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Inszenierte Abwehr?

■ betr.: „Goldhagen im Internet“, taz vom 16. 7. 96, Leserinnenbrief: „Abwehr und Verdrängung“, taz vom 29. 7. 96

Daß die Thesen Daniel Goldhagens emotionale Reaktionen hervorrufen werden, war vorauszusehen. Die Ausführungen im Leserbrief von Hedda Jungfer sind für mich leider ein Indiz dafür, daß die Gefahr einer gesinnungsethischen Aufteilung der Standpunkte zu diesem Thema durchaus gegeben ist.

Bezeichnend finde ich es, daß Frau Jungfer sich mit den konkreten Belegen, die ich dafür gebracht habe, daß nicht nur die deutsche, sondern auch die internationale Fachdiskussion die Thesen Goldhagens äußerst kritisch behandelt, gar nicht befaßt. Würde ich mich der in ihrem Brief verwendeten psychologisierenden Argumentationsweise selber bedienen wollen, so müßte ich fragen, ob dieses Verhalten nicht selbst als Abwehrstrategie zu deuten wäre.

Dabei gibt Frau Jungfer die Argumentation Goldhagens in einem wesentlichen Punkt falsch wider. Ihm geht es um die Verinnerlichung einer antisemitischen politischen Kultur durch die deutschen Täter der Shoah; als „Kollektivwahn“ bezeichnet er diesen Prozeß nicht, eben weil er die „Normalität“ der Täter nachweisen will. In dieser pathologisierenden Wortwahl erblicke ich eine Sehnsucht nach einfachen Antworten auf schwierige, unter die Haut gehende Fragen. Eine solche Sehnsucht ist sehr verständlich, aber ich halte diese Flucht in die Vereinfachung für problematisch. Daraus könnte sich auch ungewollt eine nochmalige Verharmlosung der Shoah entwickeln. Worte wie „Kollektivwahn“ suggerieren eine besondere Situation, in der sonst „normale“ Menschen mit einer Krankheit „infiziert“ wurden. Ein solcher Wortgebrauch distanziert die Menschen von damals von uns auf eine für mich viel zu bequeme Art und Weise.

Zum emotional-vereinfachenden Ton paßt es auch, daß Frau Jungfer den von ihr zu Recht geforderten „aufklärerischen Umgang“ mit diesem Thema mit der Verbreitung der Haltung gleichsetzt, die mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen übereinstimmen. Offenbar kann ihrer Meinung nach die Darstellung einer Debatte als Debatte in ihrer außerordentlichen Vertracktheit und Kompliziertheit nur als inszenierte Kampagne zur Leugnung „der Wahrheit“ verstanden werden. Ich werde sehr aufmerksam, wenn die Forderung nach „Aufklärung“ in einem derart pädagogisch-moralisierenden Gewand daherkommt. Durch mehrfache, sowohl in Amerika als auch in Deutschland gemachte Erfahrungen habe ich gelernt, eine solche Haltung als Zeichen mangelnder Liberalität zu deuten, ganz egal, von welcher Seite des politischen Spektrums sie eingenommen wird. Aufklärung heißt für mich jedenfalls nicht, nur einen Standpunkt einer Kontroverse als „die Wahrheit“ dogmatisch durchzusetzen.

Es wäre sicherlich zu begrüßen, wenn das Buch von Daniel Goldhagen nicht nur ein „Kind von Nazi-Eltern“ dazu veranlassen würde, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Auch wenn das Buch eine derart nützliche Wirkung haben mag, bedeutet dies aber noch lange nicht, daß dessen Argumente sachlich richtig und überzeugend sind. Mich überzeugen sie jedenfalls nicht, und zwar aus den Gründen, die ich im Text genannt habe: Ohne Vergleiche kann Einzigartiges nicht erklärt werden; und extreme Taten müssen nicht die Folgen extremer Ideologien sein. Diese inhaltliche Kritik als Verdrängung oder Abwehr zu stilisieren, setzt ein Weltbild voraus, das nur Freunde und Feinde, aber keine Ambiguitäten kennt. [...] Mitchel G. Ash, Berlin

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