaft gebraucht. Die Erfolge der Demokratie à la Bremer platzten letztendlich wie eine Seifenblase!

Selbst die sogenannte freie Wirtschaft, die gleich nach dem Zusammenbruch des "sozialistischen Marktes" höchst dynamisch anlief und die zum Aufbau einer robusten Mittelschicht als Stützpfeiler der Demokratie hätte beitragen können, ist zu einer Arena des Kräftemessens zwischen den politischen Gruppierungen verkommen. Wer einer bestimmten Partei, Gruppe oder Miliz angehört, kann dem Markt seine Konditionen aufdrücken.

Die entfesselten Massen gelten ihnen als Kanonenfutter, um Demokratie scheren sie sich nur insoweit, als sie ihren Zwecken dient. Das nach Freiheit lechzende Volk kann nun bedauerlicherweise keinen Zusammenhang zwischen diesem Liberalismus und der Demokratie erkennen, eine, die es weder gesellschaftlich noch politisch jemals erlebt hatte. Und so rehabilitierten sich die Minityrannen.

Bis heute erleben wir immer wieder das Aufflammen von Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Despoten. Bis heute, mehr als ein Jahr seit der letzten Parlamentswahl, bei denen die Menschen ihr Leben aufs Spiel setzten, sind die Posten sowohl des Innen- als auch des Verteidigungsministers unbesetzt geblieben.

Einen solchen Irak lassen die USA nun hinter sich. Keine funktionierende Armee zur Verteidigung des Landes und keine qualifizierte Polizei, die die Souveränität des Landes noch die Sicherheit der Leute gewährleisten können.

Rückzug hin. Rückzug her. Es ist ein verwirrender Moment. Sogar diejenigen, die, anders als mein Freund, den Einmarsch der Amerikaner in Bagdad von Anfang an als Besatzung auffassten, zeichnen jetzt schwärzeste Szenarien von der Lage nach dem Abzug der US-Truppen.

"Sie lassen uns mit den Wölfen allein", kräht sogar Saddams früherer Vize Tariq Aziz aus der Haft. Wobei er ganz vergessen zu haben scheint, dass er einst selbst zu diesen Wölfen gehörte und eifrig mitheulte. Welch absurde Szenerie! Die Gegner der Besatzung fordern die Besatzer zum Bleiben auf, und die Befürworter lässt das alles kalt?

Alles für den Schwarzmarkt

Nur unter den Kriegsgewinnlern werden Jubelrufe laut, sie versuchen alles auszuschlachten, was die Amerikaner zurücklassen. Einrichtungen und Inventar der Stützpunkte werden teilweise zur Versteigerung ausgeschrieben. Der Rest landet auf dem Schwarzmarkt: Staubsauger, Satellitenanlagen, Ersatzteile für US-Militärfahrzeuge, Toiletten, Holzhäuschen, Klimaanlagen, Waschmaschinen, Trockner, Beleuchtung, Kühlschränke und Abfälle - und 130.000 Tonnen Giftstoffe.

Aber nun abschließend wieder zurück zu den Fliegen: Am Ende des Stücks verlassen mit Orest auch die Fliegen die Stadt. Und im Irak? Die Amerikaner sind weg, die Fliegen aber noch da und zwar nicht zu knapp! In der Grünen Zone, in der sich die Regierung verschanzt, stechen sie wie Wespen, anderswo fliegen sie zu Abermillionen fröhlich von Müllhaufen zu Müllhaufen und tun sich an den Städten gütlich, die nun seit Jahren eine einzige riesige Müllhalde sind.

In Bagdad oder Basra, einst wunderschöne Städte, lässt sich tagtäglich die Anhäufung neuer Müllberge mit Abfällen jeglicher Art beobachten. Fliegenschwärme kreisen surrend in der Luft und stürzen sich auf die zufällig vorbeikommenden Passanten. Kein Strom, kein Wasser, kein Öl im Land des Erdöls, kein Gas, während das Thermometer im August auf über 50 Grad klettert.

Argos bleibt, was es war, Orest ist noch nicht gekommen. Letztendlich wäre Saddam Hussein auch eher Ägist, nicht Agamemnon, so dass es logisch ist, dass die Iraker ihm nicht hinterhertrauern.

Muss man Iraker sein, um angesichts dieser Lage zu verzweifeln, wenn nach fast neun Jahre die US-Amerikaner das Land in solcher Lage hinterlassen? Das ganze Land ein Müllhaufen und Fliegenparadies – amerikanischer Müll par excellence!

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3 Kommentare

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  • F
    flipper

    @lef:

    Genau! Imperialismus hat es nie gegeben, und die Amis sind selbstverständlich im Irak einmarschiert, weil Sie den Arabern die Segnungen der Demokratie bringen wollten, ach ja und natürlich auch noch, weil sie die Massenvernichtungswaffen unschädlich machen und die AlQuaida-Verstecke finden wollten. Das die dummen Orientalen zur Demokratie unfähig sind, da kann ja der W. nun wirklich nichts dafür, wer hätte denn das auch ahnen können, dass sich in einem Vielvölkerstaat der Jahrzehnte mit der Knute regiert wurde nicht quasi über Nacht der Rechtsstaat einstellt.

    Und die Erde ist eine Scheibe, die Sonne kreist um uns und Jesus ist übers Wasser gelaufen usw., vom Weihnachtsmann und Osterhasen mal ganz zu schweigen...

    Noch naiver als das mit den Weihnachtsmännern ist es allerdings, zu glauben es hätte in USA niemand an dem Krieg verdient! Natürlich hat da nicht der Staat dran verdient, das war in der Tat nicht zu erwarten, aber wie wärs denn mal mit den Produzenten von dem Billionen Dollar teurem Mordmaterial, was da verschossen worden ist? Oder den Söldnertruppen à la Blackwater? Oder den US-Ölfirmen?

    Den Staat, auch den der USA, hatten die Neocon-"Thinktanks" und die Bush-Clique nur so weit im Blick, wie er ihnen dabei helfen konnte, sich selbst und ihre Klientel zu bereichern!

  • L
    lef

    Ojeh, die bösen Amerikaner - das alte Lied....

    Nur: Was denn eigentlich so böse war, bleibt offen.

    "Imperialismus" ist nur ein dummes Schlagwort!

    "Gewinnstreben" - wo denn, das bleibt ebenso unklar.

    Die Irakinvasion war vor Allem wahnwitzig teuer. Mag sein, dass die thinktanks der USA gehofft haben, insgesamt etwas übrig zu behalten. Das war ein großer Irrtum.

    Aber bestimmt kann man ihnen nicht vorhalten, undemokratische Pläne gehabt zu haben.

    Die irakische Exilopposition als vorübergehenden Regierungsrat einzusetzen (was der Schreiber ja einräumt) war zunächst keine schlechte Idee.

    Demokratische Wahlen wurden sofort geplant (was der Schreiber einfach verschweigt!!) und auch baldmöglichst durchgeführt. Sie waren ein Fiasko, weil die Sunniten sie verweigerten, die Schiiten aber ausnutzten. Das Ergebnis war (100% schiitisch) dann eben eine Katastrophe. Aber es waren die Iraker selbst, die von Beginn an die Demokratisierung verweigerten!

    Eine Gesellschaft, die traditionell Individualität verweigert, nur auf Stämme und Clans aufbaut ist nun mal nicht zur Demokratie fähig - das (und nur das) war der große Irrtum der thinktanks in den USA. Ein Wüstenstaat mit ländlicher Bevölkerung, reich nur durch Erdöl - da ist Emergente Ordnung einfach unmöglich.

     

    Es hätte anders laufen können - ungefähr so, wie die USA Deutschland nach 1945 demokratisiert haben. Natürlich haben die USA daran gut verdient! Wir (nicht nur unsere Eltern) aber nun mal auch!

    Nur hatte Deutschland schon eine längere Demokratietradition, die Individualität war (wie in allen Industriestaaten) bereits möglich, Emergente Ordnung schon etabliert.

     

    Aber was soll`s. Das gleiche Problem besteht offenbar in allen solchen Staaten - auch in Nordafrika. Und Deutschland macht ja in Afghanistan den gleichen dummen Fehler. Was Individualität, Empathie, Emergente Ordnung ist, was diese mit "Demokratie" zu tun haben,

    das wissen unsere "Eliten" ja auch nicht.

  • TM
    Träumt mal schön weiter

    Macht mal eine Liste von Revolutionen und welche funktioniert haben.

    - DDR-Mauerfall

    - rot-grün Trittin Nahles ersetzen Kohl-Merkel

    - Timoschenko ersetzt irgendwen in Ukraine

    - Karsai ersetzt Bin Ladens Freunde. Westerwelle fördert die Berliner Konferenz und neue Verfassung.

    - Hussein wird ersetzt

    - Ghadaffi wird ersetzt . Sarkozy fördert die Pariser Konferenz und neue Verfassung.

    - Mubarak wird ersetzt

    - Obama ersetzt George W. Bush

    - irgendwer ersetzt Papandreo

    - Irgendwer ersetzt Berlusconi

    ...

    Wo gehts den Leuten jetzt besser als vorher ?

    Ständig kriege ich dasselbe zu lesen. Inzwischen kehren die Gestürzten sogar gefeiert zurück (Ukraine, Haiti). Da ist sogar Yellow-Press kritischer und innovativer und spannender zu lesen als internationale Politik.

     

    Demokratie kann vielleicht funktionieren. Aber nicht mit Parteien die sich die Taschen füllen und Politikern die Schulden machen. Das ist nicht besser als ein Benzin-Auto durch ein neues Benzin-Auto zu ersetzen und das alte großspurig demonstrativ abzufackeln.

    Amerika sät woanders schlechtere Demokratien als bei sich selber und bejammert dann die Kosten durch den Untergang.

    Und alle bezahlen es und 99% leben in Alters-Armut.

     

    Wir träumten auch mal von blühenden Landschaften. Die erreichen Euren arabischen Frühling schneller als ihr denkt.

    In der Musik nennt man Timoschenko oder die Schill-Partei "one-hit-Wonders". Die können dann im Dschungel ihre Schulden abbauen.