Internet-Start-Ups droht Finanzkrise: Angst vor der "Blase 2.0"
Bislang hatte die Kreditkrise an der Wall Street wenig Auswirkungen auf die Start-Ups vom Silicon Valley. Doch demnächst könnte Schluss sein mit reichlich fließenden Investmentgeldern.
Bankenkrise an der Wall Street, Kreditkatastrophe an den US-Märkten: In der Haut vieler Investmentmanager möchte man derzeit nicht stecken. Im Silicon Valley, der Heimat der Techologie- und Internet-Firmen, nahm man das bislang mit Gelassenheit hin: Die Branche sei bei weitem nicht mehr so stark von den Aktienmärkten abhängig, wurde stets beschwichtigt. Doch das könnte sich nun ändern: Experten wie der renommierte Risikokaptialmanager Jim Breyer fürchten, dass der Internet-Boom der letzten Jahre, von manchem Kritiker auch "Bubble 2.0" (Blase 2.0) genannt, vor dem Ende steht, weil es immer schwieriger wird, Gelder von Investoren einzuwerben. "Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Verlangsamung auf den Technologiesektor werden riesig sein", sagte Breyer gegenüber dem US-Wirtschaftsblatt Fortune. Der Mann muss wissen, wo von er redet: So gehört er zu den anfänglichen Geldgebern der "Social Networking"-Sensation Facebook.
Wenn die Krise tatsächlich kommt, dann trifft sie auf einen florierenden Markt. In den vergangenen zwei Jahren schossen in den USA, Europa und Asien immer mehr junge Internet-Firmen aus dem Boden, die auf Trends wie Online-Video, soziale Netzwerke und andere "Web 2.0"-Themen setzen. Das Risikokaptial, mit dem Venture Capital-Firmen solche Ideen besonders gerne in der Silicon Valley-Region um San Francisco finanzierten, floss reichlich: 2007 wurden in den USA mit knapp 30 Milliarden Dollar Gesamtinvestitionen Werte erreicht, die man zuletzt 2001 - dem Jahr, in dem der letzte große Internet-Boom zu Ende ging - gesehen hatte. Auch andere Indikatoren sprachen für gute Geschäfte: Die Bewertungen von Start-up-Größen wie Facebook schossen in die Höhe (15 Milliarden Dollar dank eines 1,6-Prozent-Investments von Microsoft), Online-Firmen wurden reihenweise aufgekauft (zuletzt wollte Microsoft Yahoo für 44,6 Milliarden Dollar übernehmen) und die Google-Aktie, Hauptindikator des neuen Online-Booms, schoss im November über die 700 Dollar-Marke hinaus.
All das scheint sich nun schneller abzukühlen, als viele Beobachter gedacht hatten. Die Google-Aktie hat seit ihrem Höchststand 41 Prozent an Wert verloren und bekommt eine enorme Nervosität im Markt zu spüren. Ein Bericht des Marktforschungsinstituts ComScore, der von zurückgehenden Anzeigenklicks um die Weihnachtszeit sprach, schickte das Papier neuerlich auf Talfahrt - Google widersprach diesen Darstellungen, veröffentlichte anderslautende eigene Zahlen, konnte aber Aktienverkäufe in größerem Umfang nicht verhindern.
Sogar Branchenstreber Apple droht zu schwächeln: Der Computer- und Unterhaltungselektronikhersteller Apple, der mit der Produktion von iPod-MP3-Spielern und iPhone-Handys in den letzten Monaten kaum hinterkam und dessen Aktien einen Höhenflug erlebten, soll laut Prognosen in diesem Jahr erstmals weniger Musikspieler mit Online-Anbindung verkaufen als im Jahr zuvor. Beim Netzwerkkonzern Cisco, dem größten Hersteller von Internet-Infrastruktur-Technik, warnt man wiederum vor den ökonomischen Unwägbarkeiten der kommenden Quartale. Und der Chip-Konzern Intel fürchtet ebenfalls eine "Weichheit" auf dem weltweiten Markt.
Bislang hatten Start-ups und Risikokapitalgeber immer gedacht, die Kreditkrise an der Wall Street könnte ihnen nichts anhaben. Schließlich habe man vom letzten Niedergang ("New Economy") gelernt, so die landläufige Meinung - Internet-Börsengänge gab es nur in geringer Zahl. Stattdessen verlegten sich die Neugründungen anfangs darauf, mit möglichst schlanken Infrastrukturen zu arbeiten. Das ist allerdings vorbei: Der Boom der letzten Jahre hat dafür gesorgt, dass Gehälter wieder stark stiegen und Experten gesucht waren - nicht anders als beim ersten Internet-Boom.
An die Stelle des Börsengangs trat der Aufkauf durch große Web-Firmen - ganz vorne dabei waren Microsoft, Yahoo und insbesondere Google. Aber auch Private Equity-Unternehmen mischten im Online-Geschäft verstärkt mit, die privates Kapital so gewinnbringend wie möglich anzulegen versuchen. Vieles davon war kreditfinanziert und fällt in der aktuellen Krise nun weg. Selbst Private Equity-Riesen wie die Carlyle-Gruppe bekommen weniger oder gar kein Geld mehr. Bei den großen Technologiefirmen könnte die große Aufkaufmaschinerie hingegen aufgrund der sich abzeichnenden Rezession und einem damit verbundenen potenziellen Rückgang im Online-Werbegeschäft ins Stottern geraten. Zuletzt kaufte sich AOL für über 800 Millionen Dollar das soziale Netzwerk Bebo, das im Vergleich zu Riesen wie MySpace oder Facebook nur in der zweiten Liga spielt. Schon darüber schüttelten Experten die Köpfe, an eine Refinanzierung kaum zu denken.
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