Interview zu Regeln im Internet: "Das ist unterschichtenfähig"
Wer im Netz die Beachtung von Normen einfordert, wird angepöbelt, sagt Medienkontrolleur Norbert Schneider. Dabei könne auch eine moderne Gesellschaft nicht ohne Regeln existieren.
taz: Herr Schneider, Verbraucherministerin Ilse Aigner hat demonstrativ verlangt, ihren Facebook-Account zu löschen, und behält sich rechtliche Schritte gegen das soziale Netzwerk vor. Beginnt gerade ein öffentliches Umdenken über das Kontrollieren und Regulieren im Internet?
Norbert Schneider: Ich bin mir nicht sicher, ob solche Aktionen wirksam sind. Sie schaden natürlich nicht, aber die Vermutung, dass sich hier die Politik selbst in Szene setzt, liegt nahe. Nach allem, was ich weiß, ist der Umgang mit Daten bei Facebook rechtswidrig. Und hier beginnt das Dilemma, weil es solche Anbieter in heftige Imageprobleme stürzen wird, die geglaubt haben, das Internet sei ein rechtsfreier Raum. StudiVZ befleißigt sich doch nicht so sehr eines intensiven Umgangs mit seinen Kritikern, weil es um moralische Fragen, sondern ums Image geht. Das Image entscheidet über den Wert des Unternehmens.
Facebook ist das eine, die Debatte über Kinderpornografie im Internet etwas ganz anderes. Wofür plädieren Sie? Warnen? Sperren? Löschen?
Der 69-Jährige ist seit 1993 Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen und war früher Theologe und Fernsehdirektor beim Sender Freies Berlin.
Alles, was es im Netz gibt, wird man auch irgendwie bekommen. Ich würde in diesem engen Zusammenhang aber vorziehen, hier etwas erst gar nicht zu bekommen. Aber die Debatte über solche Themen ist mir oft zu aufgeblasen. Da gibt es andere Bereiche, die kaum stattfinden.
Welche denn?
Die Datendebatte. Was da derzeit diskutiert wird, ist alles wichtig und richtig, erfasst aber noch überhaupt nicht die Dimension des Ganzen. Das Geplänkel, das da zwischen einer Verbraucherministerin und einem Netzwerk wie Facebook stattfindet, ist noch meilenweit weg von der Frage, was hier eigentlich zu tun ist.
Was forden Sie denn?
Man muss mit den Veranstaltern von Facebook, StudiVZ und so weiter wie mit den Sendern in der alten, analogen Welt Grundverabredungen treffen. Man muss das Entstehen oder Nichtentstehen von etwas - hier also persönlichen Datensammlungen - thematisieren und nicht den Verlauf à la "Da ist schon wieder jemand bei StudiVZ eingestiegen und hat Daten geklaut, obwohl die Alarmanlage eingeschaltet war". Das muss allerdings die Politik erledigen - Goodwill reicht hier nicht, wir brauchen gesetzliche Vorgaben.
Und dann wird alles gut?
Auch hier gilt die alte Regulierer-Weisheit: Nicht der Förster hält den Wald sauber, sondern die Angst, er könnte kommen. Es wird also einen schmutzigen Rest geben. Aber den gibt es immer. Es macht keinen Sinn, sich um den schmutzigen Rest zu kümmern, die Erfahrung haben wir schon in der alten analogen Welt gemacht: Da gab es sogar Kinder, die noch nach 22 Uhr ferngesehen haben.
Die Regulierer sind in der Netzwelt nicht übermäßig beliebt …
Um sich als Regulierer ein paar Ohrfeigen einzufangen, muss man ja nur ein paar kleine spitze Bemerkungen darüber machen, was man im Netz eigentlich nicht darf. Da hat man den denkenden Teil der Netzgemeinde sofort gegen sich - und das in einer pöbelnden Art und Weise, die fast schon wieder unterschichtenfähig wäre. Da gibt es auch kluge Journalisten, die plötzlich jeden Anstand und Sitte fahren lassen und ganz locker "Zensur!" rufen.
Aber welche Regulierung will eine moderne Gesellschaft wie die unsere?
Über diese Grundsatzfrage wird man noch eine ganze Weile streiten. Aber am Ende wird es ähnliche Restriktionen geben wie im analogen Zeitalter. Das sehen Sie heute schon beim Jugendschutz. Oder nehmen Sie die Urheberrechtsfragen: Es ist ja nicht der Dieb des geistigen Eigentums das neue Problem, sondern die Frage, wie ich seiner habhaft werde. Der Diebstahl bleibt derselbe wie in der analogen Welt. Doch wie man das sanktionieren kann, hat sich durch die Struktur des Netzes und durch seine Globalität komplett verändert. Es wird auch noch längere Zeit dauern, bis man sich hier auf Regeln verständigt hat. Aber sie werden ganz sicher kommen, sonst wird das Internet bald seine Schönheiten verlieren.
Was meinen Sie damit?
Wenn vor allem kritische Punkte wie Pornografie, Cybermobbing und Datenklau das Image des Netzes prägen, wird es auch wirtschaftlich kritisch: Jedes Geschäftsmodell ist an das Wohlgefallen des Rezipienten gebunden, sonst bleibt der weg. Und erfahrungsgemäß prägen die fünf Prozent der Dinge, die schlecht laufen, das Image einer Sache stärker als die 90 Prozent, die gut funktionieren.
Warum hat das Internet dann aber auch unter kritischen Intellektuellen einen so guten Ruf?
Merkwürdigerweise ist die Affinität der Intellektuellen hier sehr viel größer als beim Fernsehen. Was daran liegt, dass das Internet derzeit die Avantgarde ist. Und der Intellektuelle möchte immer Avantgarde sein, natürlich risikofrei. Zudem geraten viele Intellektuelle durch ihr Schreiben heute zwangsläufig ins Internet. Die ganzen Vorbehalte, die man gegen das Fernsehen seit Urzeiten hegt, gibt es beim Netz nicht. Aber auch hier gibt es Anzeichen von Ernüchterung. Spätestens, wenn der erste große Datenskandal am geistigen Schaffen vollzogen ist, dann wird sich die Haltung der Späteuphoriker ändern. Zum Beispiel wenn sie merken, dass die Möglichkeit, von ihrer Arbeit als Autoren zu leben, erodiert, weil Urheberrecht im Netz ein weites Feld ist und manche meinen, so etwas gäbe es dort gar nicht mehr. Die Musikindustrie hat es ja schon hinter sich.
Viele Internet-Bürgerrechtler lehnen jede Form der Regulierung trotzdem ab.
Gesellschaften funktionieren nicht ohne Regelungen. Ich bin immer wieder erstaunt, dass sogar intelligente Menschen dies nicht so sehen. Hier muss man sich Zeit geben und darf sich nicht von Fundamentalisten der einen oder anderen Seite auf die Leimruten locken lassen.
Die Rundfunkregulierer werden von den TV-Sendern, für die sie zuständig sind, schon seit Jahren für überflüssig erachtet. Und ausgerechnet die sollen nun wissen, wie es im Internet weitergeht?
Es ist nicht alles neu, das ist wirklich ein Märchen. Es müssen Regeln aufgestellt und Verfahren eingeübt werden - Dinge, die schon immer beim Eintritt neuer Medien in die gesellschaftliche Kommunikation zu erledigen waren. Es muss klar sein, wer was kontrolliert - auch um den Kontrollierenden zu kontrollieren. Das Netz bringt da eine neue Qualität, aber man kann viel lernen, wenn man sich andere mediale Umbruchzeiten anschaut: Die Einführung des Buchdrucks ist so lange uninteressant geblieben, wie das Buch kein Massenmedium war. Ab dem 18. Jahrhundert sind dann alle Probleme, die wir heute beispielsweise bei Computerspielen diskutieren, in der damaligen gesellschaftlichen Debatte belegt: Suchtprobleme, Knaben sind besonders gefährdet, aber auch immer die Frauen. Da ist heute aus etwas ganz Negativem etwas höchst Positives geworden. Die "Stiftung Lesen" im 18. Jahrhundert wäre damals allerdings so angekommen, als hätten Sie Sprengsätze auf einem Marktplatz installiert.
Reicht es aus, das Internet national zu regulieren? Oder brauchen wir eine Welt-Medienorganisation?
Das klingt für manche vielleicht monströs und auch apokalyptisch. Aber in diese Richtung wird es wohl gehen müssen. Die Option, bei der man alles laufen lässt, gibt es einfach nicht.
Aber solche Regelungen werden sich nicht überall durchsetzen lassen. Was ist, wenn sich Staaten nicht daran halten?
Wir sind nicht in der Vulkanologie: Gegen isländische Vulkane, die dann und wann die Luftfahrt durcheinanderbringen, kann ich auch relativ wenig ausrichten. Aber wir sind glücklicherweise in einem gesellschaftlichen Vertragssystem, mit Akteuren, die unternehmerisch tätig sind. Es wird über weite Strecken gelingen, hier verbindliche Regeln durch- und umzusetzen. Es wird natürlich auch sozusagen mediale Schurkenstaaten geben. Aber das ist gewissermaßen mitgerechnet in einem System dieser Art. Die Alternative wäre: Untersagen, Verbieten, Auslöschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Autounfälle
Das Tötungsprivileg