Interview mit Gesamtmetallchef Kannegiesser: "Nee, das mach ich nicht!"
Martin Kannegiesser weiß, was es heißt, in China tätig zu sein: In den Neunzigern opferte er den Bekleidungsmaschinenbau seiner Firma. Er wollte keinen Dumpingwettbewerb mit den Chinesen. Und heute?
Martin Kannegiesser, 66, geboren in Posen, ist seit 2000 Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Und Inhaber der Herbert Kannegiesser GmbH. 1970 erkrankte sein Vater schwer. Dieser übertrug deshalb seinem damals 27-jährigen Sohn die Leitung des Unternehmens. Nach dem Tod des Vaters wurde der Diplom-Kaufmann 1974 auch Firmeninhaber.
Die Firma: Der Diplom-Ingenieur Herbert Kannegiesser begann 1948 mit vier Mitarbeitern in einer Holzbaracke nahe Vlotho (Westfalen) mit der Herstellung von Bügelmaschinen für die Bekleidungsindustrie. Heute ist die Herbert Kannegiesser GmbH Weltmarktführer auf dem Gebiet der industriellen Wäschereitechnik. Die Kannegiesser GmbH hat sechs Standorte in Deutschland: Hoya, Sarstedt, Schlema, Marbach am Neckar, Augsburg und den Hauptsitz Vlotho. Und noch zwei in Großbritannien: Kendal und Banbury. An diesen Standorten arbeiten insgesamt 1.200 Mitarbeiter. Der Jahresumsatz der Firma liegt bei 239 Millionen Euro.
Das China-Geschäft: 1 bis 2 Prozent seines Umsatzes macht Kannegiesser in China. Die Kannegiesser GmbH ist eines von 4.000 deutschen Unternehmen, die in China mittlerweile aktiv sind. Seit der Öffnung Chinas haben deutsche Firmen über 12 Milliarden Euro in der Volksrepublik investiert. Tendenz steigend: Im ersten Halbjahr ist der Wert der Investitionen deutscher Unternehmen in China im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 37 Prozent auf rund 337 Millionen Euro gestiegen. "Der Rückzug der Firma Steiff ist die absolute Ausnahme", sagt Sabine Hepperle von der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Berlin.
taz: Herr Kannegiesser, es gibt eine Milliarde Chinesen. Tragen die alle Oberhemden?
Martin Kannegiesser: Die meisten tragen Hemden. Aber zu viele dieser Hemden sind noch schmutzig. Ich weiß schon, auf was Sie hinauswollen.
Auf was?
Der Kannegiesser denkt sich doch sicher: Eine Milliarde Menschen, jeder trägt ein Hemd, das gewaschen und gebügelt werden muss, und zwar von Maschinen aus dem Hause Kannegiesser - da verdien ich mir ne goldene Nase.
Sie haben nicht solche Fantasien?
Nein. China ist doch kein monolithischer Block. Es gibt Marktsegmente, die sich völlig unterschiedlich entwickeln. Es gibt trotz der enormen wirtschaftlichen Dynamik in China große Kaufkraftunterschiede. Bis der Konsum die letzte Ecke Chinas erreicht hat, das wird noch eine ganze Weile dauern. Diese Proportionen muss man berücksichtigen und nicht falsch einschätzen, nicht einfach von der bloßen Einwohnerzahl auf die Größe der Märkte schließen. Und eine Proportion heißt zum Beispiel: Allein die Metall- und Elektroindustrie liefert immer noch mehr in das kleine Österreich als in das große Reich China.
Und Ihr Umsatz in China?
Liegt zwischen ein und zwei Prozent meines Gesamtumsatzes.
Obwohl Sie Weltmarktführer im Bereich der industriellen Wäschereitechnik sind?
Ja. Wir haben in China eine Kooperation mit einem privaten chinesischen Unternehmen, das unsere Produkte über seine 38 Stützpunkte in China vertreibt. Das ergänzt sich momentan ganz gut: Die machen Waschschleudermaschinen für kleinere Kapazitäten, wir machen komplette Waschstraßen für große Kapazitäten. Also variantenreicher Anlagenbau bei uns gegenüber Standardmaschinen in Serienfertigung bei unseren Partnern.
Das heißt: Wenn ich in einem Grand Hotel im Spielerparadies Macao absteige, dann schlafe ich auf Bettwäsche, die von Kannegiesser gewaschen und gemangelt wurde?
Das kann schon passieren. Gerade baut ein großer Vergnügungskonzern in Macao einen Kasinokomplex mit einer Bettenkapazität von 20.000. Dafür richten wir die komplette Wäscherei ein, mit 50 Tonnen Schichtleistung.
Warum ist es für Sie nicht günstiger, in China richtig zu investieren, anstatt sich an einen Vertriebspartner ranzuhängen?
Wir investieren zunächst in Kundenbeziehungen, Serviceorganisation, Beratungs- und Projektierungskapazität. So ein Investment muss betriebswirtschaftlich überschaubar, planbar sein.
Das setzen wir bei einem deutschen Unternehmer voraus.
Setzen Sie mal nicht zu viel voraus: Es gibt genügend Firmen, die aus rein strategischen Überlegungen in China investiert haben. Nach dem Motto: Ich bin immerhin schon mal da.
Und Sie?
Ich denke wie viele im deutschen Maschinenbau in integrierten Leistungssystemen. Der Betrieb muss integriert arbeiten. Entwicklung, Konstruktion, Produktion, Beratung, Vertrieb und Service müssen ineinandergreifen. Wenn ich diese Faktoren betrachte bei relativ kleinen Stückzahlen, die mein Unternehmen produziert, dann bekomme ich diese enge Verzahnung nicht hin. Dann ist es nicht rentabel.
Das holen Sie auch durch die billigen Arbeitskräfte nicht wieder rein?
Nein. Wir können unsere Produktion nicht irgendwo im Wilden Westen hinstellen. Da gibt es überhaupt keine Fachkräfte und kein kompetentes Umfeld. Für uns käme nur der Raum Shanghai in Frage. Weil es dort zum Beispiel für uns adäquate Ingenieure gibt. Und die sind nicht mehr billig. Deshalb ist es für mich rentabler und effizienter, mit unserem Vertriebspartner Projektingenieure gemeinsam zu finanzieren.
Sie waren mit Ihren Überlegungen, in China wirklich groß zu investieren, in den 90er-Jahren schon mal weiter.
Das stimmt.
Warum?
In den 90er-Jahren gab es in unserem Unternehmen eine Bruchkante. Denn ursprünglich kommen wir aus dem Bekleidungsmaschinenbau. Wir haben Maschinen für die Bekleidungsindustrie gebaut. Unsere Kunden aber zog es nach China. Weil die Bekleidungsindustrie mit hohen Stückzahlen am Band operiert, weil dafür die Löhne wirklich verschwindend gering sind in China. Tja, was machst du da? Ziehst du komplett deinen Kunden hinterher?
Sie sind nicht nachgezogen.
Obwohl ich schon ein Joint Venture geprüft hatte. Obwohl ich schon eine Fabrik gekauft hatte in der Sonderwirtschaftszone Zhuhau in der Nähe von Macao. Obwohl ich schon einen Betriebsleiter eingestellt hatte.
Und dann?
Dann habe ich im letzten Moment gesagt: Nee, das mach ich nicht. Wir müssen unser Konzept komplett überdenken. Denn es kann nicht sein, dass wir als deutsches Unternehmen chinesisch werden. Es kann nicht sein, dass wir ständig die Herstellungskosten senken müssen, nur damit wir mit der chinesischen Konkurrenz einigermaßen mithalten können.
Bereuen Sie die Entscheidung?
Auf gar keinen Fall. Obwohl es schon schmerzhaft war. Weil die Konsequenz dieser Entscheidung hieß: Ich muss den kompletten Zweig des Bekleidungsmaschinenbaus aufgeben. Das hat uns auf einen Schlag 40 Prozent unseres Umsatzes gekostet. Ich musste Leute entlassen. Das ganze Unternehmen neu ausrichten. Aber wenn ich den Bekleidungsmaschinenbau heute ansehe: Es gibt dort kein deutsches Unternehmen mehr. Die Branche ist fest in chinesischer Hand.
Obi, Deichmann, zuletzt Steiff haben ihre Produktionsstätten zurück nach Deutschland verlegt. Ist die China-Euphorie verflogen?
Ich habe den Eindruck, dass sich gerade viele deutsche Unternehmen neu sortieren. Wir Unternehmer können uns ja nicht fünf Jahre lang ausruhen, sondern müssen ständig unsere Wertschöpfungskette überprüfen. Ein Beispiel: Wenn die reinen Produktionskosten an einem Produkt 20 Prozent ausmachen, dann kann ich die Produktionskosten vielleicht nochmal um 20 Prozent drücken, wenn ich nach China auswandere. Aber das wird dann ein hoher Preis, wenn ich - wie bei Steiff - Qualitätsprobleme habe oder Logistikprobleme oder Designprobleme. Dann treffe ich eben eine andere Standortentscheidung. Außerdem muss ich differenzieren, ob für den chinesischen und asiatischen Raum oder überwiegend für meine traditionellen westlichen Märkte produziert werden soll. Aber es sind ja nicht nur die rein betriebswirtschaftlichen Probleme eines China-Investments.
Sondern?
Der Markt in China ist eine Mischung aus knallhartem Kapitalismus und Kommandowirtschaft - die Herausforderung muss man erst mal annehmen.
Was ist knallhart an China?
Es gibt zum Beispiel fast überhaupt keine Loyalitäten der Arbeiter. Wenn der Betrieb auf der anderen Straßenseite auf einmal höhere Löhne zahlt, kann es Ihnen passieren, dass Sie am nächsten Tag nur noch mit der halben Belegschaft dastehen. Es gibt überhaupt kein Rechtssystem, das so etwas regelt. Das gilt auch für die Produktpiraterie. Die kupfern sich ja schon gegenseitig ab.
Ist Ihnen das schon passiert?
Klar. Bei bestimmten Teilen unserer Waschschleudermaschinen ist mir das passiert. Da schaut man sich dann den Firmenprospekt des Konkurrenten an - und findet die eigenen Abbildungen eins zu eins wieder. Die machen sich nicht mal die Mühe, die Produkte selber zu fotografieren. Eins zu eins.
Was meinen Sie mit Kommandowirtschaft?
Einerseits gibt es extremen Wettbewerb. Andererseits wird der Markt urplötzlich, aus welchem Grund auch immer, politisch gezielt gelenkt. Über allen Wettbewerb hinweg.
Haben Sie ein Beispiel?
Mein Unternehmen.
Wie bitte?
In Umrissen habe ich das mitbekommen. Es gab Überlegungen, dass der Staat den ganzen Hygiene-Bereich neu regulieren wollte - was er dann letzten Endes doch nicht getan hat. Da hätte der Staat entschieden: Wir machen bestimmte Bereiche in der Wäscheversorgung platt und ziehen sie wieder komplett neu hoch. Und zwar auf einem deutlich höheren Technologieniveau. Das wäre dann staatlich subventioniert worden.
Und der Staat hätte Ihre Produkte kaufen müssen?
Ja.
Sie wären also nicht unglücklich gewesen mit der Kommandowirtschaft?
Das ist allerdings schwer kalkulierbar. Vor allem, wenn man zufällig auf der falschen Seite stehen sollte. Konsistenz und Logik des rechtlichen Rahmens sind für eine freie Wirtschaft und Gesellschaft wichtige Voraussetzungen. Derzeit ist China für unser Unternehmen ein wichtiger potenzieller Markt, in dem wir präsent sein und die Hand am Puls haben müssen.
INTERVIEW: THILO KNOTT
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