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■ VorschlagIntimate Stranger: „KontrKAFKA“ vom Theater Zentrifuge

Die drei uniformen Angestellten, die uns die Stimme aus dem Off als „Kafka, Franz“ vorstellt, scheinen sich einend und sondernd die Frage zuzuwerfen: Sind sie einer, oder ist er, Kafka, drei? Bald wird er aus der Reflexion gerissen: im Tanz der anderen, zum fast balkanischen Drive der Quetschkommode droht er unterzugehen. Dann ist er wieder allein oder, da sein gleichgekleidetes Alter ego ihm der beste Gesprächspartner ist, zu zwein.

Er ist nicht K., nicht bloß die Romanfigur. Er ist die Person Kafka, die sich in der von Martha Hölters-Freier und Katarzyna Makowska-Schumacher dramatisierten und inszenierten Collage herauskristallisiert. In ihr stellen sich die aus seinen Tagebüchern und seinen Erzählungen und Romanen gewonnenen Szenen gegenseitig in Frage und bestätigen sich. So wird er hier von den Quälgeistern seiner „schädlichen“ Erziehung heimgesucht, den Eltern und der Köchin, dort nicht quallos von der Verlobten angezogen, der Geliebten, dem „Mädchen“ der ephemeren Begegnung. Er scheint – erstaunlich – Erlösung zu suchen bei der Frau, der er dann erst ängstlich, fremd, zurückgezogen in seinem Literatendasein gegenübersteht. So entweicht sie in Projektionen, Bildern, die das Theater Zentrifuge auf der nur von Projektionsflächen und Türen gerahmten Bühne erstehen läßt. Da agieren die Darstellerinnen mechanisch wie Marionetten oder langsam wie Traumbilder. Sie arrangieren sich zu einer Masken- und Kostümschau, die Kafka aus der Ferne fast fetischistisch kommentiert, und zu surrealen Konstellationen, die an jene erinnern, in denen bei Magritte, Delvaux und Ernst Kafka gleichende Hut- und Mantelträger stets die Frauen verfehlen.

Einer, der drei ist, Kafka Foto: Marion Schönenberger

Das Theater Zentrifuge gründete sich einst als mehr dem politischen als dem professionellen Anspruch verpflichtetes Theater. Jetzt entwickelt es sein neues, literarisch motiviertes Stück durch ein konsequentes Bild- und Textarrangement wie auch durch ein fesselndes Spiel auf die beiden Sequenzen beschließenden Höhepunkte hin: hier die Klage Kafkas, dort das Erlösungsversprechen der Geliebten. Keine Lösung, eine Antithese: eben nicht nur Kafka, sondern „KontrKAFKA“. glagla

Bis 1.12. Do.–Mo., 20.30 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstr.3

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