Investoren im deutschen Fußball: Zwischen Totenkopf und Silberstern
Der deutsche Fußball könnte künftig verstärkt auf Investoren setzen. St.Pauli-Geschäftsführer Rettig warnt vor einer Entdemokratisierung.
Andreas Rettig, dem Geschäftsführer des Zweitligisten FC St. Pauli, kann das eigentlich egal sein, er muss sich ja nicht mit den Bayern messen. Über Rettigs Büro im Millerntorstadion wehen drei ziemlich zerfledderte Fahnen. Eine mit Totenkopf auf der linken Seite, eine Regenbogenflagge rechts, und in der Mitte die braun-weiße mit dem halb abgerissenen Logo des FC St. Pauli drauf. Irgendwie kultig, aber 2. Liga. Und ohne Konkurrenten vom Format des FC Bayern, der tadellosere Vereinsfahnen und mehr Geld besitzt.
Trotzdem trägt Andreas Rettig in seinem Büro neben einer schwarzen Hose und einem typischen, weißen Geschäftsführer-Hemd auch ein paar Sorgen mit sich herum. Es geht ihm um die Ausgeglichenheit im deutschen Profifußball, um die Wahrung und Integrität des Wettbewerbs, um das deutsche Vereinswesen, um Investoren – um Grundsätzliches also. Und um die 50+1-Regel.
Diese Regel der Deutsche Fußball Liga (DFL) schreibt vor, dass an einem Profifußballbetrieb wie etwa der FC Bayern München AG der Mutterverein, also der FC Bayern München e. V., die Stimmenmehrheit hält – und nicht die Investoren, die im bayrischen Fall Adidas, Allianz und Audi heißen. Dadurch bestimmt der Verein, zumindest in der Theorie, die strategische Ausrichtung der Aktiengesellschaft. So soll garantiert werden, dass die AG im Sinne des Fußballsports geführt wird – und keinen Investoreninteressen unterliegt. Andererseits bringen Investoren frisches Geld in einen Markt, der, so scheint es, bald alle vorhandenen Monetarisierungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat.
Die 50+1-Regel abschaffen?
Das weiß auch Rettig: „Fällt die 50+1-Regel, wird mehr Geld in den Kreislauf kommen“, sagt der St.-Pauli-Geschäftsführer. Dann folgt eine kurze Pause, ein „aber“, schließlich dies: „Profitieren würden die Großklubs, das Gap würde größer. In Hessen würde Eintracht Frankfurt mehr Geld bekommen als Darmstadt 98.“
Rettigs Conclusio, die er schon häufig gezogen hat, lautet: „Investoren sind nicht die Lösung des deutschen Fußballs, weder national noch international.“ Rettig und der FC St. Pauli, der immer noch ein etwas anderer Verein ist, dürfen in der Debatte um Fußball-Investoren als antikapitalistisch gelten – obwohl natürlich auch der Millerntorverein streng durchökonomisiert ist.
Andreas Rettig, St. Pauli
Der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga, Christian Seifert, sieht die Dinge ein bisschen anders als Andreas Rettig, vielleicht muss er das sogar. Seiferts Denken wird vom europäischen Wettbewerb beeinflusst, vom globalen Kampf um asiatische Absatzmärkte und lukrative TV-Verträge. Seifert würde den Bundesliga-Markt gerne weiter für Geldgeber öffnen, die Anreize erhöhen.
Praktisch besehen würde er am liebsten gleich die 50+1-Regel abschaffen. Nur sagt er das nicht so direkt, vorerst jedenfalls. Zu groß wäre der Widerstand aus den ohnehin investorenfeindlichen Fankurven im Land, deren Stimmungsmache einen gewichtigen Teil der Bundesliga-Unterhaltung ausmacht.
„Völlig unvoreingenommen“ müsse über das Fortbestehen der Regel diskutiert werden, meinte Seifert im April dieses Jahres, Klubs könnten nicht so einfach gekauft oder verkauft werden. „Deshalb ergibt es Sinn, die Situation zu regulieren. Ich bin nicht davon überzeugt, dass der komplett freie Markt die Antwort auf alles ist.“ Seifert pirscht sich langsam an, er agiert öffentlich noch im Defensivmodus.
Investoren wollen Mitspracherechte
Investoren wollen Mitspracherechte für das Geld, das sie geben. Je mehr Mitspracherechte, umso mehr Geld. Eine einfache Rechnung, die neue Stars garantiert und die Erfolgsaussichten deutscher Klubs in der Champions League steigert, dem wichtigsten europäischen Klubwettbewerb. Wer darin erfolgreich abschneidet, erhält wiederum weltweite Aufmerksamkeit, die Umsätze steigen, die Attraktivität der Bundesliga gleich mit. So geht die Logik bei der DFL.
Andreas Rettig hält davon wenig. „Es ist naiv zu glauben, dass Bayern München einen Neymar für 222 Millionen Euro verpflichten würde. Dann käme halt ein Scheich und würde noch einen draufsetzen, deren Möglichkeiten sind unbegrenzt.“
Scheichs und Oligarchen, die etwa den Fußball in Manchester oder Paris beherrschen, will man aber in Deutschland nicht, das hat auch kulturelle Gründe. Spätestens seit der TSV 1860 München mit dem jordanischen Investor Hasan Ismaik unter lautem Getöse in Liga 4 gerauscht ist, gelten Öl-Millionen als schmierig.
Begehrt hingegen ist der deutsche Euro. Vermögende alte Männer wie Hoffenheims Dietmar Hopp, HSV-Geldgeber Klaus-Michael Kühne oder Hannovers Hörgerätehersteller Martin Kind sind bei der DFL herzlich willkommen, sie gelten als vertrauenswürdig, seriös. Sogar St. Paulis Manager Andreas Rettig findet: „Mit Hopp habe ich nullkommanull Probleme. Sein Investment hat eine andere Qualität als das von Ismaik.“ Hopp, der in Hoffenheim über 300 Millionen Euro investiert hat, kommt aus der Region, ihm unterstellt die Branche ein Interesse an der Sache selbst.
Als verlässliche Partner gelten prinzipiell auch Großkonzerne wie Bayer, VW oder Mercedes. Der Silberstern leuchtet inzwischen verstärkt beim VfB Stuttgart. Für 41,5 Millionen Euro hat sich die Daimler AG 11,75 Prozent der Anteile an der VfB AG gesichert.
„Ein erfolgreicher Fußballverein kann für uns ein Standortvorteil sein. Auch wir kämpfen um Talente. Dabei spielt die Gesamtattraktivität dieser Region eine wichtige Rolle. Zudem haben wir viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dem VfB emotional verbunden sind. Daher sehen wir es auch als eine Verpflichtung, die Entwicklung unseres Nachbarn mit voranzutreiben. Wir wollen ein positives und emotionales Signal für Stuttgart und die Region setzen“, begründet der Konzern sein Investment. Kapital made in Germany – eine attraktive Möglichkeit, die der deutsche Fußball gerne nutzen möchte. Rettig dagegen warnt: „Kein Investor macht etwas in einem Klub nur aus reiner Liebe zum Fußball.“
Sprecher der Daimler AG
Die DFL übt sich gerade darin, die eigenen Regularien zu umgehen, um Investoreninteressen über Vereinsrechte zu stellen. Der Fall Martin Kind legt dies nahe, seit 2008 schon. Damals holte die DFL ein externes Gutachten ein. Sie ließ überprüfen, welche Profiteams die 50+1-Regel erfüllen und welche nicht. Darin stand über Hannover 96: „Nach unserer Auffassung sprechen gute Gründe für einen Verstoß der bei Hannover 96 vorgefundenen gesellschaftsrechtlichen Struktur gegen die 50+1-Regelung.“
Kritische Fälle
Neben dem kritischen Fall Hannover 96, über den taz, Bild und Spiegel bereits am vorletzten Wochenende ausführlich berichteten, listet das geheime DFL-Gutachten weitere kritische Fälle auf. Darunter den FC Augsburg, Eintracht Frankfurt, 1899 Hoffenheim und den SV Wehen Wiesbaden.
Beim FC Augsburg, wo zum damaligen Zeitpunkt Andreas Rettig die Geschäfte führte, soll es sich wohl um einen Formfehler gehandelt haben. „Für den FC Augsburg gab es damals eine Strafe nach einem Austausch mit der DFL. Es handelte sich dabei um eine Fahrlässigkeit, nicht um eine vorsätzliche Missachtung der 50+1-Regel“, sagt Rettig. Die Sache sei schnell behoben worden und dann erledigt gewesen.
Da mutet es umso merkwürdiger an, dass Hannover 96 angibt, von dem Gutachten nichts gewusst zu haben. Über die Fälle Eintracht Frankfurt und Wehen Wiesbaden sind Details nicht bekannt. Bei 1899 Hoffenheim dürfte wohl der Hopp-Einfluss eine Rolle gespielt haben.
Dass die DFL so intransparent agiert, wirkt befremdlich. Anfragen zum Hannoveraner 50+1-Ausnahme-Verfahren bleiben unbeantwortet.
Andreas Rettig mahnt grundlegende strukturelle Änderungen an. „Die Integrität des Wettbewerbs muss gewahrt bleiben. Es kann doch nicht sein, dass ein Vertreter von Eintracht Braunschweig mitentscheidet, ob Hannover 96 die Lizenz erhält oder nicht. Wir brauchen eine ausgelagerte, neutrale Instanz, die rein nach wirtschaftlichen Kriterien urteilt, ob ein Klub die Bedingungen der DFL erfüllt oder nicht.“ Worte, die Christian Seifert von der DFL, die um jeden Preis die große Bühne bespielen will, ungefähr so gerne hören wird wie diesen Sepp-Herberger-Satz: „Fußball ist das Theater des kleinen Mannes.“
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