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Interview"Wir setzen uns nicht nur für Leistungsfähige ein"

Im Fall Aydin fehlt es der Härtefallkommission zum Teil an Zuständigkeit, sagt Traudl Vorbrodt. Eine Erkrankung allein biete keinen Schutz vor Abschiebung.

Interview von Claudius Prösser

DER FALL AYDIN

Seit drei Wochen sitzt Turgay Aydin in Abschiebehaft. Der in der Türkei geborene 21-Jährige soll Deutschland verlassen, weil seine Eltern bei der Einreise vor 18 Jahren fälschlicherweise behauptet hatten, Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon zu sein. Kritik üben Flüchtlingsinitiativen und Politiker an Aydins Ausweisung, weil er laut ärztlichem Attest an Epilepsie und Schizophrenie leidet und nach seiner Ankunft in der Türkei vermutlich zum Militärdienst eingezogen wird.

Die Berliner Härtefallkommission, die dem Innensenator empfehlen kann, einer Person trotz ausgeschöpfter Rechtsmittel den weiteren Aufenthalt in Berlin zu ermöglichen, hat im Fall Turgay Aydin keine derartige Empfehlung ausgesprochen.

taz: Frau Vorbrodt, die Härtefallkommission hat sich nicht für den 21-jährigen Turgay Aydin eingesetzt. Warum nicht?

Traudl Vorbrodt: Ich muss vorausschicken, dass die Kommission grundsätzlich keine Auskünfte zu Ablehnungen gibt. Wer von den Mitgliedern welche Empfehlung ausspricht, das ist weder öffentlich zu diskutieren, noch sind wir irgendjemandem Rechenschaft schuldig. Das ist eine Übereinkunft zwischen uns.

Dann mal allgemein gefragt: Reicht es nicht, dass ein schwer Kranker in ein Land abgeschoben wird, wo ihn der Militärdienst erwartet? Was ist denn ein Härtefall, wenn nicht das?

Es ist aber kein Härtefall im Sinne der Härtefallkommissionsverordnung. Zugegeben, das ist schwer zu verstehen. Aber dass ein Mensch in seinem Herkunftsland möglicherweise schlecht behandelt wird, ist ein so genannter zielstaatsbezogener Grund, über den wir als Kommission gar nicht befinden dürfen. Das fällt ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.

Und die Erkrankung?

Die Krankheit kann nur ein Grund sein, jemanden hierzubehalten, wenn die Versorgung im Zielland nicht gewährleistet ist. Übrigens weiß jeder, der sich ein bisschen mit der Materie auskennt, dass Epileptiker auch in der Türkei nicht eingezogen werden. Das Hauptkriterium für die Härtefallkommission ist jedenfalls die Integration des Betroffenen und welche Perspektiven er in dieser Hinsicht hat.

Geben die Kommissionsmitglieder eigentlich spontan Empfehlungen ab, oder werden die Fälle diskutiert?

Natürlich werden die Fälle diskutiert, manchmal sogar sehr ausführlich. Jedes Mitglied kann nachfragen oder weitere Unterlagen anfordern. Wir sprechen unsere Empfehlungen nie ruck, zuck nach Aktenlage aus.

Aber können Sie nachvollziehen, dass ein Außenstehender das Verhalten der Kommission im Fall Aydin empörend findet?

Sicher. Der Mann lebt seit 18 Jahren in Deutschland, er hat hier sein soziales Umfeld, seine Heimat. Das ist schon eine gravierende Härte. Das zieht aber nicht zwangsläufig eine Empfehlung nach sich. Da kommen noch viele andere Kriterien hinzu. Es klingt vielleicht hart, aber auch von Kranken oder Behinderten wird eine gewisse Eigeninitiative im Rahmen ihrer Fähigkeiten erwartet.

Also doch ein wenig nach dem Motto "Wer bleiben will, muss fleißig sein"?

Nein, das stimmt einfach nicht. Diese Unterstellung hat mich auch an der Berichterstattung geärgert. Natürlich können wir nicht öffentlich vertreten, dass ein, sagen wir mal, gesunder 20-Jähriger hier bleibt, der den ganzen Tag zu Hause sitzt und Videospiele testet. Da sage sogar ich: Dumpfbacken haben wir hier genug. Aber es ist mitnichten Motivation der Kommissionsmitglieder, sich nur für Leistungsfähige und Gesunde einzusetzen. Wir haben eine ganze Reihe schwer Kranker über die Kommission und den Innensenator zu einem Aufenthaltstitel gebracht.

Also weiter so?

Sehen Sie, es gibt nichts Vollkommenes. Aber für viele Leute ist die Arbeit der Härtefallkommission ein Segen. Und so, wie sie im Moment noch arbeiten kann, sind wir überwiegend zufrieden.

Wieso "noch"?

Wie es weitergeht, wenn Herr Körting mal nicht mehr Innensenator ist, weiß niemand. Auch nicht, was nach dem 31. 12. 2009 passiert. Nur so lange gilt nämlich die Härtefallregelung. Wenn wir die Kommission jetzt schon schlechtreden und ihr Willkür vorwerfen, ist das politisch kontraproduktiv. Ich sage: Gott sei Dank gibt es die Kommission. Sie ist ein zartes Pflänzchen, und die einzelnen Mitglieder sind über alle Maßen engagiert. Ohne Aufwandentschädigung übrigens.

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