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Interview mit Anwältin für Diskriminierung„Ich wünsche mir mehr Klageverfahren“

Anwältin Leonie Thum über Geschlechterdiskriminierung und die Notwendigkeit von mehr Gerichtsurteilen. Thum vertritt auch die Plansche-Klägerin.

Frisch saniert: der Wasserspielplatz Plansche im Berliner Plänterwald Foto: Robert Grahn/dpa
Uta Schleiermacher
Interview von Uta Schleiermacher

taz: Frau Thum, der Wasserspielplatz Plansche eröffnet jetzt mit neuer Nutzungsordnung. Nun dürfen sich auch Frauen mit nackter Brust dort aufhalten. Was bedeutet das?

Die Brust darf raus!

LADG

Mit dem Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) ist es in Berlin seit 2020 möglich, gegen Diskriminierung durch Behörden und Verwaltung zu klagen. Das Gesetz ist bundesweit einmalig. In anderen Bundesländern schützt nur das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gegen Diskriminierung im privatwirtschaftlichen Sektor.

Plansche

Nach etwa einem Jahr Pause wegen Umbauarbeiten eröffnet der Wasserspielplatz Plansche in Treptow an diesem Freitag wieder. In der Nutzungsordnung heißt es nun, dass „alle Geschlechter“ die „primären Geschlechtsorgane“ vollständig bedecken müssen.

Gleiche Brust für alle

Nachdem an der Plansche im Sommer 2021 eine Frau oben ohne des Platzes verwiesen wurde, gründete sich die Initiative „Gleiche Brust für Alle“. Sie setzt sich mit Demos, Petitionen und Unterstützungsaktionen dafür ein, dass Oberkörper in der Öffentlichkeit, unabhängig vom Geschlecht, nackt sein dürfen. (usch)

Leonie Thum: Aus meiner Sicht ist das nur eine Klarstellung, denn seit es das Landesantidiskriminierungsgesetz gibt, muss es schlicht und ergreifend so sein. Alle Nutzungsordnungen, auch die, die es vorher schon gab und auch die der Plansche, müssten so ausgelegt werden, weil alles andere diskriminierend ist und damit nach dem LADG verboten.

Warum ist es so klar, dass es diskriminierend ist, wenn Frauen ihre Brust dort bedecken müssen, wo Männern oben ohne erlaubt ist?

Diskriminierung bedeutet erst einmal nichts anderes als Ungleichbehandlung, und das Geschlecht gehört unstreitig zu den Gründen, aus denen eine Ungleichbehandlung verboten ist. Es ist verfassungsrechtlich sogar eines der Merkmale, bei dem die Diskriminierung am schwersten wiegt. Das hängt damit zusammen, dass man auf die Geschlechtsidentität keinerlei Einfluss hat und eine Diskriminierung hier am meisten belastet. Dass einzelne Personen eventuell Anstoß daran nehmen könnten, kann aus meiner Sicht nicht reichen, um eine so schwerwiegende Diskriminierung zu rechtfertigen.

Im Interview: 

Leonie Thum geboren 1985, ist als Rechtsanwältin und Fachanwältin auf Arbeitsrecht und Anti-Diskriminierungsrecht spezialisiert. Sie vertritt die Frau, die 2021 den Bezirk Treptow-Köpenick wegen Diskriminierung verklagt hat, weil es ihr nicht gestattet wurde, sich an einem Wasserspielplatz oben ohne zu sonnen.

Es kommt ja oft das Argument, das sei bei Männern und Frauen eben nicht das Gleiche.

Die Entscheidung, dass die – sexualisierte – weibliche Brust das Problem ist und deshalb versteckt werden muss, muss behoben werden, weil sie diskriminiert. Zwar ist bei Männern das Brustwachstum in der Pubertät selbst kein sekundäres Geschlechtsmerkmal, sehr wohl aber das vermehrte Muskel- und Haarwachstum auf der Brust. Wobei das natürlich ein biologischer Begriff ist und kein sozial­wissenschaftlicher. Und es ist ja durchaus sinnvoll, darauf Bezug zu nehmen. Tut man das, haben Männer aber viel mehr sekundäre Geschlechtsmerkmale als Frauen: etwa die Brustbehaarung, den Bartwuchs, die Körper­behaarung, das vermehrte Muskelwachstum. Wenn es danach ginge, müssten Männer im Burkini baden gehen.

Das wird wohl nicht so bald kommen.

Wohl kaum – dabei können sich Frauen genauso von den sekundären Geschlechtsmerkmalen von Männern belästigt fühlen. Das führt aber nicht dazu, dass irgendwer auf die Idee kommt, dass sie bedeckt werden müssten.

Wie haben Sie die Reaktionen in Berlin generell wahrgenommen?

Der größte Teil der Kommentare und Reaktionen, die ich erlebt habe, war: Warum regt sich irgendwer darüber auf? Seit den Achtzigern waren in Berlin alle oben ohne und es gibt überall FKK. Wo kommt das Problem jetzt her?

Und woher kommt es?

Ich verstehe das teils auch nicht. Wenn man dieses Jahr am See war, sieht man doch: Da macht sich überhaupt keiner einen Kopf drum. Ich habe auch im Freibad schon weiblich gelesene Personen oben ohne baden oder sonnenbaden gesehen und noch nie erlebt, dass das problematisiert wurde. Es gibt eine Übersicht von gemeldeten Fällen und es gab einfach jahrelang keine Beschwerden. Während der Pandemie haben diese plötzlich stark zugenommen. Ich glaube, das hat wenig damit zu tun, dass mehr weiblich gelesene Personen oberkörperfrei sind als damit, dass die meisten Menschen deutlich gereizter sind als sonst. Und die gesellschaftlichen Fronten haben sich insgesamt enorm verhärtet.

Auch schon vor der Pandemie, oder?

Meine Theorie ist, dass es gerade eine stark konservative Gegenbewegung gibt zu allen positiven Entwicklungen im Bereich Anti-Diskriminierung. Seit den Neunzigern und noch bis vor ein paar Jahren war die allgemeine Haltung: Es gibt Diskriminierung, aber eigentlich wollen wir alle, dass das aufhört. Wir wollen eine integrative Gesellschaft, die nicht einzelne Gruppen ausgrenzt, weil uns das allen nicht gut tut. Mittlerweile scheinen viele Menschen darauf zu bestehen, dass es irgendein persönliches Recht auf Diskriminierung gibt, das ihnen weggenommen werden soll.

Wie erklären Sie sich diese Gegenbewegung?

Es ist diese Haltung: Wir haben genug Gleichberechtigung gewährt, jetzt dürfen weiblich gelesene Personen schon so viel, es ist auch mal genug. Gleichzeitig gibt es innerhalb des weißen liberalen Feminismus leider auch eine riesige Bewegung, die meint, jetzt könnten alle anderen Gruppen sich mal zurückhalten, und damit im Prinzip schlicht die patriarchale Machtposition übernehmen und behalten. Das ist sehr frustrierend, aber es ist eigentlich auch ein Zeichen dafür, dass wir Schritte in die richtige Richtung machen. Jetzt geht es nicht mehr darum, marginalisierte Gruppen als „white savior“ zu retten, sondern jetzt sagen Betroffene aus ihrer Sicht, was Rassismus und Transphobie ist. Das mag für viele Menschen anstrengender sein als vorher – aber es werden zurecht die Stimmen laut, die über eigene Diskriminierungserfahrung verfügen. Wir sollten einfach zuhören.

Warum ist es wichtig, dass es neben der Änderung der Nutzungsordnung auch die Klage gegen den Bezirk gibt?

Erstens, weil die Änderung der Nutzungsordnung das Problem nur auf dem Papier für die Zukunft und bislang auch nur in Treptow-Köpenick behebt, während die erfolgte Diskriminierung weder kompensiert noch sanktioniert wird. Der Sanktions­charakter der Entschädigung ist jedoch das effektivste und einzige Mittel, solche Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern. Zweitens auch deshalb, weil es bisher nicht viele Klagen nach dem LADG gab. Trotz der vielen Berichterstattung und der Aufschreie bei Erlass des LADG hat es doch unter den Bürgern in Berlin und den potenziell Betroffenen gar keinen hohen Bekanntheitsgrad. Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, sollten wissen, dass man tatsächlich erfolgreich dagegen klagen kann. Zudem gab es im konkreten Fall auch im Beschwerdeverfahren bei der Ombudsstelle keine zufriedenstellende Lösung.

Wir brauchen also mehr Klagen nach dem LADG?

Wir brauchen Urteile, um zu wissen: Wie geht man mit diesen Fällen um? Wie berät man die Betroffenen dazu? Das dient der Rechtssicherheit. Es ist insbesondere zu hoffen, dass es eine Verbesserung gegenüber der Rechtsprechung zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gibt. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz muss man sich schon gut überlegen, wem man rät, ein Verfahren durchzumachen. Da braucht man Mandantschaft, die psychisch stark genug ist, weil der Umgang der Gerichte mit diesen Fällen retraumatisierend sein kann und daher auch die Erfolgsaussichten stark schwanken. Das ist ein massives strukturelles Problem, das seit Jahren als richterliche Freiheit abgetan und ignoriert wird. Ich habe aber den Eindruck, dass sich auch hier langsam etwas bewegt. Historisch gesehen ist das LADG ja der Black-Lives-Matter-­Bewegung zu verdanken und sollte vor allem „Racial Profiling“ durch die Polizei verhindern. Auch da wünsche ich mir, dass es bald mehr Klageverfahren gibt.

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2 Kommentare

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  • Also Interview mit Anwältin für Diskriminierung ist ein etwas merkwürdiger Titel. Irgendwas sagt mir aber, dass sie sich eher dagegen einsetzt... ;-)

    • @larasu:

      Sie irren, aus Sicht einer RA sind mehr Klagen dem Geschäft förderlich und durchaus wünschenswert.