Internes Memorandum der EU: Scharfe Kritik an Israels Politik
Ein internes Memorandum der Vertretung der Europäischen Union (EU) in Jerusalem prangert Israels Vertreibungspolitik an.
BRÜSSEL taz | Dreißig Prozent von Ostjerusalem sind seit der israelischen Besetzung 1967 de facto enteignet worden. Die Brisanz dieser Aussage liegt weniger in ihrem Inhalt als darin, aus welcher Quelle sie stammt. Das Delegationsbüro der EU-Kommission für Gaza und das Westjordanland hat in einem knapp 20-seitigen internen Bericht die Menschenrechtsverletzungen, bürokratischen Schikanen, Hauszerstörungen und Umsiedlungen palästinensischer Bewohner durch israelische Besatzer in Ostjerusalem systematisch aufgelistet. Eine zentrale Forderung der Delegationsleiter in Jerusalem und Ramallah an die europäischen Institutionen lautet: Veröffentlichen Sie diesen Bericht.
Als sich das EU-Parlament am Dienstagnachmittag mit der Situation in Ostjerusalem befasste, hatten viele Abgeordnete das Papier, das der taz vorliegt, bereits gelesen. Die grüne Abgeordnete Franziska Brantner wollte wissen, was mit den darin enthaltenen Empfehlungen nun geschehe. Eine immerhin ist erfüllt. Die Außenminister haben ihre Sorge über die Lage in Ostjerusalem zum Ausdruck gebracht - wenn auch die Forderung, Ostjerusalem müsse Hauptstadt eines künftigen palästinensischen Staates werden, auf Drängen Deutschlands und anderer Mitgliedsländer gestrichen wurde.
Doch der Bericht geht noch weiter: Die EU-Diplomaten wollen das Recht der Palästinenser auf Ostjerusalem mit diplomatischen Mitteln deutlich machen. In Ostjerusalem sollen eine PLO-Vertretung eingerichtet und nationale oder europäische Feiertage zelebriert werden. Von den Behörden schikanierte Bewohner sollen von der EU Rechtshilfe erhalten. In den Siedlungen erzeugte Waren sollen bei der Einfuhr in die EU keine Zollvergünstigungen mehr erhalten.
Bei den Abgeordneten machte der Bericht quer durch die Parteien starken Eindruck. Er schildert, wie palästinensischen Bewohnern systematisch Baugenehmigungen verweigert und die dann illegal gebauten Häuser wieder abgerissen werden. Die willkürliche Sperrung von Kontrollpunkten, die Zerstörung von Nachbarschaften durch israelische Transitstraßen, Verweigerung von Arbeitsgenehmigungen für palästinensische Mediziner und Lehrer in Ostjerusalem, mangelnde Präsenz von Polizei und Müllabfuhr machen das Leben in der Stadt für Palästinenser zunehmend unmöglich. Der Sozialist Proinsias De Rossa, der vergangene Woche eine Parlamentarierdelegation geleitet hatte, der von den israelischen Behörden der Zugang nach Gaza verweigert worden war, sagte: "Ich habe die Apartheidpolitik letzte Woche mit eigenen Augen gesehen. Die Häuser werden zerstört, das Wasser wird abgestellt. Sanktionen könnten ein Hebel sein."
Der liberale Abgeordnete Chris Davies bezeichnete Israels Vorgehen in Ostjerusalem als "ethnische Säuberung". Weiter sagte er: "Palästinensische Häuser werden gestohlen, die Menschen werden vertrieben - und was tun wir dagegen? Wir sollten damit drohen, das Assoziationsabkommen auszusetzen."
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