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Interview"Bildung ist die Veredelung des Menschen"

Das Geschichtsfestival "Historiale" behandelt die Reformen Preußens. Kanzler Carl August von Hardenberg organisierte einst die nach ihm benannten Reformen. Im taz-Interview kritisiert er Überwachungsfantasien.

taz: Herr Minister, trägt man heute wieder Gehrock und Zylinder?

Carl August von Hardenberg (1750-1822) wurde in eine Adelsfamilie geboren. Er genoss eine sehr moderne Erziehung. Mit 16 Jahre begann er ein Jura-Studium. 1798 kam der Ruf aus der preußischen Hauptstadt. Unter Friedrich Wilhelm III. wurde er 1804 zum Außen- und 1807 zum leitenden Minister ernannt. Zusammen mit Heinrich Friedrich Karl vom Stein leitete er Verwaltungs-, Regierungs- und Bildungsreformen in Preußen ein - eine Reaktion auf die Niederlage gegen Napoleon. Hardenberg gilt als der einflussreichste Staatsreformer des 19. Jahrhunderts.

Michael Golab (22), studiert Schauspiel an der Universität der Künste und gibt den preußischen Reformkanzler Hardenberg auf der Historiale 2007. JM

DIE HISTORIALE

Die Franzosen kommen: Erst ritt Napoleon 2006 durch das Brandenburger Tor, nun "besetzen" seine Mannen am Wochenende das Nikolaiviertel. Für das Geschichtsfestival "Historiale" wird das Viertel in das französisch besetzte Berlin des Jahres 1807 verwandelt. 200 Darsteller in historischen Gewändern nehmen Berliner von Freitagabend bis Sonntagnachmittag mit auf eine Zeitreise. Das Motto der "Historiale" lautet in Anspielung "Agenda 1807 - den Staat umkrempeln" und widmet sich den Preußischen Reformen (1807-1815). Am Samstag laden Darsteller als Reformer Freiherr vom Stein und Fürst von Hardenberg zur "Langen Nacht der Museen" ins Abgeordnetenhaus. JM

Carl August von Hardenberg: Ich übe zwar mein Amt mit Würde aus, trotzdem brauche ich keine große Garderobe. Aber zu öffentlichen Anlässen wie diesem habe ich mich für ein schnittiges und zeitgemäßes Ensemble entschieden.

Wir befinden uns im Salon des Abgeordnetenhauses. Ein Gebäude, das erst 76 Jahre nach Ihrem Tode Richtfest feiern wird. Fühlen Sie sich hier trotzdem wohl?

Zugegeben, ich hätte etwas anders gebaut. Aber ich muss den Erbauern eines lassen: Die hohen Decken und das viele Tageslicht versprühen den Geist von Aufklärung und Demokratie. Und das ist etwas, was ich von einem Parlament erwarte.

Sie gelten als größter Reformer des 19. Jahrhunderts. In Deutschland tut man sich immer schwer mit Reformen. Wie macht man es richtig?

Man muss immer reaktionsfähig sein. Manche werfen mir vor, ich könne mit jedem auskommen, sei ein Wendehals und bezöge nicht klar Position. Ich räume ein: Manchmal muss man auch Entwicklungen abwarten können oder sich anpassen. Denn Politik heißt für mich, einen Ausgleich zu erzielen. Das Bestmögliche ist nicht immer das Bestmachbarste. Ich halte dies für keine Schwäche.

Viele Schulabgänger ohne Abschluss, dazu Lehrstellenmangel, und an den Unis werden die Professuren gestrichen. Nehmen wir Bildung noch ernst?

Zunächst dies: Ihr Bildungsbegriff ist doch ein völlig anderer als der meinige. Für Sie heute heißt Bildung zunächst, sich dienstbar für die Wirtschaft zu machen. Ich plädiere für einen Bildungsbegriff, der davon ausgeht, die Persönlichkeit zu bereichern und den Menschen in seinen originären Fähigkeiten zu befördern. Es geht um keine Zweckmäßigkeit, sondern um die Vervollkommnung des Menschen. Wer die Welt besser versteht, geht auch mit seinen Mitmenschen besser um. Kurzum: Bildung heißt nicht Funktionalität, sondern die Veredelung des Menschen.

Bund, Länder und Kommunen ringen ständig um Zuständigkeiten. Wie sieht moderne Verwaltung aus?

Meiner Erfahrung nach funktioniert das Modell der Selbstverwaltung am besten. Entscheidend ist hierbei die politische Partizipation aller Bürger. Die Geschicke der Gemeinheit liegen in der Hand jedes Einzelnen. Sie sind weder gottgegeben noch historisch ableitbar. Wir brauchen nicht zwingend eine Obrigkeit, in deren Händen alle Fäden zusammenlaufen. Die reine Demokratie wird es aber - wenn überhaupt - erst im Jahr 2440 geben.

Bis dahin müssen wir aber noch friedlich miteinander auskommen. Wie schafft man so eine Gesellschaft?

Auch hier kann ich auf die Aspekte der Volksbildung hinweisen. Jeder Mensch ist speziell, ist eigen, ist ein originäres Wesen. Daraus folgt, ein Jedermann darf auch glauben, was er will. Der Geist der Liberalität und der Toleranz ist ein hohes Gut. Gleichwohl gilt, es wird nie paradiesische Zustände auf Erden geben.

Fühlt sich der Staat bedroht, schränkt er die Bürgerrechte ein. Ist dies auch ein kausaler Zusammenhang für Sie?

Ich will Ihnen dieses Mal als Privatier antworten, aber frage Sie zugleich: Empfinden Sie nicht, dass Ihr Privatleben des Schutzes bedürftig ist? Im Laufe meines Lebens habe ich mehrere Bekanntschaften gemacht. Niemanden hat zu tangieren, wer des Morgens und wer des Abends an meiner Seite weilt. Derlei Bestrebungen sind mir zutiefst suspekt.

Das "freie Leben" heißt so, weil man von einem auf den anderen Moment entscheiden kann, was man macht. All dies ist unabdingbar für ein erfülltes Sein. Alles andere ist wider alle Menschlichkeit.

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