Interview mit Frank Henkel: "Ich bin nicht der bessere Polizist"
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) äußert sich im taz-Interview über Chaoten, die das Guggenheim Lab bekämpfen, die Strategie der Polizei am kommenden 1. Mai und sein eigenes Image als Hardliner.
taz: Herr Henkel, was ist ein Chaot?
Frank Henkel: Mhm. Ein Chaot ist, glaube ich, jemand, der eine gewisse Ordnung, eine gesellschaftliche Norm stört.
Sie bezeichneten die Gegner des BMW-Guggenheim-Labs kürzlich als Chaoten. Deeskalation vor dem 1. Mai sieht anders aus, oder?
Morgen stellen Interimspolizeichefin Margarete Koppers und Innensenator Frank Henkel ihre 1.-Mai-Strategie vor. Im Jahr 2011 war es selten friedlich gewesen: 161 Randalierer wurden festgenommen, 100 Polizisten verletzt - 2009 waren es 289 Festnahmen und 273 verletzte Beamte.
In diesem Jahr soll die "Revolutionäre 1. Mai"-Demonstration erstmals seit Jahren von Kreuzberg in die Stadtmitte ziehen. Die Autonomen wollen vom Lausitzer Platz zum Brandenburger Tor laufen, um "im Zentrum der Macht" ihre Kapitalismuskritik loszuwerden. Die Polizei will die Demo am Leipziger Platz enden lassen und nicht am Springer-Verlagshaus vorbeiführen, wo ein "100 Jahre Axel Springer"-Fest vorbereitet wird. Sollte dies so entschieden werden, wollen die Anmelder klagen.
Die "antikapitalistische Walpurgisnacht" soll diesmal nicht in Friedrichshain, sondern in Wedding stattfinden, mit Musikkundgebung und einer Demo um 21 Uhr vor dem S-Bahnhof Wedding.
Das Myfest feiert Jubiläum: Zum zehnten Mal wird in Kreuzberg auf 18 Bühnen gerockt.
FRANK HENKEL, 48, ist seit Dezember 2011 Innensenator des rot-schwarzen Senats. Der Diplomkaufmann ist seit 1985 Mitglied der CDU, seit 2001 Abgeordneter und seit 2008 Landesvorsitzender der Union.
Ich sehe nicht, dass ich da etwas überspitzt habe. Der Chaoten-Begriff ist das, was am Ende von meiner Kritik übrig geblieben ist. Ich habe mich aber viel differenzierter geäußert. Ich habe gesagt, dass ich absolut Verständnis habe für Menschen, die Sorge vor der Gentrifizierung ihres Kiezes haben. Ich habe aber auch gesagt: Wer Entwicklungen per se ablehnt und im Fall des BMW Guggenheim Lab sagt, er werde es bekämpfen, egal wo es steht – der wird einer weltoffenen Stadt nicht gerecht.
Der 1. Mai wird Ihre erste große Bewährungsprobe: Haben Sie Bammel?
Ich glaube, Bammel oder Aufgeregtheit sind hier falsche Begriffe. Ich habe Respekt, keine Frage. Aber ich gehe erst mal von einem friedlichen 1. Mai aus, zu dem ich meinen Beitrag leisten will.
Sie haben keine schlaflosen Nächte, dass die autonome Szene dem CDU-Innensenator wie angekündigt einen „feurigen Empfang“ bereiten könnte?
Ich schlafe gut, keine Sorge.
Was ist denn Ihre Messlatte für diesen Tag?
Ich habe keine Messlatte. Mein Ziel ist es, den Anspruch aller einzulösen, einen friedlichen 1. Mai zu erleben. Das betrifft Teilnehmer der Demonstrationen, Besucher des Myfests, Anwohner und Gewerbetreibende – und auch die Polizeibeamten. Der 1. Mai ist ein Tag, an dem Menschen an vielen Orten zu wichtigen Themen Stellung nehmen und dafür auf die Straße gehen. Ich fände es bedauerlich, wenn es einigen wenigen gelänge, diese Botschaft zu überschatten.
Ihr SPD-Vorgänger Ehrhart Körting setzte dabei auf Deeskalation. Und Sie?
Ich setze auf Kontinuität. Es ist nicht mein Anspruch, hier zu experimentieren. An der bewährten Doppelstrategie halte ich fest. Das heißt, es wird viel Kommunikation geben, aber auch ein schnelles, gezieltes und konsequentes Vorgehen gegen Gewalttäter. Die Berliner Polizei hat in den letzten Jahren einen richtigen Weg eingeschlagen und eine große Expertise aufgebaut. Sie wird von erfahrenen Einsatzleitern geführt und hat auf diesem Weg meine volle politische Unterstützung und mein Vertrauen. Ich habe immer gesagt, und dabei bleibe ich: Ein Innensenator ist nicht der bessere Polizist.
Wie bereiten Sie sich persönlich auf den 1. Mai vor?
Das Wichtigste ist für mich das Reden im Vorfeld. Ich werde viele Gespräche in Kreuzberg führen: mit Gewerbetreibenden, Initiatoren des Fests, der Polizei, migrantischen Communitys. Mit dem Bezirksbürgermeister habe ich schon gesprochen.
Die Demo-Route soll von Kreuzberg in die Stadtmitte führen: begrüßenswert oder ein Sicherheitsrisiko?
Das ist keine Frage meines persönlichen Befindens, sondern eine Abwägung zwischen dem Grundrecht der Demonstrationsfreiheit und anderer Einwände. Ich bin mir sicher, dass die Versammlungsbehörde dies in Einklang bringen wird.
Bereitet es Ihnen Sorge, dass der Tag ohne offiziellen Polizeipräsidenten ablaufen wird?
Nein, wir haben eine sehr gute Vizepolizeipräsidentin, mit der ich in enger Abstimmung stehe – nicht nur zum 1. Mai.
Macht das Margarete Koppers nicht zur perfekten Kandidatin für die Neubesetzung des Amts?
Ich will der Stadt einen Polizeipräsidenten nach dem Prinzip einer Bestenauslese präsentieren, der den gestellten Ansprüchen gerecht wird.
Wann fällt die Entscheidung?
Wir befinden uns in den letzten Zügen des Beteiligungsverfahrens. Ich hoffe, dass wir im letzten Quartal dieses Jahres das Amt besetzt haben.
Kommen wir zu Ihnen. Wie sehen Sie sich in Ihrer Rolle als Innensenator?
Ich habe meine politische Rolle, egal in welcher Funktion, immer so verstanden: möglichst viel kommunizieren, vernünftige Lösungen mit Augenmaß finden, pragmatisch handeln. Daran wird sich in meiner Funktion als Innensenator nichts verändern.
In der Zeit als innenpolitischer Sprecher der Union haben Sie eher den Wadenbeißer und Hardliner gemimt.
Na ja (lacht). Ich habe es immer für richtig gehalten, Dinge auch auf den Punkt zu bringen. In der Opposition gibt es natürlich Situationen, in denen man zugespitzter formuliert, als man es in der Regierung machen würde, das gestehe ich Ihnen zu. Das mag dem einen oder anderen vielleicht mal zu pointiert gewesen sein. Man kann es nicht allen recht machen. Das ändert aber nichts daran: Mein politischer Stil ist immer gewesen zu kommunizieren.
Nach dem 1. Mai 2003 haben Sie von Bürgerkriegsszenarien wie in Beirut gesprochen und scharf die Deeskalationsstrategie von Rot-Rot angegriffen.
Ich habe mich immer sehr an diesem Begriff Deeskalation gestört. Damit wird per se unterstellt, dass Polizei, nur weil sie vor Ort ist, eskaliert. Deshalb nenne ich es Doppelstrategie.
Würden Sie solche Vergleiche wie den mit Beirut heute noch verwenden?
Ich kann die Dinge doch im Nachhinein nicht anders beurteilen, als ich sie vor einigen Jahren beurteilt habe. Damals hat eine Gruppe von Autonomen ein Autohaus gestürmt. Die Polizei stand drum herum und durfte nicht eingreifen.
Vielleicht sieht man die Dinge nach einem Perspektivwechsel anders.
Ich sehe sie genauso. Es gab von mir auch in der Vergangenheit durchaus Anerkennung für die Maßnahmen, die die Polizei entwickelt hat, um das Risiko von Ausschreitungen zu mindern: die Ausleuchtung der Areale beispielsweise, wo sich Auseinandersetzungen abgespielt haben, das Parkverbot und das Flaschenverbot, die Gefährderansprachen im Vorfeld. Was diese Dinge betrifft, habe ich mich gefragt, warum wir da nicht schon früher draufgekommen sind. Da habe ich meinen Amtsvorgänger auch unterstützt und gelobt.
Sie haben im Wahlkampf eine Nulltoleranzstrategie gefordert. Ist die schon da oder kommt die noch?
Die Toleranz in unserer Stadt endet dort, wo Gewalt anfängt. Dabei bleibe ich.
Trotzdem: Das Image des Hardliner Frank Henkel droht zu verblassen, seit Sie Innensenator sind.
Das liegt vielleicht eher an dem Blick zweier taz-Redakteure und nicht so sehr in der Gesamtwürdigung des Frank Henkel als CDU-Landesvorsitzender, als Fraktionsvorsitzender, als Spitzenkandidat und jetzt als Innensenator.
Sie lassen ganz schön den Softie raushängen.
Ich bleibe dabei: Ich habe mich nicht verändert. Wenn jemand die falsche Brille aufhat, ist das nicht mein Problem.
Riskieren Sie nicht, die konservative CDU-Klientel zu enttäuschen?
Warum sollte das so sein? Ich stelle fest, dass in Berlin kein Platz für Gewalt ist. Ich spreche mich für einen friedlichen 1. Mai aus. Damit enttäusche ich diese Gruppen sicher nicht. Die Bevölkerung erwartet sicher nicht, dass ich mich mit Autonomen, die offen zu Gewalt aufrufen, an einen Tisch setze. Solche Leute disqualifizieren sich für mich als Gesprächspartner.
In der Innenverwaltung hängt die Ahnengalerie aller Berliner Innensenator der Nachkriegszeit. Darunter auch ihre CDU- Vorgänger Lummer, Kewenig, Heckelmann, Schönbohm und Werthebach. Wem fühlen Sie sich nah?
Jeder muss seinen eigenen Stil finden. Alle meine Vorgänger waren in einer bestimmten Zeit mit bestimmten Herausforderungen konfrontiert. Die Zeit ist heute eine andere.
Der Integrationsbeauftragte Günter Piening ist explizit zurückgetreten, weil er keine Zukunft für die Integrationspolitik unter Rot- Schwarz sieht. Besorgt Sie dieses Urteil?
Herr Piening hat für sich eine persönliche Entscheidung getroffen. Ich wünsche ihm alles Gute.
Ist mit der CDU keine moderne Integrationspolitik zu machen?
Keineswegs. Das Integrationspapier der Berliner CDU ist über die Stadtgrenzen hinaus auf Anerkennung gestoßen.
Nach dem Mord in Neukölln an einem migrantischen Jugendlichen ist die Community verunsichert: Was sagen Sie diesen Menschen?
Bei dem Thema ist jetzt eine hohe Sensibilität nötig, so wie es die Polizei tut. Ich selbst habe am letzten Donnerstag die Eltern des ermordeten Jungen besucht. Einen Tag vorher war ich in der Sehitlik-Moschee, die ja zum wiederholten Male bedroht und mit Farbbeuteln angegriffen wurde.
Gibt es inzwischen Anhaltspunkte zu den Tathintergründen?
Nein, aber die Ermittlungen laufen auf Hochtouren.
Was war Ihre Botschaft an die Familie und die Community?
Natürlich habe ich mein Beileid ausgedrückt und somit gezeigt, dass die Familie in ihrer Trauer nicht allein ist. Ich habe ihnen versichert, dass die Polizei alles dafür tun wird, den Mörder zu fassen und seiner Strafe zu übergeben. Aber Polizei und Justiz allein werden die zunehmende Brutalität und Verrohung nicht lösen können. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Debatte darüber, warum wir eine Situation erleben, in der offenbar die letzte Hemmschwelle fällt. Es geht darum, die Liberalität und Weltoffenheit, die Stärken dieser Stadt, zu schützen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?