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Integrations-KrimiBrandopfer "Tatort"

Aus Gründen der Pietät ist eine "Tatort"-Folge verschoben worden. Geht es nach der türkischen Gemeinde, soll der Krimi gar nicht gesendet werden. Geht's noch?

Der "Tatort" fegt die Straßen nicht unbedingt leer: Im Gegenteil. Zuleletzt demonstrierten 20.000 Aleviten in Köln gegen den NDR-Tatort "Wem Ehre gebührt" Bild: ap

Hinweis: Folgende Zeilen enthalten Material, das die Gefühle von Deutschen verschiedenster regionaler Herkunft verletzen könnte.

Was ist der Unterschied zwischen Menschen mit ostdeutschem, brandenburgischem Hintergrund und Menschen mit türkischem?

"Tatort"-Protest

Am 23. Dezember 2007 strahlte die ARD den "Tatort" "Wem Ehre gebührt" aus. Im Vorfeld versuchte die Alevitische Gemeinde Deutschland, die Ausstrahlung zu verhindern, weil der Film ein Inzestklischee bediene, unter dem sie seit der osmanischen Zeit leiden. Ohne Erfolg: Der NDR berief sich auf die Pressefreiheit. Kurz nach Weihnachten erstatteten alevitische Verbände Strafanzeige wegen Volksverhetzung. Drehbuchautorin und Regisseurin Angelina Maccarone entschuldigte sich daraufhin. Trotzdem demonstrierten rund 20.000 Aleviten gegen den "Tatort" in Köln.

Ostdeutsche lassen sich sogar zweimal in kürzerem Abstand als provinzielles, kriminelles Völkchen von Denunzianten, Sexualmördern und Pädophilen darstellen. Und niemand wehrt sich. Und kein Kurt Beck kommt ihnen wahlkämpferisch zu Hilfe. Und kein öffentlich-rechtlicher Sender sorgt dafür, dass diese Art der Darstellung in Fernsehkrimis nicht mehr die Gefühle Ostdeutscher verletzen könnte, weil Ausstrahlungstermine ungünstig geplant wurden, da doch gerade erst ein Sexualdelikt eine Familientragödie ausgelöst hat.

Türkisch-Deutsche marschieren nicht nur in Köln auf - in bester demokratischer Demo-Kultur - sondern begrüßen in bester Lobbyarbeit die Verschiebung eines Fernsehkrimis, in dem die Geschichte eines repressiven, patriarchalen Familiensystems problematisiert wird. Weil dann immer noch mehr geht, fordern sie einen Tag später, dass der zuständige Intendant "die Folge direkt in die Schubladen tun und vergessen" solle (stellvertretender Vorsitzender der Türkischen Gemeinde), wenn sie schon die Gefühle von Deutsch-Türken verletze.

Ein schlechter Witz?

Leider nicht. Der SWR hat die für diesen Sonntag geplante Ausstrahlung des Ludwighafener Tatorts "Schatten der Angst" auf den 6. April verschoben. Der Anlass: Ein Brand mit neun Toten in einem von Türken bewohnten Haus in Ludwigshafen. Die Hintergründe des Brandes: bisher ungeklärt. Die offizielle Begründung für die Verschiebung: Rücksichtnahme auf die Trauergemeinde, deren Gefühle man nicht verletzen wolle. Die Geschichte des Krimis: Ein Mord an einem türkischen Imbissbesitzer, der eine Ehe führte, die unter dem Schlagwort "Zwangsehe" seit geraumer Zeit in der wirklichen gesellschaftlichen Welt, draußen vor dem Fernseher heftig debattiert wird.

Alles klar?

Irgendwie doch nicht. Vielleicht schafft die Erinnerung an eine eigentlich selbstverständliche Differenzierung mehr Klarheit: Ein TV-Krimi verhandelt bei aller Realitätsnähe eine fiktive Geschichte. Ein Krimi, insbesondere die für ihre gesellschaftliche Relevanz zahlreich preisgekrönte ARD-Reihe "Tatort", verhandelt Themen unterhaltsam, aber nicht haltungslos, mitunter sozial-kritisch. Dies gilt auch für jene Krimis, die im deutsch-türkischen Milieu spielen.

Wenn nun Aleviten ein Problem mit einem Fernsehkrimi haben, weil er eine Inzest-Geschichte erzählt, sie das jedoch als Klischee empfinden, mit dem sie bereits zu osmanischen Zeiten diskriminiert wurden, bleibt es ihr gutes Recht, zu demonstrieren (siehe Kasten). Muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Programm davon bestimmen lassen? Bisher dachte man: Nein. Wie es aussieht, hat sich das geändert.

Im Fall des Ludwighafener Tatorts mit der ansonsten nicht weiter aufregenden Kommissarin Lena Odenthal führt dies unmittelbar dazu, dass die Türkische Gemeinde (TGD) die Gelegenheit nutzt, einen vermeintlichen medialen Trend zu kritisieren: Menschen mit Migrationshintergrund "vermehrt mit kriminellen, klischee- und vorurteilbehafteten Themen in Zusammenhang" zu bringen, so Seref Erkayhan, stellvertretender TGD-Bundesvorsitzender. Preisgekrönte Serien wie "Türkisch für Anfänger", ebenfalls ARD, die differenziert und unterhaltsam auch vor Themen wie Zwangsehe nicht zurückschrecken, zählen nicht.

Während Odenthal-Darstellerin Ulrike Folkerts über Bild mitteilen lässt, dass sie mit der Absetzungsentscheidung "zufrieden" sei, haben andere ihrer Tatort-Kollegen damit durchaus ihre Probleme. Zum Beispiel Dietmar Bär vom Kölner Ermittler-Team, der sich fragt: " Was hat so ein Brand mit einem Tatort zu tun, der mit einem sehr langen Vorlauf produziert wird?" Ganz zu schweigen von der Rolle des Wahlkämpfers Kurt Beck, der die Nicht-Ausstrahlung gefordert hatte, die bei Bär auf Unverständnis stößt. "Hat er die Folge denn gesehen? Wenn ich einen Film absetzen will, sollte ich ihn schon gesehen haben." Neben politischen Interessen vermutet Bär hinter der Absetzung einen anderen Grund: "Die Leute haben Schuldgefühle, weil sie 30 Jahre Realität verschlafen haben," sagte er der taz. "Aber wo soll das denn hinführen?"

Andere Kollegen, die nicht namentlich in der Debatte genannt werden wollen, ahnen auf Nachfrage der taz, wohin: "In ein einziges politisches Korsett", in das sich das Fernsehen in seiner Meinungsführerschaft zwänge.

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11 Kommentare

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  • D
    Dirk

    Mir hat der Artikel auch aus der Seele gesprochen! Die Verschiebung ist feige und pure Heuchelei.

    Ich stehe politisch auch eher links, aber das heißt für mich nicht, daß problematische Verhältnisse in Familien etc. im türkischen Milieu ein Tabuthema sind.

     

    Ich finde es grundsätzlich sehr problematisch für unsere Demokratie, wenn Sendungen aus opportunistischen Gründen verschoben oder gar nicht gesendet werden. Das ist ein völlig falsches Signal. Ich hoffe, daß dieses schlechte Beispiel keine Schule macht.

  • KP
    Karl Peter Bremer

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    stimme mit dem Artikel völlig überein und hatte mir schon vorher folgende Meinung gebildet:

    Es hätten 10 deutsche Krankenhäuser abbrennen können, mit deutschem Mann und deutscher Maus, der Tatort mit den Spitzbuben im Ärzte-und Krankenhaus-Milieu wäre gesendet worden! Wäre auch richtig so, denn unter deutschen Ärzten ist Mord und Totschlag allemal stärker verbreitet, als unter unseren deutschen Mitbürgern mit Migrationshintergrund!

    Mit freundlichen Grüßen

    Karl Peter Bremer

    (Strausberg)

  • G
    Gerd

    In keiner anderen Zeitung habe ich einen Artikel über die Tatort-Absetzung gefunden, der mir so aus der Seele spricht wie dieser!

  • T
    thedark

    Achja, wer den Tatort trotzdem gerne sehen möchte kann ihn um 22:15 auf ORF ansehen. Nur mal nebenbei für Interessierte.

  • FL
    Florian L.

    Der linksliberale Bürgermob beteiligt sich munter am Treten nach unten und inszeniert sich dabei noch als mutigen Tabubrecher. Konformistische Rebellion strikes back from Bioladen.

    Vielleicht verschafft ihnen eine eigentlich selbstverständliche Differenzierung mehr Klarheit: Der Unterschied zwischen Menschen mit ostdeutschem, brandenburgischem Hintergrund und Menschen mit türkischem, verehrte Frau Lang, ist, dass türkische Menschen von blutsdeutschen linksliberalen taz-Redaktuerinnen als eine homogene Gruppe imaginiert werden, die in ihrer Gesamtheit von stellvertretenden Vorsitzenden irgendwelcher Vereine, die auch irgendwie türkisch sind repräsentiert werden könnten. Bei Brandenburgern ist das in der mehrheitsdeutschen Öffentlichkeit, anders als sie suggerieren, offensichtlich nicht der Fall.

    Bei aller Realitätsnähe eine fiktive Geschichte verhandelt übrigens auch Artur Dinters "Sünde wider das Blut", falls sie an mitunter sozial-kritischen Themen interessiert sind.

  • A
    Alster

    Ist Europa-, insbesondere Deutschland,bald eine

    Marionette der Türken? Sollte das hier einreißen

    werde ich keine Fernsehgebühren mehr bezahlen, an

    Sender, die sich in ihrer Meinungsfreiheit manipulieren lassen.

  • TA
    Turgut Aslan

    Ein türkischstämmiger Journalist bei einer deutschen Tageszeitung hat neulich bemerkt, dass die Grenze der Presse- und Meinungsfreiheit dort ist, wo der Straftatbestand der "Volksverhetzung" vorliegt. 1993 wurden in Sivas (in der Türkei) 37 Menschen in einem Hotel verbrannt, weil sie Aleviten waren und dort angeblich "Inzest" betrieben haben. Wenn nun durch die "Tatort" Sendung es zu einem Anschlag auf Aleviten kommt, wer trägt dann die Verantwortung? Tatort? Diesmal nicht fiktiv, sondern real?! In Ludwigsburg sind die neun Opfer allesamt Aleviten! Wenn es ein politisch motivierter Anschlag war (die Ursache des Brandes ist bisher unklar), könnte es ein fanatischer Sunnit genauso sein wie ein Neo-Nazi! Deswegen appeliere ich an die Medien, bei Inhalten, die volksverhetzerisch sind, Zurückhaltung zu üben!

  • E
    ECNEBI

    Als Schindler´s Liste im Fernsehen Lief, hatten sich die Produzenten und die Sender Drauf geeignet, während der Werbeunterbrechung des Films keine Seifen Werbung oder ähnlichem zu zeigen.

     

     

    Warum ist es Gleich anmassend dies in dem Fall des Tatorts zu tun.

     

    Kann man in der Woche wo so viele Türken im einem Brand zu tote kamen einen Tatort zeigen worin Türken morden und das zudem im Selben Ort!

     

    Nein finde ich.... wie im Falle des Schindler´s Liste abkommens geht es auch mit ein wenig Pietät ein Zeichen zu setzen.

     

     

    Bis die Balance zwischen dem Positivem wie Negativem Bild der Türken in den Medien ausgewogener, ist müssen sich Meinung´s und Kunstfreiheit´s Verteidiger abfinden, das manchmal BÖSE TÜRKEN KRIMES sauer aufstossen können.

    Ohne sofort die Demokratie in Gefahr zu bringen.

  • CD
    Can Duman

    Aber Hallo ! Selbstverständlich ist zwischen Fiktion und Dokumentation zu unterscheiden. Hier geht es nicht um Empfindlichkeiten. Es ist eine Frage der Pietät; unabhängig davon, was die Brandursache war. Ein Brandanschlag ist bis heute nicht auszuschliessen. Dieser Tatort spielt in Ludwigshafen. Noch vor zwei Tagen hatten wir Sorge, dass die Emotionen überschwappen. Hier ist der öffentlich rechtliche Sender seiner Veranwortung nachgekommen, was ich sehr begrüsse. Es ist nicht mit dem Tatort aus dem Dezember vergleichbar. Die verletzten Gefühle der Aleviten wurden von Funktionären in die Community hineingetragen (siehe Off. Brief von Lale Akgün). Nur die wenigsten Tatort-Zuschauer und Zeitungsleser kannten vorher dieses hässliche Vorurteil. Das sind die gleichen Funktionäre, die auf dem Rücken der Opfer jetzt in Ludwigshafen ihr durchsichtig unmenschliches Spiel treiben.

     

    Es ist anzunehmen, dass sogar die privaten Sender nach dem Amoklauf von Erfurt kein Tatort mit jugendlichen Mördern aus Erfurt gezeigt hätten, zumindest nicht, solange die Opfer nicht begraben wurden. Von der aufgeheizten Stimmung in Ludwigshafen bis vor zwei Tagen ganz zu schweigen. Die künstlerische Freiheit und Presse-Freiheit muss sich dann kurz zurücknehmen, wenn der Schaden für das Gemeinwohl womöglich unübersehbar und masslos grösser ist, als der Nutzen, den sich die Künstler vorher ausgemalt haben. Es kann ja nicht um der Präsentations- und Vollendungswillen gehen. Selbstverständlich war dieser Tatort und der Sendeplatz etliche Monate vorab gesetzt und der Film abgedreht worden. Dieser Tausch auf den April wird weder den Künstlern noch deren Freiheit schaden. Aber eine Freiheit, die keine Rücksicht auf die gesellschaftliche Entwicklung nimmt und nur sich selbst wegen gewährt wird, wird nach verantwortungsloser Anwendung sich selbst durch zukünftige Einschränkung schaden. In disem Fall hat nach Aussage des Intendanten der Sender selbst sich eingeschränkt und sich der belehrung durch Politik verwehrt. Was gibt`s hier noch zu kritisieren?

    Der stellvertretende Vorsitzende des Vereins namens "Türkische Gemeinde Deutschland" kann ebend nur für diesen Verein sprechen. Wenn man schon Mandatslose sprechen lassen möchte, sollte man doch eher Redakteure, Medienmacher türkischer Herkunft zu Wort kommen lassen, die man ab und an auch bei der ARD-Sendern antrifft.

  • H
    Hafize

    Ich denke, dass Susanne Lang provozieren will. Aber was sie hier relativ unverholen schreibt, ist, dass sie keine Lust hat, sich die demokratische Gesellschaft mit irgendwelchen Fremden zu teilen. Und die Aleviten haben diesen Tatort nicht abgesetzt. Aleviten haben in Deutschland nicht ein einziges Mal öffentlich Kultur unterbunden oder verhindert.

    Nennen wir die Sache doch mal beim Namen: Vor Kurzem tauchten in Internetforen unverholen die Forderung auf, Türken und Ausländern eine Sonderbehandlung zukommen zu lassen. Wahlweise könnten sie ja auch im Sonderzug weggebracht werden. Ich bin ziemlich erschüttert, wie sich dieses Land entwickelt.

    Und nun fängt das bei der taz an. Unsachlich, daneben in der Linie und verquer. Susanne Lang produziert hier indirekt ein Feindbild, dass lächerlich und dennoch gefährlich ist. Das Feindbild des macho-intoleranten Aleviten, der hier Necla Kelek grillt und den Deutschen auf die Pelle rückt. Nur das es nicht stimmt.

    Rückt jetzt der idealisierte Türke mit seinem Döner und seinen Tomaten der Taz-Redakteurin zu sehr auf den Leib? - oder enttarnt sich ein Stück linke-liberale Presse als intoleranter, verbohrter Haufen? Versteckt sich hier die welt, die faz oder gar ... hinter wohlgefeilten Wörtern die Intoleranz? Der Ausländer ist nur solange lieb, wie er dem Linken was vorgrillt, in verschimmelten Wohnungen lebt und ne Beratungsstelle aufsucht? Warum hat der Ausländer jetzt eine eigene Meinung und sagt die auch noch? Boykoytiert er jetzt verdiente und toll integrierte Regisseur wie Maccarone oder vorbildliche Feministinnen wie Necla Kelek?

    Mayday Mayday - taz come back to airport for inspection.

  • MV
    Michael Vogt

    Trifft den Punkt haargenau! Vielen Dank für ihren kritischen Beitrag, Frau Lang!

    Ich muß gestehen, das es der erste Artikel in der taz ist der meine vollste Zustimmung findet.

    mfG M. Vogt