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Interview Gebetsraum-Urteil"Ein brandgefährliches Urteil"

Die Juristin Kirsten Wiese kritisiert das Gebetsverbot für einen muslimischen Schüler. Es stelle die Religionsfreiheit infrage und beschwöre Konflikte herauf – und sei überdies völlig unverhältnismäßig.

Gebetsteppich, gesehen am Frankfurter Flughafen. Bild: dpa
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat einem muslimischen Schüler verboten, in der Schule zu beten, weil dies den Schulfrieden bedrohe. Hat dieses Urteil grundsätzliche Bedeutung?

Kirsten Wiese: Ja. Hier wird ein ganz neues Konfliktfeld eröffnet. Bisher wurde mit Blick auf den Schulfrieden vor allem die Freiheit von Lehrkräften eingeschränkt, ein Kopftuch zu tragen. Jetzt kommt auch die Religionsfreiheit von Schülern in den Blick.

Dürfen Schülerinnen in der Schule künftig noch ein Kopftuch tragen?

Kirsten Wiese

37, Juristin, hat über Kopftuchverbote bei Lehrerinnen promoviert. Sie ist Mitglied der Humanistischen Union, die die Trennung von Staat und Kirche fordert.

Wenn man den Grundgedanken des OVG-Urteils ernst nimmt, ist auch das Kopftuch ein sichtbares Zeichen der Religionsausübung, das zur Wahrung des Schulfriedens verboten werden könnte. Das Gleiche könnte für Kreuze an Halsketten von Schülerinnen und Schülern gelten. Möglicherweise droht bald hunderten von Schülerinnen, die ihr Kopftuch nicht abnehmen wollen, der Schulausschluss. Dieses Urteil ist brandgefährlich, weil es ohne Not die Konflikte heraufbeschwört, die es angeblich vermeiden will.

Wird das Urteil Bestand haben?

Wohl kaum. Spätestens das Bundesverfassungsgericht wird diese Fehlentscheidung korrigieren. Ich kann dem betroffenen jungen Mann nur raten, Rechtsmittel einzulegen.

Was kritisieren Sie an dem Berliner Urteil?

Ein präventives Gebetsverbot ist völlig unverhältnismäßig. Die Annahme, dass das Gebet eines Schülers in der Schulpause zu Konflikten führt, ist nicht durch die bisherigen Erfahrungen gedeckt. Der Schüler hat sein Gebet oft in leeren Klassenzimmern oder der Umkleide zur Turnhalle verrichtet - so zurückhaltend, dass die Schule dies gar nicht bemerkte und sogar seine religiöse Motivation in Frage stellte. Ein Gebetsverbot wäre allenfalls möglich, wenn Konflikte tatsächlich eingetreten sind. Und auch dann fragt sich, warum die Schule gegen den Betenden vorgehen soll und nicht zunächst Lösungen sucht, die einer Toleranzkultur entsprechen.

Muss die Schule dann für alle, die beten wollen, Gebetsräume bereitstellen?

Nein, aber das ist auch nicht nötig. Die Diskussion um Gebetsräume beruht ja nur auf der falschen Annahme von Schule und OVG, dass ein Gebet allenfalls hinter verschlossenen Türen erlaubt werden könne. Der junge Mann hat keinen Gebetsraum gefordert, er hat nur gegen das generelle Gebetsverbot der Schule geklagt. Das vom OVG als unlösbar angesehene Problem, dass nun alle an der Schule vertretenen Religionen eigene Gebetsräume fordern könnten, stellt sich also gar nicht.

Die Schule beruft sich auf die Neutralität des Staates. Religion habe deshalb in der Schule nichts zu suchen.

Das ist ein ganz falsches Verständnis. Neutralität des Staates heißt ja nur, dass er alle Religionen gleich behandeln muss. Es gibt in Deutschland keine strikte Trennung von Kirche und Staat wie in Frankreich. Deshalb zieht in Deutschland zum Beispiel der Staat die Kirchensteuer ein und bezahlt die Religionslehrer.

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18 Kommentare

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  • BL
    Barbara Lorenz-Fan

    Barbara Lorenz schreibet:

    "Die Meinung von Frau Wiese ist in sich kontrovers. Einerseits steht sie für die Trennung von Staat und Kirche, andererseits spricht sie sich gegen dieses (für mich einzig richtige) Urteil aus. Religion ist Privatsache, und sollte auch als solche gehandhabt werden. In unseren staatlichen Schulen sollte kein Religionsunterricht stattfinden dürfen, weder katholisch noch sonstwas, sondern für alle ein Fach, in dem es um Ethik und Moral unabhängig von Religionszugehörigkeit gehen muss. Wie wir alle wissen, gibt es keine katholischen/muslimischen etc. Kinder, sondern Kinder von katholischen/muslimischen etc. Eltern. Die Religionszugehörigkeit von Kindern sollte erst frühestens ab 16 von den Kindern selbst entschieden werden. Alles andere ist "Vergewaltigung von Kinderseelen und -geist" und verhindern die freie Entfaltung und Meinungsbildung. Wann werden wir endlich begreifen, dass Religionen nicht verbinden, sondern trennen und in keiner Zeit Gutes daraus entstanden ist."

     

    Sehr geehrt Frau Lorenz,

    genau auf den Punkt gebracht. Das ist auch meine Meinung. Raus mit den Religionen aus unseren staatlichen Schulen, egal welcher Glaubensrichtung, dann wird die Gewalt an unseren Schulen auch nachlassen.

  • AN
    Andreas Neumann

    Vielen scheint nicht bewusst zu sein, dass es um die Ausübung einer grundgesetzlich schrankenlos gewährten Freiheit gegenüber dem Staat geht. Die im Rahmen der Diskussion angesprochenen Fehlentwicklungen stellen kein brauchbares Argument für staatliche Beschränkungen und Einschränkungen dar. Wie langweilig die Welt doch wäre, wenn jeder seine Religion, Weltanschauung, Meinung, Sexualität, Geschmack... nur für sich behalten würde!

  • SB
    Sandra Burgmaier

    Diese Frau Wiese scheint bei der Humanistischen Union in Bremen aktiv zu sein, einer Organisation, die sich sonst für die Trennung von Kirche und Staat nach französischem Vorbild einsetzt.

     

    Aber Islam und Staat sollen zusammengerührt werden, oder was? Wenn das passieren würde, wäre die Trennung von Staat und Kirche nicht mehr möglich.

     

    @ Hamza: Rein für sich betrachtet ist ein Ruheraum eine gute Idee. Auch in Unternehmen ist vom Arbeitsrecht ein Sozialraum zur Ruhe und für Pausen vorgeschrieben. An der betreffenden Schule hat es aber Streit gegeben: Damaligen Presseberichten zufolge war solch ein Raum von der Schulleitung tatsächlich eingerichtet worden, aber weil auch SchülerINNEN ihn bisweilen benutzt haben, sei er von Schülern als "entweiht" diffamiert worden.

  • G
    gert

    Dass Staat und Religion in Deutschland nicht ganz strikt getrennt sind, ist eben genau der Fehler und der Grund dafür, dass solche Diskussionen bei uns nie ein Ende nehmen.

    In Frankreich gäbe es ganz einfach für keine Religion ein Schulgebet o.ä. und fertig.

  • BL
    Barbara Lorenz

    Die Meinung von Frau Wiese ist in sich kontrovers.Einerseits steht sie für die Trennung von Staat und Kirche, andererseits spricht sie sich gegen dieses (für mich einzig richtige) Urteil aus. Religion ist Privatsache, und sollte auch als solche gehandhabt werden. In unseren staatlichen Schulen sollte kein Religionsunterricht stattfinden dürfen, weder katholisch noch sonstwas, sondern für alle ein Fach, in dem es um Ethik und Moral unabhängig von Religionszugehörigkeit gehen muss. Wie wir alle wissen, gibt es keine katholischen/muslimischen etc. Kinder, sondern Kinder von katholischen/muslimischen etc. Eltern. Die Religionszugehörigkeit von Kindern sollte erst frühestens ab 16 von den Kindern selbst entschieden werden. Alles andere ist "Vergewaltigung von Kinderseelen und -geist" und verhindern die freie Entfaltung und Meinungsbildung. Wann werden wir endlich begreifen, dass Religionen nicht verbinden, sondern trennen und in keiner Zeit Gutes daraus entstanden ist.

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

    einen ist sie für die Trennung von Staat und Kirche, zum a

  • D
    Dummwiebrot

    Hallo Frau taz-Juristin Kirsten Wiese,

     

    "Die Schule beruft sich auf die Neutralität des Staates. Religion habe deshalb in der Schule nichts zu suchen. "

     

    "Das ist ein ganz falsches Verständnis. Neutralität des Staates heißt ja nur, dass er alle Religionen gleich behandeln muss. Es gibt in Deutschland keine strikte Trennung von Kirche und Staat wie in Frankreich. Deshalb zieht in Deutschland zum Beispiel der Staat die Kirchensteuer ein und bezahlt die Religionslehrer."

     

    Zur Info Frau Juristin: Muslims bezahlen keine Kirchensteuer, oder täusche ich mich da?

  • J
    Jean

    Was für ein Quatsch!

    "Jetzt kommt auch die Religionsfreiheit von Schülern in den Blick." Im Grunde ist es mehr der Islam, der in den Blick gerät - und das ist gut so. In Dänemark hat (endlich!) eine Gruppe Anzeige erstattet, weil der Koran generell nicht kompatibel zum Grundgesetz und schon gar nicht zur Demokratie ist. Aber dazu müßte man/frau erst mal den Koran lesen.

    Lieber macht man auf Multikulti und vergißt, dass gerade dessen Vertreter die ersten wären, die am Baukran hängen.

  • PN
    Peter N.

    einfach unglaublich diese Dame !

     

    Wenn sie sich mit der selben Dynamik für die geschändeten Mädchen/Frauen (Zwangsehen,sog. Ehrenmorde) u.a. Verletzungen unseres Grundgesetzes durch musl.Traditionen einsetzen würde, wäre dem jungen Mann mehr geholfen !

  • G
    gert

    Dass es in Deutschland keine strikte Trennung von Staat und Religion gibt ist eben gerade der Fehler und der Grund dafür, dass solche Diskussionen bei uns nie ein Ende nehmen.

    In Frankreich sind eben die christlichen Kreuze gleich mitverboten und gut is'.

  • G
    Goldfalter

    Natürlich: Ganz Deutschland atmet auf, dass dieses unsinnige Urteil aufgehoben wurde, aber die taz muss natürlich eine Stimme finden,die das Urteil "brandgefährlich" findet.

    Brandgefährlich ist die Zunahme von religiösen Symbolen in der Öffentlichkeit, dazu gehören auch die vielen Kopftücher, die sich explosionsartig verbreiten. Und die Dame vergisst, dass mit dem Islam eine Religion Einzug gehalten hat,die eine Trennung von Staat und Religion ablehnt, einen "Austritt" aus dieser Religion nicht zulässt und Menschen bis zum Tode verfolgt, die konvertieren.

    Und das sind nur einige Beispiele dafür, weshalb

    der Islam keine Religione wie jede andere ist.

  • B
    Berta

    Ich glaube an Venus, die Göttin des schönen und lustvollen Lebens, die einzig wahre Gottheit.

     

    Ich fordere für alle Schulen, alle Fabriken, alle Verwaltungsgebäude, alle Kinos und Theater, alle Land- und Bundestage und natürlich auch für das taz-Haus in der Kochstraße Schminkräume und Matratzenräume, um meinen Kultus auszuüben.

     

    Venus ist das Größte!

  • A
    Amisis

    Okay, um die Argumentation kurz zusammenzufassen:

     

    Fordert der Junge einen "Gebetsraum", dh. das Recht, 5 Minuten in der Umkleidekabine oder einem leeren Raum sein Gebet zu verrichten, ist das typisches, anmaßendes Verhalten muslimischer Fanatiker und nicht realisierbar, weil dann alle anderen auch plötzlich Räume zum Beten fordern würden.

     

    Fordert er dagegen keinen Raum, so verletzt er die "negative Religionsfreiheit", indem er seine Religion in irgendeiner Flurecke "demonstrativ zur Schau stellt" und mit diesem Anblick andere Leute beleidigt.

     

    Hm. Dazu fällt mir ein Witz ein: Drei Omas rufen bei der Polizei an: Da wäre ein nackter Mann, der jeden Morgen Gymnastik mache im Haus gegenüber. Die Polizei kommt und stellt fest: Man sieht den nackten Mann nur bis zum Oberkörper!

    Darauf die Omas: "Ja, Herr Wachtmeister! Dann klettern sie doch mal auf den Schrank!"

     

    ...was passiert übrigens, wenn er still auf einem Stuhl sitzt und ohne Bewegungen betet (das geht nämlich auch)? Stellt sich dann, wenn's raus kommt, jemand neben ihn, und macht Krach, um ihn daran zu hindern?

     

    mfG AMisis

  • S
    szuk

    Ein Kopftuch zu tragen, fünfmal am Tag zu bestimmter Stunde

    zu beten: das hat mit Religion nichts zu tun. Es hat zu tun

    mit Gehorsam.

     

    Die Schule darf nicht verpflichtet werden, religiösen

    Gehorsam zu fördern.

     

    szuk

  • H
    Hann0s

    Darum brauchen wir auch dringend nen Laizismus wie in Frankreich. Es ist ja zu beachten, das der Vorsitzende der Türkischen Gemeinden (Wars das?) das Urteil begrüßt hat, ein religionsfreier Raum ist in vielerlei hinsicht wichtig. Aber dieses halbgare rumgetanze wirkt nur wie gezielte Repression der muslimen in Deutschland, im besten Falle.

  • PK
    Peter "Airwhynn" Koslowsky

    Wenn schon angebliche Humanisten der Religionsausübung in öffentlichen Schulen das Wort reden macht das einfach nur noch Angst.

    Ich würde meine Tochter sicherlich von jeder Schule fernhalten , wo sie mit Gebetsteppichen konfrontiert würde. Das gilt natürlich auch für Kreuze.

  • H
    Hamza

    Warum richtet man nicht einen "Raum der Stille" ein. In diesem Raum können sich dann die Schüler konfessionsübergreifend zurück ziehen, wenn sie beten möchten oder aber der Eine oder Andere meditieren. Ich denke, dass dies für die innere Ruhe wohltuend wäre. Selbst Muslim, hätte ich mit so einer Lösung kein Problem.

  • S
    schlegel

    Frau Wiese urteilt mit pauschalen Phrasen aus dem juristischen Elfenbeinturm heraus. Und weiß es natürlich besser als die Lehrer, die mit Schülern unterschiedlicher Religionen tagtäglich zu tun haben.

     

    Worin sollen denn die beschwörten Konflikte bestehen? Die Konflikte sind an einigen Schulen bereits entstanden, als muslimische Schüler, die nicht beten wollten, von den "gläubigeren" Schülern angegangen wurden. Nein Frau Juristin, das Urteil ist praxistauglich und richtig. Und es bleibt auch abzuwarten, ob es in der nächsten Instanz gekippt wird.

  • M
    MaKaMa

    Heute Mittag habe ich auf WDR 2 gehört, dass sogar Islam-Verbände mit dem Urteil zufrieden sind.

    Ich kann nicht nachvollzeihen, warum Frau Wiese sich so aufregt. Es ist doch schon üblich, dass in Schulen und Gerichtssälen die Kreuze abgehängt werden, weil MitbürgerInnen sich von dem Kreuz gestört fühlen. Es ist doch auch möglich, leise und mal kurz zu beten.