Interview mit Schriftsteller Zafer Senokac: "Özdemir ist kein Symbol für Umbruch"

An Cem Özdemirs Karriereschritt überrasche ihn vor allem, dass so viel darüber geredet werde, sagt der deutsch-türkische Schriftsteller Zafer Senocak.

Wenn allles nach Wunsch geht: Cem Özdemir (l) mit seinem Vorgänger Reinhard Bütikofer (r). Bild: dpa

taz: Herr Senocak, mit Cem Özdemir schafft es erstmals ein Politiker aus einer Einwandererfamilie an die Spitze einer deutschen Partei. Überrascht?

Zafer Senocak: Ich begrüße natürlich, dass ein junger, talentierter Politiker es ganz nach oben schafft. Deutschland braucht Leute auf der politischen Bühne, die etwas leisten. Seinen biographischen Hintergrund finde ich allerdings nur in zweiter Linie interessant.

Das klingt jetzt aber sehr nüchtern.

Diese Personalie ist doch nur der Ausdruck einer ganz normalen Entwicklung, sie taugt nicht als Symbol eines Umbruchs. Es gibt viele Politiker mit unterschiedlicher Herkunft, zum Beispiel den SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy oder das CDU-Vorstandsmitglied Emine Demirbüken. Insofern überrascht mich an dem Karriereschritt Özdemirs vor allem eines: Wie viel darüber geredet wird.

Wie werten Sie diese Diskussion?

Sie ist ein Zeichen dafür, dass es in Deutschland noch lange dauert, bis Integrationsfragen nicht mehr künstlich mit Brisanz aufgeladen werden.

Liegt das Interesse an Özdemir auch daran, dass Migranten in Debatten vor allem als Problem auftauchen?

Ja, in Deutschland herrscht offenbar nach wie vor die Meinung vor, Migranten hätten keine Chance. Aber das ist falsch. Es gibt sehr viele erfolgreiche Menschen aus Einwandererfamilien in Politik, Wirtschaft und Kultur. Dabei fällt mir auf, dass gerade diejenigen, die für Integration eintreten, gerne alles schlecht reden.

Zum Beispiel wer?

Das beste Beispiel liefert die Bundesregierung. Einerseits streitet selbst die Union nicht mehr ab, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Andererseits reden viele Politiker gerne von Restriktionen gegen Einwanderer. Dieser Widerspruch ist ein wichtiger Grund dafür, dass gebildete Einwanderer Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern unattraktiv finden. Einwanderung wird hierzulande zu sehr als Problem wahrgenommen.

Dabei lädt Bundeskanzlerin Merkel inzwischen zum Integrationsgipfel, Innenminister Schäuble beschreibt Integration "als Einladung".

Dieser Kurs führender Unionspolitiker ist eminent wichtig. Denn die Union wird über die Linie deutscher Integrationspolitik entscheiden. Nur sie kann Ängste abbauen, die in bestimmten Bevölkerungskreisen herrschen. Allerdings gibt es für diesen Kurs in der Partei noch keine breite Basis. Im Übrigen sind dies keine parteipolitischen Fragen, sondern nationale Fragen - deren Bedeutung alle Parteien anerkennen müssen.

Politiker türkischer oder anderer Herkunft betreuen in ihren Parteien oft das Thema Integration. Woran liegt das?

Das ist ein Reflex, der sich glaube ich nicht umgehen lässt. Wir gelten automatisch als Fachleute in Einwanderungsfragen. Aber auch hier gibt es andere Beispiele, Özdemir hat sich ja auch als Europa-Politiker profiliert.

Was bedeutet sein Aufstieg für ganz normale Bürger?

Ich bin sicher: Jeder Fußballspieler nichtdeutscher Herkunft in der Nationalschaft, jeder Politiker in wichtiger Position, jede Leistung in Kultur und Wissenschaft stärkt das Zusammenleben der Kulturen. Man darf diese Normalisierung nur nicht zerreden - in Deutschland gibt es ja einen wahren Markt der Ängste und Hoffnungen, auf dem sich diverse nichtsnutzige Theoretiker tummeln.

Wann regiert der erste türkischstämmige Bundeskanzler?

Da wage ich keine Prognose. Aber den ersten Minister wird es sicher schon bald geben.

INTERVIEW: ULRICH SCHULTE

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