■ Interview mit Joseph Kennedy zur Gewalt in Deutschland: „Ich bin ein Ausländer“
Der 40jährige Joseph Kennedy, Kongreßabgeordneter der Demokraten und Sprößling des bekanntesten Politiker-Clans der USA, entschied nach den jüngsten rassistischen Ausschreitungen in der Bundesrepublik, sich vor Ort ein Bild von der Situation zu machen. Kennedy engagiert sich auch in den USA im Bereich der Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung. Die Reise wurde von der „Aktion Sühnezeichen“ und der US-Botschaft organisiert. In Bonn sprach Kennedy am Dienstag mit den CDU-Politikern Schmidbauer, Vöcking und Stercken sowie mit der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. In Berlin legte er gestern einen Kranz im KZ Sachsenhausen und vor dem Rathaus Schöneberg nieder, wo sein Onkel John F.Kennedy 1963 die berühmte „Ich bin ein Berliner“- Rede gehalten hatte.
taz: Herr Kennedy, warum sind Sie nach Deutschland gekommen?
Joseph Kennedy: Ich hatte das Bedürfnis, die Bilder, die über Fernsehen und Medien vermittelt werden, diese Bilder über Angriffe auf Türken, Einwanderer und Juden zu überprüfen. Wir sehen jeden Tag Nazi-Fahnen über die Bildschirme flattern. Es gibt in den USA ein allgemeines Gefühl der Besorgnis darüber, wie Deutschland mit all dem umgeht.
Wie weit geht diese Sorge? Haben Sie erwartet, den ewigen häßlichen Deutschen zu treffen?
Das ist mir zu plakativ, ich habe sehr viel Respekt und Anerkennung für die Leistungen und Errungenschaften der deutschen Demokratie der letzten Jahrzehnte und viel Verständnis für die ungeahnten Belastungen der Vereinigung. Die Situation ist nicht wie in den 20er und 30er Jahren. Nein, ich bin hier, um mich zu informieren und um den Millionen Deutschen, die den Neonazis etwas entgegensetzen, meine Solidarität und meine Unterstützung zu zeigen. Ich will aber auch genau wissen, was die Regierung tut, um gegen Faschismus und Rassismus wirklich anzugehen.
Unterstützen Sie die Idee des US-amerikanischen Journalisten A.M. Rosenthal, eine internationale Konferenz über Nazismus, besonders den deutschen, abzuhalten?
Das halte ich für sehr gut und wichtig. Ich habe schon signalisiert, daß ich an solch einer Konferenz teilnehmen würde. Deutschland ist, auch wenn es zugegebenermaßen in anderen Ländern ebenfalls Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gibt, immer noch ein besonderer Fall. Die Narben der Vergangenheit schmerzen. Den Amerikanern wurde nach dem Zweiten Weltkrieg der Vorwurf gemacht, sie hätten nicht schnell genug reagiert und geholfen. Auch das ist unsere Verantwortung.
Brauchen die deutschen Politiker den ausländischen Druck, um überhaupt zu reagieren?
Nun ja, sie wissen, daß allein schon die Anwesenheit eines US- Kongreßabgeordneten, der über all diese Themen spricht, auch Wirkung auf die internationale Betrachtung Deutschlands haben könnte. Sie werden mich wahrscheinlich nicht zu Hause anrufen und fragen, was denn nun meine Lösung sei, aber de facto muß ihnen doch klar sein, daß die Augen der Welt besorgt auf ihnen ruhen.
Und was war Ihr Eindruck nach den Gesprächen in Bonn?
Es gibt sehr verschiedene Ansichten, wie ernst die Krise ist und wie man mit ihr umgeht. Was mich doch am meisten erschütterte, war das Ausmaß von Entschuldigungen und Rechtfertigungen, das ich hörte. Da wurde sogar gesagt, daß Israel auch Schuld an den Negativmeldungen trage, die Juden würden einfach übertreiben. Oder: Es habe doch nur 4.000 Anschläge dieses Jahr gegeben!
Sie haben – anders als in Bonn – hier in Berlin den Tag sozusagen inmitten der Gesellschaft verbracht, im KZ Sachsenhausen, in einem Asylbewerberheim, Sie haben auch an einer Podiumsdiskussion mit Opfern rassistischer Überfälle teilgenommen, haben mit Schülern und Studenten gesprochen. Was hat Sie bei all dem am meisten bewegt?
Man kann nicht aus Sachsenhausen weggehen, ohne sehr berührt zu sein. Überlebende aus Buchenwald, Sachsenhausen und Auschwitz haben mit mir gesprochen. Im Vernichtungslager zeigte man mir die Orte, wo Menschen systematisch umgebracht worden sind. Der Holocaust wurde auf ganz eindringliche Art zur Realität für mich.
Sie sagten, Sie würden ungern den Deutschen sagen, wo es langgehen könnte. Dennoch: Was sagen Sie nach all Ihren Eindrücken jetzt zu dieser ungeahnten Brutalität, die Jugendliche exekutieren?
Das muß gestoppt werden. Die müssen inhaftiert werden, angeklagt und ins Gefängnis gesteckt werden. Das darf einfach nicht länger so weitergehen und hingenommen werden, wie bisher geschehen. Man kann das auch nicht allein mit dem Jugendstrafrecht abtun. Unter gewissen Umständen muß man Jugendliche nach Erwachsenenstrafrecht behandeln, so wie wir das in den USA tun, damit sie damit aufhören.
Mit der eisernen Faust – Strafrecht und Polizei – allein wird man aber nicht sehr viel erreichen.
Und es muß eine Aufklärungsoffensive, ein Erziehungsprogramm geben, die bis ganz nach unten gehen, tief in die Gesellschaft reichen. Jede Schule, jeder Sportverein muß wissen und lernen, wie man mit Rassismus und Antisemitismus umgeht. Diese Mischung aus Bigotterie, Gewalt, Vorurteil und versteckter Unterstützung muß durchbrochen werden. Das hat doch auch die Antidiffamierungs-Liga in unserem Land erreicht: das Beste in uns zu wecken. Auch wenn der Rassismus unter Reagan und Bush revitalisiert wurde.
Wenn Sie die deutsche mit der amerikanischen Situation vergleichen, besteht doch ein elementarer Unterschied, der das ganze Dilemma und auch die Gefährlichkeit der hiesigen Asyldiskussion verdeutlicht: Wir sind ein Einwanderungsland, aber die Regierung weigert sich, dies anzuerkennen und daraus politische Folgen zu ziehen.
Dafür gibt es sicherlich keine einfachen und schnellen Antworten. Aber zu sagen, Deutschland sei kein Einwanderungsland, ist mehr als Selbstbetrug. Sicherlich muß man auch hier sehen, daß nicht jeder, der in diesen hochgradig begehrenswerten Staat Deutschland kommt, aufgenommen und gleichbehandelt werden kann. Die deutsche Gesellschaft muß sich entscheiden, ob sie eine ganz hohe Mauer rund um ihre Grenzen ziehen will oder ob sie Wege und Mittel findet, sich auf andere Regelungen zu einigen, einen Konsens zu finden, wieviel man zu teilen bereit ist. Darüber muß öffentlich debattiert werden, das habe ich bei meinen Gesprächen hier immer wieder eingeklagt. Deutschland muß sich anstrengen. Wäre mein Onkel noch am Leben, er würde heute sicherlich statt des „Ich bin ein Berliner“ „Ich bin ein Ausländer“ sagen. Interview: Andrea Seibel
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