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Interkulturelles MusikstückEin Protestsong in Form einer Kantate

„Walls are tumbling down“ ist ein jüdisch-muslimisch-atheistisches Gemeinschaftswerk. In Dresden fand die öffentliche Generalprobe statt.

Werkstattatmosphäre im nicht zu seinem Vorteil als Szeneviertel bezeichneten Stadtbezirk Dresden-Neustadt: Ein schmuckloser schwarzer, zur Bühne hin abfallender Raum, ein Marimbaphon, ein Vibraphon, ein ausladendes Schlagzeug mit einer Reihe Timpani, Notenständer, Monitore; das Ganze mehr Klanglabor als Konzertsaal: Für den Montagabend hatten die ausgebildete Komponistin Eunice Martins und der sich im Gespräch als Amateur ausgebende Künstler und taz-Autor Ibrahim Quraishi zur öffentlichen Generalprobe ihres Gemeinschaftswerks „Walls are tumbling down“ in das Staatsschauspiel Dresden eingeladen.

Dessen oberes Stockwerk war gut gefüllt, das Publikum hörte zuerst Bandaufnahmen des Schofar, eines liturgischen Blasinstruments aus der jüdischen Religionstradition. Im Konzert spielten dann Avery Gosfield, Shimon Friedberg und David Limburger die Hallposaune, wie der Schofar treffend auch genannt wird.

Der Schofar hat eine jahrtausendealte, mythische Geschichte, sie führt zurück bis zu der im letzten Moment abgesagten Opferung Isaaks durch Abraham und dem Einsturz der Mauern Jerichos durch die Posaunen der Priester. Das Theatergebäude, so viel kann an dieser Stelle bereits verraten werden, hat die Aufführung von Martins’ und Quraishis siebenteiliger Kantate überlebt, obwohl sie die eine oder andere Vibration im Gebälk ausgelöst haben dürfte.

Geleitet von der Dirigentin Sara Isabel Grajales Tamayo, geriet „Walls are tumbling down“ zu einer oft überraschenden Mixtur aus minimalistischen, ruhigen Blöcken und zumeist perkussiven, dynamischeren Passagen.

Auf der Bühne kommen Menschen verschiedener Kulturen zusammen Foto: Ibrahim Quraishi

Marschmusikalische Elemente

Die Streicher, namentlich die Cellistinnen Danielle Akta und Katrin Meingast, wussten, wie man Schönklang aus dem Weg geht, ohne dabei geräusch- und rauschhaft aufzutrumpfen; den Perkussionisten Eduardo Mota, Georg Wieland Wagner und Samuel Dietze gelang es, scharf und kantig zu spielen, ohne das zum Selbstzweck werden zu lassen. Das perkussive, gelegentlich marschmusikalische Element erklären Martins und Quraishi mit ihrem Wunsch, so etwas wie einen epischen Protestsong zu schreiben.

Tatsächlich sprachen die Schauspieler Komi ­Togbonou und Khalid Abubakar einen Text, der seinen Ernst der momentanen, allerdings auch nicht über Nacht entstandenen Situation zu verdanken haben dürfte. Das Libretto ist das Werk einer kollektiven Intelligenz. Quraishi, Togbonou und Martins haben eigene und andere Stimmen kompiliert: Zitate des Dichters Adonis oder des Philosophen Giorgio Agamben, der Dramatikerin Elfriede Jelinek oder aus der oralen Überlieferung der Hopi-Indianer, mit denen Togbonou seinen Auftritt eröffnete: „Diesen Moment, den die Menschheit gerade erlebt, kann man als eine Tür oder als ein Loch betrachten. Die Entscheidung, ob man in das Loch fällt oder durch die Tür geht, liegt bei einem selbst.“

Den ersten Satz wird niemand bestreiten, der zweite deutet allerdings einen Pfad ins Esoterische an, der in der Folge noch ausgebaut werden sollte. Überzeugender waren die Momente, in denen der Text sich auf den Weg in die konkreten Niederungen der spätkapitalistischen Dystopie machte.

Skepsis und Zweifel

Das letzte Drittel artikulierte Skepsis und Zweifel. Mehr davon wären angebracht, schließlich sind es Gewissheiten, die zu Grausamkeiten führen können. Die Schriftstellerin Christa Wolf und der Dramatiker Heiner Müller, zwei von Quraishi verehrte DDR-Bürger, wussten davon.

Das heißt nicht, dass jegliche Utopie verbannt gehört, im Gegenteil. Für den Zukunftsgesang sorgten die Sopranistin Dorothea Wagner, der Bariton Leon Gauning, der Synagogalchor der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und der Jugendkammerchor der Singakademie Dresden unter der Leitung von Michael Käppler.

„Walls are tumbling down“ lebt vom Zusammenspiel zweier Ansätze: Der eine ist der von Ibrahim Quraishi vertretene insistierende, der bei dem bekennenden Fan der Einstürzenden Neubauten übrigens nicht unfreundlich daherkommt; der andere ist Eunice Martins’ Fokus auf das Gemeinschaftliche.

Die Hauspianistin des Berliner Kinos Arsenal weist im Gespräch darauf hin, dass „Walls are tumbling down“ ein work in progress ist, dessen Gestalt sich analog zu den jeweiligen Auftrittsorten und Mitwirkenden gestaltet. Deren Namen deuten es an: Bei Martins und Quraishi stehen Menschen auf der Bühne, die den Querschnitt einer lokalen Straßenbahnfahrt abbilden könnten.

Am Morgen nach dem Konzert empfahl sich ein Spaziergang langsam aus der Neustadt heraus. Linker Hand in Richtung Bahnhof wies ein Baustellenschild auf drei über die Jahre ramponierte Stadtvillen hin, die jetzt mit Geld aus München aufgewertet werden sollen. Was auf einer der versiegelten Fassaden fehlt, ist ein Graffito aus der Glücksritterzeit nach 1989: „Das Kapital ist schlauer / Geld ist die Mauer.“ Dass der Zweizeiler simpel ist, ändert nichts an seiner Richtigkeit.

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