Interview mit Ex-Bild Hamburg-Chef: „Ich fühlte mich als Stadtcowboy“
Matthias Onken war Lokalchef der Hamburger „Bild“-Zeitung. Dann schmiss er hin - weil er sich ausgebrannt fühlte.
taz: Herr Onken, Ihr neues Buch heißt „Bis nichts mehr ging“. Wie geht’s Ihnen jetzt?
Matthias Onken: Sehr gut. Ich fühle mich befreit, weil ich einen Schritt hinter mir habe, der viel Kraft gekostet hat: Nach 15 Jahren den Job aufzugeben, mit all seinen Privilegien wie Festvertrag und hohem Gehalt.
Vor zwei Jahren, als Sie noch Regionalchef der Bild waren, ging es Ihnen ziemlich beschissen. Wie ist es dazu gekommen?
Das war ein langer Prozess. Ich bin am Anfang meiner Karriere leidenschaftlicher Reporter gewesen. Ich habe es geliebt, auf die Straße zu gehen, mich mit immer neuen Themen und Menschen auseinanderzusetzen. Dann habe ich mich – gerade 30 Jahre alt – locken lassen in die leitende Position als Lokalchef der Hamburger Morgenpost.
Damit veränderte sich über Nacht mein Aufgabenfeld und mein Verantwortungsspektrum komplett. Ich habe mich mit großem Ehrgeiz in die neue Aufgabe gestürzt, aber schnell gemerkt, dass sie viel mehr Belastung als Leidenschaft ist.
Ihre Karriere begann 1996 beim Pinneberger Tageblatt und setzte sich bei der Morgenpost und später der Bild fort. Wann haben Sie angefangen, sich über den Preis Gedanken zu machen, den Sie dafür zahlen?
Da habe ich am Anfang nicht großartig drüber nachgedacht. Mit 30 Lokalchef einer nicht ganz unwichtigen norddeutschen Tageszeitung zu werden, hat sich geil angefühlt. So ein Angebot kommt nicht alle Tage und ich dachte, wenn du es nicht packst, gehst du halt wieder einen Schritt zurück. Doch das dann auch wirklich zu tun, hätte sich wie Scheitern angefühlt.
So sind Sie die Karriereleiter immer weiter hochgeklettert.
Die schönsten Tage meiner Karriere waren die, an denen ich ein Angebot bekam, beruflich den nächsten Schritt zu gehen. Du fühlst dich gebauchpinselt und merkst, dass dir noch mehr zugetraut wird. Da sagt man nicht Nein. Doch unmittelbar nach der Entscheidung, so ein Angebot anzunehmen, kamen stets die Bauchschmerzen. Ich merkte, wie ich mich immer mehr in meinen Job vergrub und die Chance auf Restleben weiter schwand.
Das fühlte sich zwar nicht gesund an, aber ich lief immer weiter und schaltete jede Reflexion aus, um mich vor Zweifeln zu schützen. Ich habe mit anderen nie über meine Probleme gesprochen, diese überspielt und mich komplett abgeschottet. So habe ich mich in eine Situation manövriert, in der ich mich immer mehr gefangen fühlte.
40, war Lokalchef sowie später Chefredakteur der Hamburger Morgenpost und Redaktionsleiter bei Bild Hamburg.
Nach seinem Abschied vom Journalismus gründete Onken die „Matthias Onken media“, eine Agentur für Medienberatung und Krisenkommunikation.
Onken ist geschieden, er lebt mit seiner Lebensgefährtin und seinem im vorigen Sommer geborenen zweiten Sohn in Hamburg.
Aufstieg bedeutete: immer mehr Verantwortung, Arbeit und Stress. Die Rolle des Workaholic hat Ihnen lange gefallen.
Das ist eine schräge Mischung: Du bekommst viel öffentliches Feedback, bist wichtig, wirst hofiert. Das fühlt sich mächtig an. Ich habe es vermieden, mir vor Augen zu führen, dass ich nicht als Person, sondern nur aufgrund meiner Position diese Anerkennung genießen durfte. Und ich dachte: Ich stemm’ das alles, bin mit Arbeit nicht totzukriegen.
Was war am schlimmsten?
Das ständige Funktionierenmüssen. Der Druck, von morgens bis spät abends präsent sein zu müssen, dafür verantwortlich zu sein, dass die tageszeitungstypischen Ansprüche nach Schnelligkeit und Exklusivität erfüllt werden. Ständig musst du in so einer Position eine Rolle spielen, darfst keine Schwäche zeigen. Die vielfältigen Aufgaben des Redaktionsalltags haben sich zu einem riesigen Berg aufgetürmt.
Während der immer weiter wuchs, schrumpfte ich zusehends. Ich hatte das Gefühl, an der Menge der Herausforderungen zu ersticken. Dass sich dagegen in mir etwas wehrte, habe ich lange nicht wahrhaben wollen.
Auf der anderen Seite stand ein fast süchtiges Bedürfnis nach Anerkennung und die Sucht nach immer neuen Kicks.
Das hatte schon etwas Rauschhaftes. Die Spirale, in der die Dosis ständig erhöht werden muss, um noch zu kicken, habe ich im Job kennengelernt. Die nächste Geschichte musste immer noch kräftiger, wuchtiger, exklusiver sein als die vorangegangene.
Irgendwann lässt sich der Kick nicht mehr stetig steigern.
Als mir das alles nicht mehr ausreichte, begann ich, mir die Nächte um die Ohren zu hauen, mit Alkohol, Partys, käuflichem Sex. Ich fühlte mich als Stadtcowboy: Tagsüber halte ich Hamburg mit meinen Geschichten in Atem, nachts bin ich der King aufm Kiez. Das klingt absurd, hat sich aber genau so angefühlt.
Der Preis Ihrer Karriere: Verlust von Liebesbeziehungen, kaum Zeit für Ihren Sohn. Waren das die größten Entbehrungen?
Auf jeden Fall. Ich erlebe jetzt bei meinem zweiten Sohn, was für einen Nachholbedarf ich auf dieser Ebene habe. Selbst meinem Anspruch, am Wochenende Teilzeitpapa zu sein, habe ich nicht genügen können, weil ich völlig kraftlos darnieder lag. Dazu kam meine wachsende Beziehungsunfähigkeit. Privat bekam ich nichts mehr gebacken und das hat Wunden hinterlassen.
Hat Karriere immer so einen Preis, oder haben Sie die Identifikation mit dem Job einfach übertrieben?
Beides! Ich habe den Job und mich über viele Jahre viel zu wichtig genommen. Bei Bild hatten wir den Eindruck, der Nabel der Stadt zu sein. Ich habe mich permanent nur mit meinem Job beschäftigt und jede Fähigkeit verloren, mal von außen draufzugucken, was ich da eigentlich mache und welche Relevanz das wirklich hat.
Sind Journalisten da besonders gefährdet?
Ich erlebe in meinem Umfeld, dass ich alles andere als ein Einzelfall bin. Gerade im Tageszeitungsjournalismus zeigen viele Kollegen ein ähnliches Stressverhalten. Sie sind anfällig, sich zu betäuben, um den Stress auszuhalten und oft nach ein paar Jahren ausgebrannt. Ausstiegsfantasien haben die meisten.
Sie schreiben, dass Sie die Notbremse erst zogen, „als nichts mehr ging“. Warum?
Zum einen habe ich ja nicht nur gelitten. Mir hat mein Job auch verdammt viel Spaß gemacht und viele Glücksmomente beschert, aber die Schattenseite war viel zu mächtig. Zum anderen hat dieser Ausstieg mich sehr viel Kraft gekostet, weil ich die Sicherheiten und guten Karriereaussichten nicht mal so eben wegschmeißen konnte. Ich brauchte für den Ausstieg einen Fluchtpunkt. Den hatte ich lange nicht.
Stress macht hässlich, schreiben Sie, unter Bezugnahme auf einen ungesunden Lebenswandel. Schauen Sie heute lieber in den Spiegel als vor zwei Jahren?
Ich schaue mich heute wesentlich lieber an und ich lasse mich auch wieder lieber fotografieren. Die Entspannung, die ich heute in meinem Leben spüre, spiegelt sich auch in meinem Ausdruck. Das wird mir gesagt und das sehe ich auch selber.
Sie haben Ihr Seelenleben jahrelang konsequent verschlossen gehalten – jetzt blättern Sie es total öffentlich auf. Wieso diese Kehrtwendung?
Durch dieses jahrelange Dichthalten und Verstecken hatte sich so viel angestaut, das ließ sich gar nicht mehr zurückhalten und musste raus. Und ich wollte die echte Geschichte aufschreiben. Die Überlegung, das eine oder andere wegzulassen oder zu schönen, gab es gar nicht.
Ist Schreiben für Sie Verarbeitung einer Lebensphase?
Der therapeutische Effekt war mein größter Antrieb zur Produktion dieses Buches.
Wie lautet Ihre Kernbotschaft?
Meine Kernbotschaft an die Unternehmen lautet: Passt auf eure Mitarbeiter auf! Denn Mitarbeiter, gerade in Führungspositionen, sind nicht so selbstverantwortlich, dass sie ihre Grenzen klar definieren und rechtzeitig Unterstützung einfordern.
Was muss da passieren?
Auszeiten, wo du nicht erreichbar bist, müssen ernst genommen und respektiert werden. Ich war 24 Stunden am Tag erreichbar und es gab auch eine gefühlte Selbstverständlichkeit, dass das so zu sein hat. Das muss sich grundlegend ändern. Was hat ein Unternehmen davon, wenn ein geschätzter Mitarbeiter fünf oder zehn Jahre gut mitspielt und dann zusammenklappt?
Was sollten die Unternehmen dagegen tun?
Menschen in Führungspositionen müssen begleitet werden und auch mal sagen dürfen: Hier weiß ich nicht weiter und brauche Hilfe. Das darf nicht als Schwäche, sondern sollte ihm als Stärke ausgelegt werden.
Welchen Rat würden Sie heute Kollegen geben, die die Karriere ebenso kaputtmacht, wie es bei Ihnen der Fall war?
Achte auf dich und sei ehrlich mit dir selbst. Wenn dich die Karriere lockt, lass dich drauf ein, aber lerne, Grenzen zu formulieren. Ich habe inzwischen gelernt, mir übergroße Belastungen vom Hals zu halten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen