Interview: Thomas Böwer: Her mit dem Alpha-Tier
■ Der SPD-Abgeordnete über junge Straftäter, Kindeswohl und Elternrecht
taz: Ist der liberale Umgang mit jungen Straftätern gescheitert?
Thomas Böwer: Wir brauchen keine neuen Gesetze, sondern müssen die vorhandenen nur nutzen. Man muß sich aber neue Modelle überlegen und sie der Justiz an die Hand geben. Wir brauchen zum Beispiel eine pädagogisch besser ausgestattete U-Haft und eine stärkere Kooperation zwischen Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie, um festzustellen, ob ein Wiederholungstäter vielleicht schlicht gestört ist. Und auf die Tat müssen die Konsequenzen schnell folgen. Also: Keine Formschreiben als Reaktion auf eine Straftat, sondern ein Gespräch mit dem Jugendlichen und seinen Eltern.
Und wenn den Eltern der Jugendliche schon entglitten ist?
Wenn Eltern ihren Kindern kündigen, sie also ihre Erziehungsaufgabe aufgegeben haben, muß Kindeswohl vor Elternrecht gehen. Man tut den Kindern, insbesondere noch nicht strafmündigen, keinen Gefallen, wenn das Sorgerecht dann nicht von der Jugendhilfe übernommen wird. Das ist besser, als à la Bayern abzuschieben.
Was sind die Alternativen zum geschlossenen Heim?
Es gibt Beispiele, wo diese Jugendlichen zu Farmerfamilien nach Namibia geschickt werden. Weit und breit nichts. Sie können nicht abhauen, müssen sich einlassen und erleben dann oft auch positive Autorität, also jemanden, den Farmer, der ihnen sagt, wo's lang geht. Sie brauchen ein „Alpha“-Tier, weil sie so strukturiert sind.
Sie fordern die berühmte harte Hand?
Die Hand kann auch mal hart sein. Sie muß auch mal festhalten und den Jugendlichen eine Weile durch die Gesellschaft führen. Die Idee hat Charme, weil sich dann keine „Peer-Group“ bildet. Denn mit dem Zusammenlegen von kriminellen Jugendlichen erreicht man etwas, was man gar nicht will: eine Subkultur.
Brauchen wir nun geschlossene Einrichtungen oder nicht?
In der Jugendhilfe müssen wir von einer gruppen- zu einer beziehungsorientierten Betreuung kommen. Eine einzelne Person kümmert sich verläßlich und verbindlich um einen solchen Jungen. Einrichtungen mit einer Binnendifferenzierung wären sinnvoll. Um festzustellen, was mit einem Jugendlichen, der ständig Autos knackt, los ist, muß man ihn vielleicht auch mal vier Wochen festhalten.
Interview: Silke Mertins
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