■ Normalzeit: Intellektuelle im Leerlauf
In das Deutsche Historische Museum gehe ich prinzipiell nicht, weil sich den dortigen West-Leitungskadern alles, was sie anpacken, in Scheiße verwandelt. Bei der Boheme-Ausstellung habe ich mir dennoch die erste Box rechts angeschaut – „Havemann-Kommune“ betitelt. Eigentlich hieß die Ostberliner Gruppe „K1“, da sie aber nicht mit der gleichnamigen Westberliner Kommune verwechselt werden wollte, nannte sie sich bald „BHG“ – und begriff sich außerdem als eine „WG“ (Wohngemeinschaft). BHG stand für Erika Bertold, die Frau von Klaus Labsch, sowie für Frank Havemann, Sohn des alten Havemann, und Gerd Großer, Sohn der kürzlich verstorbenen Verlegerin Lucie Großer.
In der Ausstellung hängen einige Wandzeitungsausschnitte, Geschirrabwaschpläne und das WG-Verbot für Biermann und Havemann senior. Dieser war ihnen zu penetrant autoritär und jener zu eitel geworden. An einer Stelle der Box steht der Hinweis, daß aus ausstellungstechnischen Gründen dieser Teil an der rohen Stellwand (aus frühdeutschen Kartoffelkeller-Brettern) leer bleiben muß. Dort hingen anfänglich die Protokolle der Debatten über die Namensumbenennung von Frank Havemann. Bei dem Anspruch, ihren gereinigten Marxismus-Leninismus – als Lebensform – über die Jugendorganisationen bis in die Parteispitze zu treiben, schien ihnen der Name Havemann ein allzu großes Hindernis darzustellen, deswegen drängten sie ihn, zu heiraten und den Namen seiner Frau anzunehmen.
Frank Havemann hielt dagegen, daß man gerade mit diesem verfemten Namen losmarschieren müsse und das ja auch bereits täte. Die Debatte ging damals sehr ins Persönliche, deswegen setzte er jetzt bei den Museumsleuten durch, wenigstens diese Protokolle wieder abzuhängen. Und so wirkt der Boheme-Box- Titel „Havemann-Kommune“ nun nur noch hämisch. Inzwischen sind auch ganz andere Namen – anders – in Verschiß geraten: Anderson z.B. Der war dann auch nicht bei der Diskussion über die „Boheme“ dabei, die von einigen Berühmtheiten aus dem Prenzlauer Berg Mitte Dezember im Torpedokäfer geführt wurde, obwohl die meisten Teilnehmer (Klaus Schlesinger, Peter Brasch, Adolf Endler, Stephan Döring) sie ausdrücklich nicht führen wollten.
Ein paar lasen statt dessen kurze Gedichte vor. Ihr daraufhin einsetzendes Stammeln erboste viele Gäste, obwohl sie den einzelnen „Bohäms“ gewogen blieben. Schappi, Peter Wawerzinek, erweiterte flugs seine Moderation über die anderen Tische. Die spontanen „Statements“ von dort waren jedoch auch nicht geeignet, die Scheiße unterhaltungsmäßig derart aus dem Dreck zu ziehen, daß wenigstens der Torpedokäfer-Korrespondent der FAZ hernach noch was draus hätte machen können. Klaus Wolframs Bemerkung über die versammelten Dichter, die Bedingungen ihrer Boheme- Werdung betreffend, verdient es dennoch, erinnert zu werden: „Es war eine politische Bewegung, aus der ihr als Schreiber hervorgegangen seid!“
Von da aus hätte man den Bogen noch weiter schlagen können: Im Westen, in Frankreich, ebenso wie im Osten, in Rußland, ist die „Intelligenzija“ (im Gegensatz zu den Berufsintellektuellen) entweder tot (Foucault, Deleuze/Sacharow, Kopelew), nach Amerika abgewandert oder trotzig daheimgeblieben – und verwirrt. Grad hat Daniel Graniin dies im Freitag beklagt.
In Rußland klagen inzwischen sogar die eingefleischten alten Verbrecher: Sie müssen, aber wollen nicht aus ihren Arbeitslagern raus: „Draußen ist alles voller Mafia, und selbst gegen die gut durchtrainierte ,Jugend‘ haben wir keine Chance mehr!“ (Es gibt inzwischen bereits einen Film über das ganze Elend dieser Gulag-Auflösung („Pelym“ – von Klamt und Rydzewski), er wird auf der Berlinale laufen, thematisiert jedoch nicht die Intelligenzija-Atomisierung.
Auch diese wird von einer neuen Mafia im Verein mit bodygebuildeten Jugendlichen in die Zange genommen. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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