Interview zum islamischen Opferfest: "Schlachten ist immer unangenehm"
Ums Schächten, die rituelle Schlachtung unbetäubter Tiere, wird leidenschaftlich gestritten. Aber zum Kulturkampf um religiöse Werte taugt es nicht, so der Tierarzt und SPD-Politiker Wilhelm Priesmeier.
taz: Herr Priesmeier, am Mittwoch ist das islamische Opferfest. Wie viel Schächtungen werden dafür in Deutschland durchgeführt?
WILHELM PRIESMEIER, 53, ist Bundestagsabgeordneter der SPD und seit 1984 Tierarzt in Niedersachsen. Er arbeitete unter anderem als Assistent am Institut für Pharmakologie an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf dem Feld der Agrar- und Verbraucherschutzpolitik. Er ist stellvertretender agrarpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und arbeitet immer noch als Tierarzt.
Wilhelm Priesmeier: Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Öffentlichkeit geht aber oft von zu hohen Zahlen aus, denn die Muslime akzeptieren weitgehend eine Elektrokurzzeitbetäubung - und dann ist es keine unbetäubte Schächtung mehr. Ein großer Teil des Fleisches, das am Opferfest konsumiert wird, ist außerdem Importware. Es kommt hauptsächlich aus Belgien.
Was ist denn wichtiger, Religionsfreiheit oder Tierschutz?
Das ist die Kernfrage. Nachdem der Tierschutz als Staatsziel in der Verfassung aufgenommen wurde, haben wir eine neue rechtliche Situation. Allerdings wird die Religionsfreiheit von dem Grundgesetz höher bewertet, eine Einschätzung, die wir noch aus der alten Weimarer Verfassung übernommen haben. Das Verfassungsgericht hat ja geurteilt, dass niemand gezwungen werden darf, seine Religionszugehörigkeit offenbaren zu müssen. So wird es schwierig, wenn ein Betroffener darlegen muss, dass ein bestimmtes Ritual Teil seines Glaubens ist.
Alles also nur eine Glaubenssache?
Der Christdemokrat Peter Jahr hat mit christlichen Grundsätzen argumentiert. Dies finde ich untauglich. Damit gehe ich aufs Glatteis und rutsche sofort aus.
Der Kampf der Kulturen findet also auch im Schlachthof statt?
Nicht nur. Das Thema hat auch etwas mit der deutschen Geschichte zu tun. Wir haben eine Expertenrunde veranstaltet. Der anwesende Rabbi hat gefragt: "Wissen Sie, welches Gesetz als erstes 1933 gegen die Juden erlassen wurde? Das war das Schächtverbot."
In einem neuen Gesetzentwurf wird gefordert, dass nachzuweisen sei, dass beim Schächten die Tiere keinen unangemessenen Schmerz empfingen. Ist so ein Nachweis überhaupt möglich?
Ja. Aber dieses Gesetz würde dazu führen, dass das Schächten in Deutschland nicht mehr erlaubt ist. Denn natürlich ist das Schächten sehr wohl mit erheblichen Schmerzen verbunden. Wenn bei einem Rind der Schächtvorgang optimal abläuft, vergehen mindestens 10 bis 15 Sekunden, bis das Tier das Bewusstsein verliert. In Einzelfällen kann es bis zu zwei Minuten dauern. Bei Schafen ist das noch eher ein beherrschbarer Vorgang. Sie müssen weniger Gewebe durchtrennen um diesen Schächtschnitt zu führen. Die Schafe machen auch nicht so viele Abwehrbewegungen.
Das Schaf ist schneller tot als das Rind?
Entscheidend ist, dass ein Bewusstseinsverlust eintritt. Zum Bewusstseinsverlust führt massiver Blutverlust. Wenn Sie ein Großtier schächten, sieht das ganz anders aus als bei einem Schaf. Das Volumen, das aus dem Tierkörper entbluten muss, ist erheblich. Wenn es zu Verklebungen an großen Gefäßen kommt, verlangsamt sich der Blutverlust. Niemand kann also wissenschaftlich belegen, dass Schächten mit genauso wenig Schmerz verbunden ist wie bei einer Schlachtung mit Betäubung.
Christliches Schlachten ist tierfreundlicher?
Bei der normalen Elektrobetäubung setzt der Bewusstseinsverlust innerhalb von Bruchteilen von Sekunden ein. Wenn Sie einen Bolzen zur Betäubung verwenden, sieht das genauso aus. Durch die schwere Traumatisierung verliert das Tier sofort sein Bewusstsein. Die Betäubungsverfahren wurden ja auch wissenschaftlich weiterentwickelt. Früher hat man auf den Schlachthöfen eine große Spitzhacke genommen, hat sich vor das Tier gestellt nachdem der Kopf fixiert war, und hat einfach zugeschlagen. Das hat normalerweise den gleichen Effekt wie beim Bolzenschuss. Man trifft nur nicht immer genau. Heute hat man das Verfahren perfektioniert. Die Schweine fahren heutzutage im Paternoster ins CO2, das sie vor der Schlachtung betäubt.
Das klingt auch nicht sehr tierfreundlich.
Das kommt darauf an, aus welchen Erfahrungszusammenhängen man kommt. Wenn Sie einen Landwirt fragen, der seit seiner Kindheit den Umgang mit Tieren kennt, dann sieht der das anders als jemand, der in der Stadt wohnt und eine Katze oder einen Hund in der Wohnung hat. Der Mensch hat sich ja weitestgehend von der Produktion seiner Lebensmittel entfremdet. Schlachten ist immer unangenehm. Als Kind war ich selbstverständlich dabei, wenn Hühner geschlachtet wurden. Das war nicht schön, aber notwendig.
Gibt es bei der Diskussion ums Schächten braune Trittbrettfahrer?
Ja. Damit hätte ich in dem Umfang gar nicht gerechnet. Ich habe Briefe bekommen, in denen stand, dass die Muslime und die Juden böse Leute sind. Ich fürchte, dass sich rechtsextreme Kreise der Diskussion bemächtigen wollen.
INTERVIEW: LUTZ DEBUS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!