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Internetmedien als Nachrichten-TaktgeberToter Briefkasten im Netz

Die Veröffentlichung des Irak-Videos beim Enthüllungsportal Wikileaks zeigt: Digitale Alternativmedien sind ihrer etablierten Konkurrenz zunehmend gewachsen.

Was die internationale Nachrichtenagentur Reuters nicht vermochte, schaffte die Webseite Wikileaks: ein Video zu veröffentlichen, das den Tod von Zivilisten aufklärt. Bild: dpa

Was die internationale Nachrichtenagentur Reuters nicht vermochte, schaffte die Webseite Wikileaks: ein Video zu veröffentlichen, das zeigt, wie der Bordschütze eines US-Kampfhubschraubers in Bagdad eine Gruppe Zivilisten mit seiner 30-mm-Kanone niedermäht. Grundlos, das belegt der mitgeschnittene Funkverkehr.

An jenem 12. Juli 2007 starben auch zwei Reuters-Mitarbeiter, der Fotograf Namir Noor Eldeen und sein Assistent Said Chmagh, sie wollten in der irakischen Hauptstadt fotografieren. Seit ihrem Tod hat Reuters herauszubekommen versucht, was mit den beiden passiert ist. Das Militär mauerte, schickte nach eigenen Angaben Material - nur das Video war nicht dabei. Das blutige Rätsel löste nun Wikileaks - eine Internetseite, auf der prinzipiell jeder Dokumente veröffentlichen lassen kann, wenn das Wikileaks-Team sie für relevant genug hält. Dieser Fall macht deutlich: Digitale Alternativmedien können mit der etablierten Konkurrenz mithalten.

Bisher gilt für die Mehrheit der mit klassischen Medien aufgewachsenen LeserInnen und MacherInnen das Diktum: Das Internet liefert Meinung, das Papier die Fakten. Nach dieser Weltsicht vermögen digitale Publizisten nur das zu diskutieren, was Zeitungen und Rundfunk ausgraben. Spätestens der neueste Wikileaks-Coup zeigt, wie unhaltbar diese Ansicht ist.

Alternative Internetmedien - also nicht die Online-Ableger klassischer Medien wie Spiegel Online oder taz.de - sind längst ein wichtiger Taktgeber des Nachrichtenbetriebs. Schon länger gibt es unter den Alternativen wiederum meist spezialisierte Leitmedien, die auf ihren Gebieten mitbestimmen, wo es langgeht.

Wer in Deutschland über Rechtsextremismus berichtet, sollte auf NPD-Blog.info schauen. Wer über Datenschutz schreibt, der liest Netzpolitik.org. Für das Publikum von Zeitung und Rundfunk ist diese Relevanz leider nicht immer zu erkennen. RedakteurInnen geben andere Medien ungern als Quelle an, weil sie nicht als AbschreiberInnen gelten wollen. Das verschleiert die Wichtigkeit der digitalen Alternativen, weil so gut wie jeder trotz dieser Leugnungen weiß, dass der Spiegel existiert. Bei vielen Internetportalen ist das noch nicht der Fall.

Internationale Scoops wie die Veröffentlichung des Irak-Videos landen die digitalen Alternativen allerdings noch immer selten. Und wenn, dann war es oft Wikileaks: Die Seite hat beispielsweise im Juli 2009 ein internes Dokument der isländischen Kaupthing-Bank veröffentlicht, das zeigte, wie das Institut mitten in der Finanzkrise von seinen Eigentümern geplündert wurde. Im Dezember 2007 publizierte Wikileaks eine interne Richtlinie der US-Armee, laut der Guantánamo-Gefangene vor dem Roten Kreuz versteckt wurden.

Wikileaks betreibt einen großen Aufwand, damit InformantInnen ohne Gefahr für Job oder Leben dort brisante Daten veröffentlichen können. Die Wikileaks-Server stehen in mehr als zwölf Ländern, bekannt ist nur die Einstiegsadresse. Eine Software tarnt alle dorthin versendeten Dokumente mit Verschlüsselungen, die nach Aussage der zumeist anonym bleibenden Macher auch geheimdienstlichen Knackversuchen standhält. Es soll nicht zu unterscheiden sein, welche der vielen eingehenden Daten Brisantes enthalten und welche Müll. Wer einen Absender enttarnen wolle, müsste also eine riesige Menge an Bytes entschlüsseln, um überhaupt etwas zu finden, sagt der in Island lebende Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange. Er ist der Einzige aus dem Team, der seine Identität preisgibt.

Doch all die Mühe und der Erfolg von Wikileaks können über eines nicht hinwegtäuschen: Die Durchschlagskraft der digitalen Alternativmedien hat Grenzen. Was von klassischen Medien nicht weitertransportiert wird, nimmt die Mehrheit der Menschen nicht wahr. Beim digitalen toten Briefkasten Wikileaks fristen viele Dokumente ein trauriges Dasein in Ignoranz. Grund: Kaum eine Redaktion gibt Geld dafür aus, solche Mengen an Material zu sichten, die nicht exklusiv sind. Die Offenheit der Daten sorgt paradoxerweise dafür, dass sie verborgen bleiben.

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8 Kommentare

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  • M
    Morgenstern

    @ chmhnk:

     

    Daniel Schmitt ist ein Pseudonym.

     

    @ aka:

     

    Der Autor schreibt, dass viele Kollegen das so sehen, nicht dass er so denkt, denn sonst würde es ja den Text nicht geben.

     

    Was ich zur kritisieren habe: Ich weiß nicht genau, ob wirklich das veröffentlicht wird, was die Wikileaks-Leute für relevant halten. Der einzige Punkt ist, glaube ich, dass die Quellen ihr Thema für relevant halten müssen.

  • O
    Ostzoner

    In Kunduz wurden unschuldige, unbewaffnete Menschen lebendig verbrannt.

    Bis heute gab es keinen einzigen Bericht, abgesehen von den Kriegspropaganda-Meldungen der Bundesregierung, über dieses Kriegsverbrechen der deutschen Besatzer in Afghanistan.

    Bemerkenswert ist, dass die Bundesagentur für Arbeit Kriegsliteratur kostenlos (Verweis auf den "Winterkrieg" 1940) verteilt.

     

    Der Afghanistan-Krieg ist eine ABM der deutschen Rüstungsindustrie.

  • AR
    Andreas R.

    Vielleicht angemessen anzumerken, dass Wikileaks nach eigenen Angaben (*) noch mehrere Videos dieser Art hat und zu veröffentlichen gedenkt. Konkret ist dabei vom Video eines Angriffs im letzten Mai die Rede, bei welchem in Afghanistan 79 Menschen getötet wurden.

     

    (*): Julian Assange im Interview auf MSNBC, zu finden etwa hier youtube.com/watch?v=5d3SHumK2UY ab 0:40 - der Beitrag ist allgemein empfehlenswert

  • M
    Mike

    "Die Medien" sind wie Weißbrot, finde ich. Man weiß, dass es sich um ein Weizenprodukt handelt, aber was damit genau gemeint ist, versteht man auch beim Durchlesen der Inhaltsstoffe nicht. Nahrhaft ist das meiste sowieso nicht. Nach guten Dingen muß man aufmerksam jagen, wie damals (...), also ist auch gar nix peinlich an der Nichtveröffentlichung von irgendetwas durch "Die Medien". Wirtschaftskrisen bedingen schlechte Qualität in diesen Medien, weil statt des Unternehmens die Innenausstattungen der Privatflugzeuge der Inhaber schließlich weiterhin repariert werden müssen, und das ist wichtiger, kostet mehr Geld, weil der Lebensstandard auf diesem Niveau bleiben muß. Das sollte doch nachvollziehbar sein, oder ?

  • A
    aka

    Hä?

    Nur was auf Papier steht stimmt? Und im Internet wird nur gequasselt?

     

    Ah, daher kommt die Tendenz sich das Internet ausdrucken zu lassen?

    Auweia ...

  • O
    Oertzen

    Mit dem letzten Absatz fängt das eigentlich schwierige und interessante Thema erst an.

     

    Das Problem ist, wie dieser Fall gezeigt hat, dass sich all diese Sachen exzellent als "Internetphänomen" deklarieren und so sehr effektiv wegdrängen lassen.

     

    Das vor der Tagesschau versammelte Bürgertum erfährt davon natürlich nichts, und das soll es im neoliberalen Interesse auch gar nicht.

     

    Ich bezweifle also den im Artikel genannten Grund. Nichtexlusivität ist ja normalerweise auch kein Ausschlusskriterium, ganz im Gegenteil. Man denke nur mal an jeden einzelnen Medienhype.

  • C
    chmhnk

    " ... sagt der in Island lebende Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange. Er ist der Einzige aus dem Team, der seine Identität preisgibt."

     

    www.kuechenradio.org: "... Daniel Schmitt aus dem Kernteam von Wikileaks.org berichtet über die stürmische Zeit für das Projekt zwischen Herbst 2009 und heute."

     

    Hier gibt es auch zwei Sendungen mit Dikussionen und Hintergrundinfos zu Wikileaks

  • F
    Floh

    Es ist absolut peinlich für die "klassischen" Medien, dass eine solche Story über Wikileaks an die Öffentlichkeit kommt!!

    Es ist zu bezweifeln, dass der Informant das Video nicht auch großen Medienhäusern zugespielt hat, die sich dann nicht getraut haben, es zu veröffentlichen...

     

    http://netzwertig.com/2010/04/07/wikileaks-die-medien-haben-versagt/