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Interview mit Amnesty-Chefin"Ich hoffe, dass ich wach genug bleibe"

Die Noch-Generalsekretärin von Amnesty International, Barbara Lochbihler, glaubt, dass die EU die Menschenrechte voranbringen könnte - wenn sie es nur wollte.

60 Jahre ist die Allgemeine Menschenrechtserklärung alt. Doch sie gilt längst nicht überall. Bild: ap
Interview von Bernhard Hübner

dpa
Im Interview: 

Barbara Lochbihler, 49, ist seit 1999 Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International. Im Juli wird sie dieses Amt aufgeben, weil sie künftig für die Grünen Politik machen möchte. Auf dem Parteitag am Wochenende in Dortmund bewirbt sie sich um einen Listenplatz für die Europawahl im Juni.

taz: Frau Lochbihler, Sie haben sich in den letzten zehn Jahren als Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland für Menschenrechte engagiert. Nun wollen Sie für die Grünen ins Europaparlament. Warum wechseln Sie die Seiten?

Barbara Lochbihler: Persönlich ist das für mich eine neue Herausforderung. Und inhaltlich kann ich mich gut einbringen. Denn bei den Menschenrechten gibt es eine hohe Übereinstimmung zwischen den Forderungen der Grünen und den Forderungen, die ich bisher vertreten habe. Ich möchte nun auf europäischer Ebene eine Politik prägen, die menschenrechtspolitische Forderungen durchsetzt.

Neben Ihnen kandidiert mit Sven Giegold ein weiterer bekannter Quereinsteiger. Reicht das Personal der Grünen nicht mehr aus, um Wahlen zu gewinnen oder warum holen Sie sich nun ihre Bewerber von NGOs und sozialen Bewegungen?

Für die Listenplätze gibt es sehr gute Mitbewerberinnen und Mitbewerber. Und dass es Bewerbungen von außen gibt, liegt eher an den sehr großen inhaltlichen Schnittmengen. Wenn ich an die Bundesdelegiertenkonferenz im November in Erfurt denke, da haben die Grünen - da haben wir Grünen - eine ganze Reihe von Anträgen zum Thema Menschenrechte auf den Weg gebracht, die sich kaum von dem unterscheiden, was Amnesty fordert. Bei den Grünen ist es eben möglich, dass man von einer Fach-NGO kommt und Dinge vertreten kann, die dann in Politik übergehen.

Brauchen die Grünen zurzeit frische Ideen?

Ich hoffe, mit meiner Kandidatur glaubhaft zu einer grünen Menschenrechtspolitik beitragen zu können. Viele Ideen bei den Menschenrechten sind schon im Raum. Wichtig ist, dass man sie umsetzt, dass man nachhält, konsequent ist und dass man die Menschenrechte immer wieder als Orientierungspunkt und Maßstab nimmt, wenn man auch in der Politik Abwägungen treffen muss.

Das war ja bei der grünen Regierungspolitik in den vergangenen zehn Jahren nicht immer der Fall. Sie haben als Amnesty-International-Chefin Rot-Grün häufig für den laschen Umgang mit Menschenrechten kritisiert. Was hat sich seitdem geändert?

Die Grünen haben Entscheidungen von damals offen diskutiert und kritisch reflektiert. Auch bei Punkten, die ich beanstandet habe, etwa dem Luftsicherheitsgesetz, das nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wieder zurückgenommen werden musste.

Das ist nur ein Beispiel. Unter der grünen Regierungsbeteiligung wurden die Gefangenenflüge der CIA über Deutschland geduldet, der Bremer Murat Kurnaz verschwand im Lager von Guantánamo.

Wenn ich auf meine zehn Jahre bei Amnesty zurückschaue, was wir da für Widerstände hatten, nach 2001 im Antiterrorkampf menschenrechtskonformes Verhalten einzufordern, sieht man heute schon sehr große Änderungen - bei der grünen Partei, aber auch bei anderen. Mit ihren Fehlern sind die Grünen selbstkritisch umgegangen. Sie haben in der Opposition massiv zur Aufarbeitung beigetragen und geholfen, einen BND-Untersuchungsausschuss durchzusetzen. Mir ist auch klar, dass man als nichtstaatliche Organisation Maximalforderungen stellt, die die Politik wahrscheinlich nicht immer zu hundert Prozent umsetzen kann. Ich sehe meine Rolle innerhalb der Partei darin, Menschenrechte auch in kritischen und schwierigen Situationen als wichtigsten Maßstab der Politik durchzusetzen.

Warum haben Sie sich dafür das Europaparlament ausgesucht?

In der Menschenrechtsarbeit ist die Europäische Union eine der wenigen Regionen auf der Welt, die Menschenrechte wirklich aktiv voranbringen können. Das geht aber nur, wenn die EU geeint agiert. Sie hat die Strukturen, um Menschenrechtspolitik zu betreiben. Es gibt einen Ausschuss, es gibt Menschenrechtsdialoge und Menschenrechtsklauseln in verschiedenen Abkommen. Es fehlt allein am politischen Willen, sie auch konsequent und ergebnisorientiert anzuwenden.

In Ihren Reden als Generalsekretärin von Amnesty zur EU haben Sie oft den Eindruck erweckt, dass es in Brüssel kein allzu großes Interesse an Menschenrechten gebe.

Wenn es um Beitrittsverhandlungen geht, etwa mit der Türkei, sind Menschenrechte plötzlich ein großes Thema. Aber innerhalb der EU kommen sie kaum vor. Dabei liegt vieles im Argen. Zum Beispiel gibt es eine massive Diskriminierung von Lesben und Schwulen in den baltischen Staaten oder in Polen. In Rumänien und Bulgarien wird die Minderheit der Roma vom Bildungssystem praktisch ausgeschlossen und in minderwertige Sonderschulen gezwungen. Und es muss endlich zu einer menschenrechtskonformen Migrations- und Flüchtlingspolitik kommen.

Die jetzige Flüchtlingspolitik der EU ist nicht menschenrechtskonform?

Ja. Die grausamen Bilder von Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertrinken und nicht gerettet werden, darf es nicht mehr geben. Die EU-Grenzüberwachungsorganisation Frontex muss vom Europaparlament kontrolliert werden. Das alles müssen wir noch viel intensiver thematisieren. Denn im Zweifel stehen in der EU genauso wie auf nationaler Ebene immer wirtschaftspolitische und strategische Überlegungen im Vordergrund. Deshalb braucht es stark an Menschenrechten orientierte Politiker, um etwas zu ändern. Und ich habe große Lust darauf, etwas dazu beizutragen.

In einer NGO zu arbeiten heißt, engagiert Überzeugungen zu vertreten. Politik in einem Parlament heißt Kompromisse schließen. Haben Sie Angst, dass Sie Ihre eigenen Prinzipien opfern müssen?

Ich hoffe, dass ich da wach genug bleibe, das nicht zu tun. Wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht, sind die doch in ihrer Deutlichkeit und Brutalität so klar, dass man da nicht so leichtfertig Kompromisse macht.

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