Internationale Bauausstellung: Städte kämpfen um ihr Dasein
Sachsen-Anhalt hat seit 1989 17 Prozent seiner Bevölkerung verloren. Mit Konzepten zu Bildung, Geschichte und Tourismus versuchen seine Kommunen, die Lebensqualität zu sichern.
Auf dem großformatigen Foto links schauen Kinder auf einem Spielplatz in die Kamera, hinter ihnen gähnt schon der Leerstand im Plattenbau. Auf dem Bild rechts ist Landschaft pur: nur Wiese, Bäume, Himmel. Lediglich der Baum in der Mitte verrät, dass es sich um ein und denselben Ort handelt – aufgenommen in einem Zeitabstand von wenigen Jahren.
Beide Fotografien sind Teil der zentralen Ausstellung zur "IBA (Internationale Bauausstellung) Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010", die seit April im Bauhaus Dessau zu sehen ist. Nachdrücklich visualisieren sie die Fragen, die diese Internationale Bauausstellung stellt.
Wie können Städte auf massive Schrumpfungsprozesse reagieren? Wenn die einstige wirtschaftliche Basis durch Deindustrialisierung plötzlich wegbricht und Menschen massenhaft abwandern auf der Suche nach Arbeit, vor allem die Jungen und Qualifizierten? Wenn die verbliebene Bewohnerschaft überdurchschnittlich altert, weil der Nachwuchs fehlt? Und wenn der Leerstand wächst?
"Weniger ist Zukunft. 19 Städte - 19 Themen". Zentrale Ausstellung im Bauhaus Dessau, bis 16. Oktober, täglich 10 bis 18 Uhr.
Weitere Präsentationen in den 19 beteiligten Städten. Informationen unter www.iba-stadtumbau.de
Katalog: "Weniger ist Zukunft. 19 Städte - 19 Themen", 876 Seiten, Jovis Verlag, im Buchhandel 39,80 Euro, in der Ausstellung 25 Euro.
Schrumpfen ohne Ende
Sachsen-Anhalt hat seit 1989 17 Prozent seiner Bevölkerung verloren, manche Städte sogar ein Viertel ihrer Einwohner – und das Ende der Schrumpfung ist längst nicht erreicht. Das stellt die Kommunen vor existentielle Probleme, die weit über bloßen Abriss hinausgehen: Steuereinnahmen brechen weg, Schul- und Verkehrssysteme dünnen aus, das Flächenmanagement birgt eigentumsrechtliche Hürden, überflüssig gewordene Infrastruktur reißt weitere Löcher in die ohnehin leeren Kassen.
Die zu groß gewordenen Städte müssen völlig neue Wege suchen, wenn sie künftig überleben wollen. Denn der bislang auf Wachstum konditionierten Gesellschaft fehlt es an Erfahrung mit Schrumpfungsprozessen in solchem Ausmaß – auch auf westdeutsche Kommunen kommt der demografische Wandel zu.
2002 initiierte deshalb das Land Sachsen-Anhalt die IBA, um mit "modellhaften Projekten" einen Beitrag zur internationalen Stadtforschung zu leisten. Anders als frühere Bauausstellungen präsentiert sie keine Leuchtturmprojekte, Stararchitekten und spektakuläre Events, sondern versteht sich als kleinteilige, praxisnahe "IBA von unten": Seit 2002 entwickelten 19 Städte jeweils ihr eigenes Thema, um lokale Profile und Problemlagen herauszuarbeiten.
Dabei wird deutlich, dass Stadtumbau weit mehr ist als Abriss oder Stadtplanung: Bernburg etwa thematisiert Bildung, Wanzleben Familie und Gemeinwesen, Bitterfeld-Wolfen seine Stadtfusion. Entsprechend groß ist die Bandbreite der Projekte, die seit April offiziell sowohl in der zentralen Ausstellung als auch in den einzelnen Städten präsentiert werden: vom originär-mutigen Ansatz über Konventionelles und Zaghaftes bis hin zum Scheitern.
Abrisse waren unumgänglich
"k3 – kleiner, klüger, kooperativ" beispielsweise lautete der vielversprechende Slogan Eislebens. Der "Lutherstadt" und einstigen Bergarbeiterstadt im Mansfeldischen verblieben nach der Schließung der letzten Schächte und Hütten noch der Stolz auf die mit dem Reformator verbundene Historie sowie eine weiter verfallende Altstadt mit zunehmendem Leerstand. Lebten 1990 noch 31.000 Bewohner in Eisleben, werden es 2020 voraussichtlich nur noch 18.000 sein. Abrisse waren unumgänglich.
Die Frage war, wie man im historischen Zentrum eine behutsame Entdichtung mit den Belangen des Denkmalschutzes und Eigentümerinteressen in Einklang bringen kann. Ein informelles Gremium wurde gegründet: im "Gemeinschaftswerk LUTHERSTADTumbau" kooperierten viele Akteure. Teil der Stadtumbaustrategie waren kontrollierte, kleinteilige Abrisse in der Innenstadt, um Leerstand und Verfall zu bekämpfen und gleichzeitig neue Lebensqualität zu schaffen – ein Konzept, das mühsame Aushandlungsprozesse zwischen allen Beteiligten erfordert.
Zugleich war die Frage, wie die durch Abriss entstehenden Stadtbrachen neu genutzt werden können. So entstand die Idee der "Roten Türen": Sie markieren umfriedete Freiflächen und laden zu neuen Nutzungsideen und bürgerschaftlichem Engagement ein. Das kann ein Biergarten sein – wie bereits geschehen, aber auch ein Minipark, eine Sportfläche, ein Schulgarten.
Bislang gibt es drei solcher Türen. Doch dieser experimentelle Ansatz ist inzwischen nahezu völlig in den Hintergrund gedrängt: Denn immer stärker konzentrierte sich die Stadt auf eine touristische Profilierung mit der Gestaltung des neuen "Lutherwegs Eisleben": ein Erlebnispfad mit 12 Stationen, von authentischen Stätten über Neubauergänzungen bis zu künstlerisch inszenierten Orten wie dem "Flüstergarten".
So gelungen das im Einzelnen sein mag, ist es doch fraglich, welche innovativen Antworten konventionelles Tourismus-Stadtmarketing auf den demografischen Wandel bieten soll. Auch ein noch so florierendes Luther-Pilgertum wird kaum etwas an den eigentlichen Problemen der Stadt und ihrer Bewohner ändern.
IBA suchte nach innovativen Ideen
Auch das Beispiel Stendal erzählt exemplarisch einiges über die Schwierigkeiten solcher Prozesse. Die Hansestadt ist das städtische Zentrum in der ländlichen Altmark, der am dünnsten besiedelten Region des Landes, in der es inzwischen um die Sicherung existentieller Daseinsfürsorge geht: Bildung, Verkehr, Gesundheit, Pflege. Deshalb war Stendal zu IBA-Beginn ursprünglich mit der Idee der Vernetzung im ländlichen Raum angetreten, um zusammen mit den beiden Landkreisen eine effektivere Verkehrs- und Schulstruktur für die gesamte Region zu entwickeln.
Doch der Versuch, angesichts sinkender Kinderzahlen Schulstandorte zu koordinieren, scheiterte nach Jahren letztlich an politischen Hemmnissen: Zu groß war die Scheu der Landräte, den Gemeinden neue Schulschließungen anzukündigen (die ohnehin kommen werden), und vor zeitgemäßeren, flexiblen Schulformen steht immer noch der behäbige Dinosaurier namens Kultusministerkonferenz.
Also entwickelte Stendal in seiner regionalen Verantwortung als Zentrum schließlich selbst Konzepte der Daseinsvorsorge, unter anderem einer "lokalen Bildungslandschaft": Die Stadt verfügt über eine Bildungslandschaft von der Kita bis zur Hochschule, deren Potenzial bislang nicht ausgeschöpft wurde.
Bildung als Rettung für Stendal
Einer Bildungskonferenz im letzten Jahr folgen nun viele Aktivitäten: Vernetzung und Kooperation der Einrichtungen, gemeinsame Profilabstimmung, ein koordinierendes Bildungsbüro, ein Internetbildungsportal als Orientierungshilfe für Familien, Öffnung der Schulen als "Dienstleister" von der Kinderbetreuung bis zur Erwachsenenbildung.
Einrichtungen wie der "Färberhof", in dem Senioren Kinder betreuen, sollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Zudem stimmt sich Stendal nun mit den Städten Tangermünde und Arneburg in Sachen Stadt- und Profilentwicklung ab: an die Stelle städtischer Konkurrenz um Bewohner tritt das Solidarprinzip.
Diese Politik der kleinen Schritte zeigt, wie unspektakulär, aber eben alltagsnah die IBA teilweise daherkommt. Auch das Thema Trink- und Abwasserversorgung ist ja wenig erotisch, aber die Vorarbeit und das Know-how Stendals zu diesem Thema könnten für viele schrumpfende Regionen ökonomisch enorm hilfreich sein.
Die Palette der Präsentationen ist groß, vom sympathischen "Wir sind Familie"-Projekt im winzigen Wanzleben bis zum zweifelhaften Versuch, mit Kunst eine unwirtliche Schnellstraße zur "drive thru gallery" aufzumotzen, von harter Wohnungswirtschaft bis zu Sozial- und Kulturarbeit, vom pragmatischen kommunalen Alltag über Bürgerengagement bis zu eher lebensfernen Spielereien.
Radikale Ansätze fehlen
So offenbart die Vielfalt der Projekte vor allem die ungeheure Komplexität des Themas - wenn auch nicht immer die enorme Tragweite des Problems. Radikalere Ansätze fehlen weitgehend, weshalb die IBA teilweise als "verpasste Chance" kritisiert wird. Doch sie zeigt vor allem einen schwierige Gratwanderung: Radikal sind in erster Linie die Transformationsprozesse, mit denen die Kommunen konfrontiert sind - die darin aber dennoch ihren profanen Alltag bewältigen müssen.
Wie schwierig es ist, größere Schritte praktisch durchzusetzen, zeigen schon die Gemeindefusionen mit langwieriger Überzeugungsarbeit. Insofern verdeutlicht diese IBA auch, an welche Grenzen die Kommunen stoßen: an finanzielle, politische, administrative, kommunikative und nicht zuletzt an die eigenen.
Wer radikalere Ansätze sucht, wird sie in der Bauhaus-Ausstellung und im IBA-Katalog finden, ein Kompendium, das auf fast 900 Seiten Analyse, Hintergründe und vielstimmige Debatte bietet. Eine Debatte, die sich in den nächsten Monaten fortsetzen wird.
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