piwik no script img

Internationales BerlinSo schön weltläufig

Berlin wird vielstimmiger: Verstärkt ziehen Menschen aus Ländern wie Spanien und den USA in die Stadt. Sie bringen Ideen ein – und verändern den Blick auf alle Einwanderer.

Berlin ist so bunt - zum Beispiel beim "Colour Run" Anfang Oktober. Bild: dpa

Der junge Mann an der Kreuzberger Straßenecke streckt den Passanten fröhlich einen Flyer entgegen, für eine Party – und quatscht sie selbstverständlich auf Englisch an. In der Schlange vor dem Eisladen in Prenzlauer Berg unterhalten sich mehrere Leute lautstark auf Spanisch, dahinter steht eine Gruppe Italiener. Und in der Kneipe in Mitte kann man sein Weizen gar nicht mehr auf Deutsch bestellen: Die Barfrau versteht nur Englisch und findet das absolut normal.

Tatsächlich gibt es eine neue Normalität in Berlin. Die Stadt ist vielstimmiger geworden. Junge, oft akademisch gebildete Menschen ziehen vermehrt hierher. Nicht nur aus krisengeschüttelten Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland: Langsam, aber stetig steigen seit Jahren auch die Zahlen der Zuzügler aus Großbritannien und Frankreich. Sie alle verändern das Gesicht der Stadt. Endlich fühlt sich Berlin hier und da tatsächlich weltläufig an.

Das wird vielerorts ganz konkret: Eine spanischsprachige Buchhandlung eröffnet. Eine amerikanische Sportart wird plötzlich auch hierzulande praktiziert. Und französische Hautcouture stammt manchmal von der Spree, um nur drei Beispiele zu nennen.

Auch für länger ansässige EinwanderInnen liegt in der neuen Zuwanderung eine Chance. Wurden bestimmte Migrantengruppen bisher von der einheimisch-deutschen Bevölkerung eher als Problem wahrgenommen, „an den sozialen Rändern der Stadt zuhause“, wie die Ethnologin Regina Römhild es beschreibt, ergeben sich jetzt neue Solidarisierungen: Nordneuköllner arabischer und türkischer Herkunft staunen gemeinsam mit ihren deutschstämmigen Nachbarn über die Zuzügler in ihrem Viertel. Im Vergleich zu den Spaniern gehören sie nun zu den Alteingessenen. An Kreuzberger und Neuköllner Schulen, wo SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft meist vor allem als defizitär betrachtet wurden, nehmen die neuen Eltern spanischer, griechischer, US-amerikanischer Herkunft die Eltern dieser „Problemkinder“ einfach mit – etwa bei der für sie selbstverständlichen Forderung, Mehrsprachigkeit positiv zu bewerten. Und bringen so Bewegung in eingerostete Strukturen der Segregation.

In Gastronomie- und Tourismusgewerbe sind EinwanderInnen der 2. und 3. Generation längst überdurchschnittlich präsent. Diesen jungen Gastarbeiterkindern bietet die Szene der Neuzuwanderer endlich genau die lässige Internationalität, die viele lange vermisst haben. Und nicht nur ihnen.

Mehr zum Thema "Internationales Berlin" finden Sie im Berlin-Teil von taz. AmWochenende - im Abo oder an Ihrem Kiosk.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • S
    Super

    "Die Barfrau versteht nur Englisch und findet das absolut normal.

    Junge, oft akademisch gebildete Menschen ziehen vermehrt hierher."

     

    Tja, ohne Deutschkentnisse wird der Barfrau ihre akademische Bildung nicht viel weiter helfen als hinter den Tresen einer Tourikneipe.

    • H
      Hans
      @Super:

      Mit Verlaub, Sie scheinen keine große Ahnung vom akademischen Apparat oder internationalen Firmen zu haben. Es ist natürlich möglich, in Berlin und anderswo zu studieren, ohne deutsch sprechen zu müssen, auch als Nicht-Erasmus-StudentIn. Und viele Unternehmen (besonders im Bereich Naturwissenschaften) haben kein Problem damit, englischsprachige Menschen ohne deutschkenntnisse einzustellen und denen einen Sprachkurs zu finanzieren, wenn diese Menschen die entsprechenden Qualifikationen besitzen.

       

      Ich finde die Selbstverständlichkeit solcher Situationen auch neuartig. Ich habe selbst erleben müssen, dass ich in einem Cafe in F-hain bestellen wollte und nur ein "What?" vom Kellner bekam. Aber die Besitzer solcher Cafes werden sich solche Experimente schon überlegt haben.

  • FH
    Florian Hinterhuber

    Ein netter Kommentar.Bei aller Freude über Zuzug von außerhalb - eine kritische/selbstkritische Bemerkung habe ich dann doch vermisst:Wenn man in der deutschen Hauptstadt ein in aller Welt als "urdeutsch" wahrgenommenes Produkt wie ein Weizenbier bei einer Kellnerin bestellen muss,die viele Kunden vermutlich gar nicht verstehen und vice versa,ist das schon etwas eigenartig.Und wie steht es um die berühmten Parallelgesellschaften?Existieren die nur,wenn es sich dabei um Sprachen wie Türkisch,Kurdisch usw. handelt,nicht aber bei Spanisch oder Italienisch,das garantiert auch nicht allzu viele Berliner fließend sprechen...Da scheint dann wieder einmal mit zweierlei Maß gemessen zu werden.