Interview Rechtsprofessor Fischer-Lescano: "Kein Alleingang gegen Piraten"

Die Bundesmarine darf einem bedrängten Schiff vor der Küste Somalias zwar helfen, Piraten aber nicht verfolgen, sagt Rechtsprofessor Fischer-Lescano. Dies müsste der Bundestag zuvor absegnen.

Was tun, wenn endlich einmal ein Pirat ins Visier kommt? Bild: ap

taz: Herr Fischer-Lescano, unter welchen Bedingungen erlaubt das Grundgesetz Einsätze der Bundeswehr gegen Piraten?

Andreas Fischer-Lescano: Grundsätzlich darf die Bundeswehr nur zur Landesverteidigung eingesetzt werden. Artikel 87a des Grundgesetzes verlangt für andere Einsätze eine ausdrückliche Regelung in der Verfassung. Der bevorstehende Einsatz gegen Piraten vor Somalia soll auf Artikel 24 gestützt werden, weil er im Rahmen einer EU-Mission erfolgt.

Am Montag dieser Woche will die EU ihre Anti-Piraten-Mission "Atalanta" beschließen. An dieser Mission soll sich auch die Bundesmarine beteiligen. Näheres wird an diesem Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen. Endgültig wird über das Mandat zur Piratenbekämpfuung im Bundestag am 19. Dezember abgestimmt. In einem fünfseitigen Brief an die Fraktionschefs im Bundestags erläuterten Außenminister Steinmeier (SPD) und Verteidigungsminister Jung (FDP) Ende letzter Woche ihre Pläne. Deutschland will sich an der EU-Mission mit einer Fregatte und bis zu 1400 Soldaten beteiligen. Die Soldaten sollen auch als Sicherungstruppe an Bord von zivilen Schiffen mitfahren. Höchste Priorität habe der Schutz von humanitären Transporten, dann folgen Schiffe unter der Flagge eines EU-Staates, dann sonstige Schiffe. Vorrangiges Ziel der Aktion sei nicht die Festnahme von Piraten, sondern der Schutz von Schiffen vor Überfällen. CHR

Warum ist die EU wichtig?

Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 entschieden, dass die Bundeswehr zwar im Ausland eingesetzt werden kann, aber nur im Rahmen von internationalen Organisationen - wie EU, Nato oder UNO - und nur mit Zustimmung des Bundestags.

Ein Alleingang der Bundesmarine gegen Piraten wäre also nicht möglich?

Nein. Solche nationalen Alleingänge wären vom Grundgesetz nicht gedeckt. Verteidigungsminister Jung und Innenminister Schäuble haben zwar eine entsprechende Verfassungsänderung vorgeschlagen, dafür gibt es derzeit aber keine Mehrheit.

Schon bisher darf die Marine bei akuten Piratenüberfällen zur Nothilfe eingesetzt werden. Wie ist das möglich?

Das gilt als zulässig, weil das Grundgesetz eine staatliche Pflicht zum Schutz von Leib und Leben enthält. Die Marine, die ja derzeit schon im Rahmen der Terrorbekämpfung vor Somalia präsent ist, darf also einem bedrängten Schiff zu Hilfe eilen, sie darf die Piraten aber nicht verfolgen. Hierzu sind internationale Einbindung und Bundestagsmandat erforderlich.

Die FDP betont seit Monaten, dass Bundeswehreinsätze gegen Piraten auch ohne spezielles Bundestagsmandat möglich seien. Wie argumentiert die FDP?

Sie stützt sich auf Artikel 25 des Grundgesetzes, wonach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zum Bestandteil des Bundesrechts erklärt werden. Gemeint sei damit auch Artikel 107 des UN-Seerechtsübereinkommens, der den Einsatz von Kriegsschiffen gegen Piraten ausdrücklich erlaube.

Was halten Sie von dieser Argumentation?

Ich halte sie für unseriös. Denn laut Artikel 107 ist der Einsatz gegen Piraten nur erlaubt, wenn Kriegsschiffe "hierzu befugt sind". Die Norm setzt die verfassungsrechtliche Befugnis, die sie verleihen soll, also voraus und liefert sie gerade nicht. Damit kann das Grundgesetz nicht ausgehebelt werden. Außerdem ist fraglich, ob Artikel 107 überhaupt eine allgemeine Regel des Völkerrechts ist, ob er also auch für die Staaten gilt, die das Seerechtsabkommen nicht unterzeichnet haben.

Piraten sind keine Soldaten, sondern Kriminelle. Spielt das verfassungsrechtlich eine Rolle?

Ich halte das für sehr relevant. Die Bundeswehr darf nach Artikel 87a des Grundgesetzes im Prinzip keine Polizeiaufgaben wahrnehmen. Das muss auch international gelten, sonst verblasst die Trennung von Polizei und Militär immer mehr. In der rechtswissenschaftlichen Debatte scheint sich jedoch ein Konsens herauszubilden, der bereit ist, verfassungsrechtliche Errungenschaften auf dem Altar der Sicherheit zu opfern. Die Bundeswehr würde dann zu einem globalen Polizeidienstleister, der auch nichtmilitärische Maßnahmen ausführen kann, sofern die Einsätze im Rahmen von Nato, EU oder UNO erfolgen.

Darf die Bundeswehr Piraten festnehmen oder muss die Marine dafür Polizisten mitnehmen?

Einen Täter, der auf frischer Tat ertappt wurde, darf grundsätzlich jedermann festnehmen, auch die Bundeswehr. Wenn Soldaten aber gezielt zur Festnahme von Piraten eingesetzt werden, bedarf es hierfür einer rechtlichen Grundlage, die das deutsche Recht bisher nur für die Bundespolizei vorsieht. Auf jeden Fall muss der Festgenommene spätestens nach 48 Stunden einem Richter vorgeführt werden.

ANDREAS FISCHER-LESCANO, 36, ist Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Uni Bremen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.