Interview EU-Klimapaket: "Es muss Druck geben"
Die EU will erneuerbare Energien durchsetzen, die Industrie ist entsetzt. Doch in Wahrheit, so die Greenpeace-Campaignerin Frauke Thies, tut die EU noch zu wenig, um die Industrie zu CO2-Reduzierungen zu zwingen
taz: Frau Thies, die EU-Kommission hat ihr "historisches Klimapaket" vorgestellt. Der Umweltminister ist begeistert, die Industrie entsetzt. Ihnen geht das nicht weit genug. Was müsste eigentlich passieren, damit Greenpeace mal zufrieden ist?
Frauke Thies: Vor allem müsste die Kommission das richtige Klimaziel anstreben. Sie hat in der Vergangenheit anerkannt, dass die Emissionen in Europa bis 2020 um 30 Prozent sinken müssen. Auf Bali hat sie dafür gekämpft, dass für die Industrieländer ein Ziel von 25 bis 40 Prozent ins Dokument aufgenommen wurde, wie die Wissenschaft fordert. Und nun stellt sie ein Paket vor, mit dem lediglich 20 Prozent erreicht werden sollen.
Nicht ganz. Immerhin sagt sie auch, dass und wie sie 30 Prozent erreichen will, wenn sich die Staatengemeinschaft 2009 auf ein Kioto-Nachfolgeprotokoll einigt.
Wenn die EU sich als internationalen Klimavorreiter sieht, dann muss sie auch vorangehen - und ohne Bedingungen zu den Zielen stehen, von denen sie selber weiß, dass sie notwendig sind.
Aber es kann doch auch den Druck auf andere erhöhen, wenn man sagt, wir machen mehr, wenn ihr mitmacht.
Das sehe ich nicht so. Die EU muss mit einem klaren Bekenntnis in die Verhandlungen gehen, wenn sie glaubwürdig sein will. Außerdem enthält das Klimapaket zu viele Schlupflöcher. Vor allem durch die Möglichkeit, CO2-Einsparungen in anderen Ländern anrechnen zu lassen, sinkt der Druck, Emissionen in Europa selbst zu reduzieren.
Aber soll diese Möglichkeit im Vergleich zu heute nicht sogar reduziert werden?
Die Kommission setzt den Mitgliedstaaten erstmals überhaupt ein Limit, das allerdings viel zu hoch ist. Beim 20-Prozent-Ziel kann mehr als ein Drittel der Reduktionen außerhalb der EU erbracht werden; beim 30-Prozent-Ziel wäre es noch mehr. Das ist ein großes Schlupfloch. Die Förderung von Projekten im Ausland ist sinnvoll - aber nur, wenn sie zusätzlich zu Reduktionen in Europa geschieht.
Die Energiekonzerne beklagen sich, weil die Emissionszertifikate, die sie für den Betrieb ihrer Kraftwerke brauchen, ab 2013 komplett versteigert werden. Sind Sie damit zufrieden?
Das ist in der Tat ein sinnvoller Schritt, um den Emissionshandel zu einem funktionierenden und glaubwürdigen Instrument zu machen.
Bisher befürchtet Greenpeace ja, dass in Deutschland 28 neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Hat sich das mit den neuen Regeln erledigt?
Auf jeden Fall werden klimaschädliche Kohlekraftwerke dadurch unwirtschaftlicher und Investitionen in umweltfreundliche Alternativen attraktiver. Was das für die Neubaupläne im einzelnen bedeutet, ist aber derzeit noch nicht absehbar.
Für besonders energieintensive Industrien soll es Ausnahmen geben. Können Sie das nachvollziehen?
Wenn der Emissionshandel wirklich funktionieren und zu einem angemessenen Preis führen soll, müssen alle Sektoren einbezogen werden. Und wenn eine Branche Ausnahmen bekommt, wachsen die Begehrlichkeiten bei anderen.
Bei einigen Industrien ist hoher Energiebedarf doch aber ein Teil des chemischen Prozesses, sodass er nicht beliebig reduziert werden kann. Dass diese aus der EU abwandern, wenn hier Klimakosten anfallen und anderswo nicht, scheint doch realistisch.
Bisher ist es so, dass die Industrie nicht mal die Zahlen rausrückt, was der Emissionshandel für sie wirtschaftlich tatsächlich bedeuten würden. Deshalb wäre es völlig unglaubwürdig, sie auszunehmen. Das würde jeden Anreiz für mehr Effizienz zunichte machen.
Viel Kritik gibt es auch an den Biosprit-Plänen der EU, etwa weil für Energiepflanzen Urwälder gerodet werden. Nun will die EU ein "Nachhaltigkeitskriterium" einführen. Ist das Problem damit gelöst?
Leider nicht. Was die Kommission derzeit vorschlägt, kann nicht gewährleisten, dass Biokraftstoffe nachhaltig produziert werden. Solange das Kriterium nur für Kraftstoffe gilt, wird das Problem nur verlagert. Zehn Prozent Biokraftstoff sind unrealistisch.
Aber es waren doch die Umweltverbände, die immer für die Nutzung von Biomasse plädiert haben. Haben Sie die Probleme selbst unterschätzt?
Wir machen uns immer noch für die Biomasse stark. Aber sie muss nachhaltig produziert werden, und sie sollte dort eingesetzt werden, wo sie den größten Nutzen bringt. Und das ist vor allem im Strom- und Wärmebereich, nicht in Auto-Treibstoffen.
Was wird vom Energiepaket übrig bleiben, wenn es durch Parlament und Rat gelaufen ist?
Wir setzen darauf, dass die EU es sich nicht leisten kann, hinter das zurückzugehen, was sie jetzt vorgelegt hat. Im Gegenteil: Es muss Druck geben, damit das 30-Prozent-Ziel umgesetzt wird.
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