Interview: "Wow, da kann etwas entstehen!"
Wenn Senatorin Junge-Reyer (SPD) an die Chancen des Flughafens Tempelhof denkt, fallen ihr neue Stadtteile und Arbeitsplätze mitten in Berlin ein sowie Sport- und Freizeitmöglichkeiten. Sie plant eine Internationale Bauausstellung mit der Frage: Wie kann Landschaft in der Stadt gestaltet werden? Interview
taz: Frau Junge-Reyer, wann sind Sie zuletzt von Tempelhof geflogen?
Ingeborg Junge-Reyer: Das ist schon ein paar Jahre her. Der erste Flug war, wie bei vielen Berlinern und Berlinerinnen, ein Flug von Tempelhof nach Düsseldorf.
Verstehen Sie die Wehmut und die nostalgische Stimmung, die viele Westberliner ergreift, wenn es um das Thema Tempelhof geht?
Für viele ist Tempelhof ein Stück Lebensgeschichte. Ein Stück Erfahrung mit dieser Stadt. Was man zum ersten Mal tut, das bleibt in Erinnerung. Keineswegs aber ist es so, wie viele glauben, dass wir uns mit der Schließung von Tempelhof vom Flughafengebäude trennen müssen. Das Einzige, was eingestellt wird, ist der Flugbetrieb. Dafür bekommen wir etwas: die Nutzung des großen Gebäudes und die Nutzung der Freifläche.
Genau das spielt in der Diskussion eine eher untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht der scheinbare Verlust. Warum ist das Thema Tempelhof so rückwärts gerichtet und nicht der Zukunft zugewandt?
Dass müssen Sie diejenigen fragen, denen es in der Kampagne weniger um die Schließung oder Fortsetzung des Flugbetriebs geht, als vielmehr um andere Ziele.
Welche sind das?
Für einige geht es auch darum, mal zu sehen, ob man mit dem Herbeireden solcher Verlustängste nicht auch politische Erfolge erzielt, die mit dem eigentlichen Thema gar nichts zu tun haben.
Nun wäre es die Aufgabe des Senats, genau darauf aufmerksam zu machen und die Chance hervorzuheben, die sich mit dieser großen Herausforderung Nachnutzung bietet. Haben Sie da auch etwas versäumt in der Vergangenheit?
Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, was für ein unglaubliches Erleben es ist, sich auf dem Flugfeld zu bewegen. Im letzten Sommer zum Beispiel haben wir die Berlinerinnen und Berliner eingeladen, an einem Tag mit dem Bus rund um das Flugfeld zu fahren. Mehr als Tausend haben diese Gelegenheit wahrgenommen und zum ersten Mal gesehen, was für Möglichkeiten es an diesem Ort gibt. Das vermittelt sich erst, wenn man sich wirklich auf dem Gelände befindet.
Diese Busfahrt haben Sie ein Jahr vor der Schließung organisiert. In Tegel beginnen die Planungen für die Nachnutzung bereits jetzt - mehr als drei Jahre vor der geplanten Schließung. Warum hat man in Tempelhof nicht eher begonnen.
Es hat diese Nachnutzungsdiskussion gegeben. Auch für Tempelhof. Sie ist allerdings öffentlich noch nicht so wahrgenommen worden.
weil sie nur in Fachkreisen geführt wurde.
Weil sie noch weit weg lag. Man konnte oder wollte sich das vielleicht noch nicht vorstellen. Vielleicht waren die Pläne, die vorgestellt wurden, auch zu abstrakt. Das ist mit Tegel nicht anders. Da diskutieren wir jetzt konkret, was dort entstehen kann. Es ist eine einerseits waldnahe Lage, und es ist auf der anderen Seite eine Lage, die in Richtung Hamburg und Ostsee führt. Gerade kümmern wir uns darum, wie wir denen, die in Tegel ein Gewerbe betreiben, eine Möglichkeit geben, als auf einen Flughafen orientierten Nutzer nach Schönefeld umzuziehen.
Nun ist in Tegel ein Central Park schwer vorstellbar.
Weil es nicht zentral ist.
In Tempelhof dagegen tragen Schlagworte wie Central Park oder Tempelhofer Freiheit auch dazu bei, die Vorstellungskraft zu beleben. Was ist denn der derzeitige Stand der Planung für die Zeit nach dem Flughafen Tempelhof?
Ideen aus dem Internetdialog, mit denen wir den Begriff Tempelhofer Freiheit gefüllt haben, haben wir ja öffentlich vorgestellt. Es gibt sehr viele Vorschläge, die das Wohnen dort zum Thema haben. Für mich ist klar, dass es da ausschließlich um ökologisches Wohnen gehen kann: für Familien, in der Stadt, gelegen an einem Landschaftspark.
Einer der Standorte für dieses ökologische Wohnen ist der Osten des Flughafens, der an die Neuköllner Wohngebiete grenzt. Viele fürchten, dass da die Mieten steigen.
Das glaube ich nicht. Darüber hinaus prüfen wir gerade, ob es Sinn macht, in Neukölln weitere Sanierungsgebiete auszuweisen. Das wäre ein Beitrag dazu, auch weiterhin preiswert dort wohnen zu können. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass da auch Baugruppen zum Zuge kommen.
Wird sich Berlin für eine künftige Bundesgartenschau bewerben mit einer Grünbrücke zwischen dem Landschaftspark Tempelhof und der Hasenheide?
Ob es unbedingt eine Gartenschau sein muss, prüfen wir gerade. Eigentlich ist der Park kein Gartenbauthema. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir da eine Internationale Bauausstellung für Landschaft nach Berlin holen. Die großen Fragen werden sein: Wie kann Landschaft in der Stadt gestaltet werden? Und zwar in einer Größenordnung, wie sie uns sonst nicht zur Verfügung steht.
Wann wird es da zu einer Entscheidung kommen?
Vor der Schließung von Tempelhof im Oktober.
Warum nicht vor dem Volksentscheid.
Eine Internationale Bauausstellung muss sorgfältig vorbereitet werden. Ein paar Prinzipien können wir aber jetzt schon festlegen. Natürlich steht da der Landschaftspark für 500.000 Anwohnerinnen und Anwohner an erster Stelle.
Das sind alles schöne Ideen. Aber sie haben die Bevölkerung bisher nicht richtig gepackt und elektrisiert. Warum ist das so?
Wenn die Mehrheit der Berliner mitten auf dem Gelände steht, wird das so sein. Die sehen die Freifläche, die sehen die Hangars, die man bespielen kann, die sehen plötzlich, was für Möglichkeiten es dort gibt und sagen sich: Wow, da kann etwas entstehen.
Die Grünen reden bereits von einem großen Volksfest noch vor dem Volksentscheid. Im Grunde müssen Sie sich doch sofort zusammensetzen, um den Flughafen mindestens für ein Wochenende aufzumachen.
Ich finde solche Fantasien gut. Aber wir müssen uns tatsächlich die Frage stellen: Wann kann man mit einem solchen Volksfest das Gelände erobern? Das Problem im Augenblick ist, dass es sich noch um einen Flughafen handelt.
Beim Red-Bull-Event im letzten Jahr ist der Flugbetrieb auch mehrere Tage nach Tegel verlegt worden.
Wenn die Airlines für ein paar Tage mitspielen, wäre das möglich.
Was ist die größere Herausforderung: die Nachnutzung des Flugfeldes oder die des Gebäudes, das immerhin das drittgrößte der Welt ist?
Eins geht nicht ohne das andere. Im Vordergrund steht dabei die Frage: Was kann am Rande des großen Landschaftsparks und in Verbindung zur Stadt neu entstehen?
Und: Was kann da entstehen?
Es geht um neue Stadtteile mitten in Berlin, um Wohnen, um Sport und Freizeit, um Arbeitsplätze in der Stadt. Noch gehört allerdings das Gebäude nicht dem Land Berlin.
Im Rahmen der Hauptstadtfinanzierung haben Sie sich mit dem Bund aber darauf geeinigt, dass das gesamte Gelände in den Besitz des Landes kommt. Im Gegenzug gibt der Senat mehr Geld für die Staatsoper.
Noch ist es nicht so weit. Da muss noch verhandelt werden. Auch der Wert muss noch geschätzt werden. Ich gehe davon aus, dass das noch vor dem Schließungstermin geklärt ist.
Unglücklich sind Sie aber nicht, dass Sie bald über das Gebäude verfügen können.
Ich empfinde das als Chance. Die Frage, wie wir mit dem Gebäude umgehen, muss unabhängig von der Frage, wer Eigentümer ist, entschieden werden.
Der Bund hat sich da in der Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert.
Da hätte man früher beginnen können, ja. Vor allem, was den möglichen Umzug von Bundesministerien betrifft. Fakt ist aber, dass das Gebäude eine größere Chance hat, wenn der Flugbetrieb zu Ende ist.
Sind Sie da mit potenziellen Nutzern schon im Gespräch?
Es gibt viele, die sich interessieren. Denen zeigen wir das Gebäude, mit denen reden wir darüber, was man an welcher Stelle machen kann.
Welche Chancen haben Ideen wie die eines Themenparks Luftfahrt?
Gute Chancen. Da gehören dann natürlich auch Vorschläge wie der eines Luftbrückenmuseums dazu. Tempelhof ist ein Ort der Luftfahrtgeschichte. Das ist eine Standortqualität, die die Planungen nicht behindert, sondern eine Chance ist.
Die Initiative für den Erhalt des Flughafens hat die nötigen 170.000 Unterschriften gesammelt. Es wird also innerhalb von vier Monaten einen Volksentscheid geben. Was ist Ihre Botschaft an die Berliner: Hingehen und mit Schließung stimmen?
Wer glaubt, dass Tempelhof für den Flugverkehr offen bleiben könnte, der täuscht diejenigen, die da abstimmen sollen. Tempelhof wird geschlossen.
Warum soll man dann zur Abstimmung gehen.
Um die Chancen für Berlin, die in der Nutzung des Geländes ohne Flugbetrieb liegen, zu ergreifen. Das Interesse an 40.000 Arbeitsplätzen beim BBI ist wichtiger als die Interessen weniger Privatflieger in Tempelhof.
Was wird sein, wenn die Mehrheit der Berliner für die Weiterführung des Flugbetriebs stimmt?
Dann wird sich der Senat damit befassen. Aber die Erwägungen, die jetzt entscheidend sind, bleiben bestehen. Den Ausbau von BBI zu gefährden, wäre ein unglaubliches wirtschaftliches Risiko für die gesamte Region und nicht zu verantworten. Wer glaubt, die Verantwortung für das Offenhalten von Tempelhof übernehmen zu können, macht einen schweren Fehler.
Wäre ein Kompromiss, dass Tempelhof bis zur Eröffnung des BBI offen bleibt?
Nein. Auch deshalb, weil die Berliner Flughafengesellschaft mit Tempelhof jedes Jahr riesige Verluste einfährt. Diese Flughafengesellschaft gehört uns, sie gehört Brandenburg, sie gehört der Bundesregierung. Es ist ein Irrsinn, 10 Millionen Euro im Jahr für wenige Geschäftsleute auszugeben, die in einen einzigen Zug nach Köln passen würden.
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