Integration: Ultimatum abgelehnt
Vor dem Integrationsgipfel eskaliert der Streit zwischen türkischen Verbänden und Regierung.
Alles sollte so schön werden: Auf dem zweiten Integrationsgipfel im Kanzleramt präsentiert Angela Merkel einen "Nationalen Integrationsplan", demonstriert Einigkeit mit den Migranten und dann lächeln alle gemeinsam in die Kameras. Doch derzeit deutet vieles darauf hin, dass zumindest drei Herren und eine Dame bei diesem Gruppenfoto fehlen werden.
Nichts weniger als die "Integrationspolitik in Deutschland auf eine neue Grundlage" stellen soll der "nationalen Integrationsplan", den Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Gipfel am morgigen Donnerstag präsentieren will. Dieser Plan sieht rund 400 Maßnahmen vor, zu denen sich Bund, Länder, Kommunen und Verbände verpflichten möchten.
Seit dem ersten Integrationsgipfel vom Juli vorigen Jahres haben zehn Arbeitsgruppen mit Teilnehmern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft jeweils unter Leitung eines Bundesministeriums Vorschläge für eine bessere Integration zusammengetragen. So sollen die Integrationskurse verbessert, der Erwerb der deutschen Sprache von Kind an gefördert, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessert und die Gleichberechtigung von Frauen verwirklicht werden. Kritiker bemängeln, dass der Integrationsplan zu vage gehalten sei.
Die Vorsitzenden der größten türkischen Verbände sind darüber verärgert, dass die Regierung auf ihre Boykottdrohung unnachgiebig reagiert. Die Forderung der Verbände, das gerade beschlossene Zuwanderungsgesetz doch noch zu ändern, wurde rigoros abgelehnt.
Aber der Reihe nach: Gestern traten Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), und Ahmet Ünalan vom Rat der Türkischen Staatsbürger vor die Bundespressekonferenz. Dort verkündeten sie offiziell, was die taz schon am Tag zuvor erfahren hatte: Vier türkische Verbände, darunter auch die einflussreiche türkisch-islamische Ditib und die Föderation der türkischen Elternvereine, machen ihre Teilnahme am Gipfel davon abhängig, dass die Kanzlerin Änderungen am Zuwanderungsgesetz verspricht. "Wir brauchen eine eindeutige Zusage", sagte Kolat. "Dann nehmen wir auch am Gipfel teil."
Doch allen Änderungswünsche wies die Bundesregierung umgehend zurück. "Dieses Gesetz wird nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten in Kraft treten", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg der taz. Unabhängig davon habe die Einladung zum Integrationsgipfel natürlich unverändert Bestand. Maria Böhmer (CDU), die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, forderte gestern die türkischen Verbände zur Fortsetzung des Dialogs auf. Selbstverständlich könne beim Integrationsgipfel über das Zuwanderungsgesetz gesprochen werden. Von Änderungen am Gesetz sprach sie allerdings auch nicht.
"Wenn das so ist, bleibt für uns kein Spielraum mehr", sagte wiederum der TGD-Vorsitzende Kolat der taz. "Das bedeutet, dass unsere Anregungen ignoriert werden", meinte auch der Dialogbeauftragte der Ditib, Bekir Alboga. "Wie sollen wir dann am Gipfel teilnehmen?" Endgültig absagen aber wollten beide gestern noch immer nicht. Am Abend werde man über das weitere Vorgehen beraten.
Die Entscheidung fällt den beiden auch deshalb so schwer, weil sie den Gipfel selbst wertschätzen. Kolat wertet es noch immer als Erfolg, dass die Bundesregierung dort "auf gleicher Augenhöhe" mit den Vertretern der Migranten spreche, Alboga lobt die sachliche Diskussion in den Arbeitsgruppen. Doch der Unmut über die Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes in der türkischen Community und der in Deutschland erscheinenden türkischen Presse ist groß - und der setzt die Führungsriege der Verbände unter Druck. Besonders empört sind die türkischen Migranten über die Verschärfungen bei den Einbürgerungen und beim Familiennachzug, die nicht für alle Zuwanderer gelten. Ehepartner aus Ländern wie den USA oder Japan sind von einigen der Verschärfungen ausgenommen. "Dieses Gesetz beinhaltet Ausgrenzung und Ungleichbehandlung", sagte Kolat.
Nicht alle türkischstämmigen TeilnehmerInnen des Integrationsgipfels unterstützen das Vorgehen der Verbände. "Ich teile die Kritik", sagte Havva Engin, Professorin für Sprachförderung an der Pädagogische Hochschule Karlsruhe, der taz. "Aber man sollte sie beim Gipfel vorbringen." Auch die Rechtsanwältin Seyran Ates kritisierte den drohenden Boykott: Dies sei "der typische Rassismus-Reflex, in den viele Verbände zurückfallen, wenn es um staatliches Handeln in Zuwanderungsfragen geht", sagte sie dem Tagesspiegel.
Politische Unterstützung bekommen die deutsch-türkischen Verbände dagegen von der Opposition. Nach Kolat appellierte gestern auch Petra Pau (Die Linke) an Bundespräsident Horst Köhler, das Zuwanderungsgesetz nicht zu unterschreiben. Dessen Sprecher wollte sich zum Thema nicht äußern. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte: "Es bestehen erhebliche Bedenken, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist."
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