Interview mit den Leitern des Projekts "Jobstarter": "Das Handwerk ist anspruchsvoll"
Abiturienten studieren, die anderen machen eine Lehre. Das muss sich ändern, fordern Metin Harmanci und Markus Klier. Schließlich macht sich der Fachkräftemangel auch beim Handwerk bemerkbar.
taz: Herr Harmanci, Herr Klier, warum soll ich als Abiturientin eine Ausbildung im Handwerk beginnen?
Metin Harmanci: Im Zuge des Fachkräftemangels und wegen der demografischen Entwicklung ist jetzt schon der Bedarf da, Abiturienten für das Handwerk zu gewinnen. Es reicht nicht, auf diejenigen mit mittlerer Reife zurückzugreifen, es braucht auch die Absolventen des Gymnasiums. Zumal sich die Prozesse in den Betrieben geändert haben: Sie sind anspruchsvoller geworden.
Das klingt nachvollziehbar, aber: Was kann Abiturienten dazu bewegen, einen Handwerksberuf dem Studium vorzuziehen? Nach einem Studium verdiene ich doch viel mehr.
Markus Klier, 45, hat Politikwissenschaften studiert, war als Journalist tätig und arbeitet seit mehreren Jahren als Projektleiter im Bildungsbereich.
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Metin Harmanci, 44, ist studierter Pädagoge und war lange in der Personalberatung tätig.
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Zusammen leiten sie das Projekt "Jobstarter" bei der Handwerkskammer, mit dem mehr Abiturienten für eine Ausbildung begeistert werden sollen. "Jobstarter" läuft seit 2010 und bis Ende 2012. Es wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert. (taz)
Harmanci: Im Handwerk kann man schneller aufsteigen. Kombiniert mit einer Fortbildung, die auch anrechenbar ist etwa auf eine spätere Meisterprüfung, zahlt sich das aus. Der Reiz kann auch die familiäre Atmosphäre sein. Man arbeitet meist eng mit seinen Vorgesetzten zusammen. Wenn ich heutzutage sage: Ich möchte frühzeitig eine Firma gründen, dann ist das im Handwerk möglich. Das muss sich aber erst einmal manifestieren bei den Abiturienten. Viele wissen gar nicht, wie interessant die Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten im Handwerk sind.
Wie hoch ist denn der Anteil der Abiturienten unter den Handwerks-Azubis?
Markus Klier: Er liegt bei knapp 15 Prozent. Das reicht nur nicht mehr, weil die Anforderungen steigen und auch etwa der Dienstleistungsgedanke viel stärker ausgeprägt werden soll. Dazu braucht man Jugendliche mit besonderen Kommunikationskompetenzen - und hier spürt man deutliche Unterschiede zwischen jungen Menschen, die nach der zehnten Klasse abgegangen sind, und solchen, die zwölf oder dreizehn Jahre in der Schule waren. Wir wollen die Jugendlichen nicht nur zu Fach- und Führungskräften machen, sondern auch zu Innovationsträgern.
Im Handwerk sind heute nicht mehr nur die Hände gefragt, sondern auch der Kopf?
Harmanci: Absolut. Zum Beispiel in der Gesundheitsbranche, bei Orthopädiemechanikern oder Augenoptikern, da sind die Anforderungen hoch und die Abiturientenquoten liegen heute schon bei 60 Prozent.
Reicht doch.
Klier: Da kommt ein anderes Problem dazu: Viele nehmen die Ausbildung mit und beginnen danach ein Studium. Das ist auch nicht das, was wir wollen. Wir werden es nicht ganz verhindern können. Aber viele gehen auch deswegen in ein Studium, weil ihnen nicht klar ist, wie schnell sie im Handwerk in interessante Positionen kommen können mit einem vernünftigen Gehalt. Diese Transparenz wollen wir leisten.
Harmanci: Es ist ja nicht unbedingt so, dass man nach einem Studium automatisch einen Arbeitsplatz hat. Wir wollen die, die auf der Kippe stehen. Sie verweisen wir auf die Arbeitsmarktchancen: Sie verdienen relativ viel Geld, haben praktische und zusätzliche Kompetenzen und sind früh in einer Führungsposition. Das ist dann wieder interessant für Betriebe, weil die Aufgabenverteilung eine andere sein kann: Der Chef muss nicht mehr alles machen, er hat ein fittes Team, das dienstleistungsorientierter auftreten kann.
Wie groß sind denn die Gehaltsunterschiede zu Studienberufen?
Klier: Das variiert stark. Im Durchschnitt sind es 300 bis 400 Euro. Dafür verdient ein Handwerker früher als jemand, der studiert.
Bleibt die Sache mit dem Renommee.
Klier: Da muss sich vielleicht auch die Gesellschaft ein Stück weiterentwickeln.
Handwerk hat ja noch etwas von dem alten Bild: Familienbetrieb, patriarchalisch, starre Struktur. Sind die Firmen bereit für eine pfiffige Abiturientin und frischen Wind?
Klier: Es gibt solche und solche. Es gibt Betriebe, die sehr offen sind. Ich kenne etwa eine Orthopädiemechanikfirma mit genau so einem älteren Chef, da ist schon eine Frau Ausbildungsleiterin. Sie achtet stark darauf, dass junge Leute kommen, die dorthin wollen. Nicht nur solche, die nirgends anders einen Platz gefunden haben. Grundsätzlich sind die Berufe im Kreativitätsbereich Vorreiter: Tischler, Konditoren, Fotografen. Abiturienten sind da unbedingt gewollt.
Wie kommen Sie ran an die Abiturienten?
Klier: Wir gehen in die Schulen und präsentieren unser Angebot. Da stoßen wir auf offene Ohren - und merken auch, dass sich das Handwerk bisher kaum positioniert hat. Auch die Messen sind für uns interessant. Bei der "Einstieg Abi" im Herbst haben sie uns den Stand eingerannt, da waren wir wirklich überrascht. Die Abiturienten haben genau das gefragt, worüber wir reden: Was bringt mir das, was kann ich da machen? Auch Praktika für Gymnasiasten sind wichtig.
Das Neue sind die Zusatzqualifikationen, mit denen Sie junge Menschen locken wollen. Was verbirgt sich dahinter?
Klier: Wir bieten diese Qualifikationen in den Richtungen betriebswirtschaftlich-kaufmännisch, technisch-innovativ und sozial-international. Damit beschleunigen sich die Fortbildungszeiten. Man macht bestimmte Dinge schon während der Ausbildung, die sonst erst danach kommen. Die genauen Inhalte entwickeln wir gerade. Wir wollen diese Zusatzqualifikationen zunächst in 40 extra Ausbildungsplätzen erproben. Damit starten wir im September. Die Auszubildenden müssen dafür bereit sein zu lernen: Es wird zusätzlicher Aufwand zur normalen Ausbildung, zeitlich und inhaltlich.
Wie stellen Sie Vergleichbarkeit zu anderen Bundesländern her?
Klier: Wir richten uns nach den Richtlinien der Kultusministerkonferenz und den Rahmenvorgaben des Ecvet, des Leistungspunktesystems in der beruflichen Bildung. Damit ist eine Vergleichbarkeit gegeben.
Mehr Karrierechancen heißt ja auch: Die Handwerkschefs müssen sich darauf einstellen, dass ihre Azubis weiterwandern und nicht mehr lebenslang im Haus bleiben.
Harmanci: Viele Inhaber haben selbst einen nichtlinearen Werdegang. Menschen mit solchen Erfahrungswerten sind wiederum offener für Impulse und akzeptieren auch eher Brüche in der Biografie.
Klier: Wir wollen die Leute zwar im Handwerk halten. Aber auch mit ihnen planen und transparent machen: Das sind deine Möglichkeiten, da kannst du hin. Diese Personalentwicklung fehlt bisher.
Harmanci: Das sieht auf Betriebsseite nicht anders aus. Auch dort gibt es strukturelle Defizite. Deswegen geht es im Projekt auch darum, Firmen so weit zu unterstützen, dass sie personalplanen können: Wo will ich hin, welche Leute brauche ich dafür, wen habe ich, wie kann ich Leute schulen?
Da verlangen Sie ganz schön viel von den Handwerkern.
Harmanci: Die Zeiten ändern sich. Für den Inhaber heißt das auch: Er kann Aufgaben abgeben, der Geselle kann die Rechnungen machen, und der Chef hat den Kopf frei für anderes.
Klier: Wir werden ja auch nicht alle erreichen. Aber gerade im Handwerk funktioniert das Netz: Sie erreichen einen, der erzählt es anderen weiter. So ändern sich Strukturen.
Harmanci: Auf diese Weise verstehen die Betriebe am ehesten, dass sie nur im Wandel den Wettbewerb bestehen können. Produkte müssen sich ja auch ändern - da brauchen Sie fitte Leute, die das mittragen.
Nehmen die Abiturienten den Schwächeren die Plätze weg?
Klier: Wenn sich Ausbildungsberufe verändern, gibt es immer auch Verdrängungsprozesse. In Gesundheitsberufen wird es für Jugendliche mit niedrigeren Qualifikationen schwieriger, Mittlerer Schulabschluss wird da schon erwartet. Im High-Tech-Bereich gilt das Gleiche. Aber: Das Handwerk hat immer noch für jeden die Tür offen.
In welchen Branchen?
Harmanci: Kraftfahrzeuge, da gibt es immer Bedarf. In der Branche wurde eigens der Beruf des Service-Technikers geschaffen, das ist quasi der einstige Automechaniker. Auch im Baugewerbe findet sich etwas, genauso wie bei den Friseuren. Die Verdienstmöglichkeiten sind natürlich entsprechend geringer.
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