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Institutsleiter Renn über Risikoforschung„Stammtisch kann jeder“

Forschen und das Erfahrungswissen der Zivilgesellschaft einbeziehen: Das sieht Ortwin Renn, neuer Chef des Potsdamer IASS, als Alleinstellungsmerkmal des Instituts.

Der Klimawandel wird auch die Nordsee noch rauer machen Foto: dpa
Heike Holdinghausen
Interview von Heike Holdinghausen

taz: Herr Renn, Sie kommen als Techniksoziologe und Risikoforscher der Uni Stuttgart an das Potsdamer Institute for Advanced Sustainibility Studies. Wo treffen sich Nachhaltigkeits- und Risikoforschung?

Ortwin Renn: Sie treffen sich automatisch. Wie wir mit Risiken heute und in Zukunft um­gehen, ist direkt nachhaltigkeits­relevant. Wir haben am IASS mit den Themen Klimawandel oder Climate Engineering schon jetzt Schnittmengen aus der Risiko- und Nachhaltigkeitsforschung.

Wollen Sie die Risikoforschung stärken?

Ja, denn Risikoforschung als Querschnittsthema ist ein gutes Verbindungsglied zwischen verschiedenen Themengebieten. Wir wollen die Forschung am Institut neu organisieren. In der Vergangenheit arbeiteten unsere Wissenschaftler in drei thematischen Clustern, künftig wollen wir eine Matrix etablieren, ein Netzwerkmodell, darin können die unterschiedlichen Disziplinen und Forschungstraditionen, aber auch bislang getrennte Themenbereiche enger zusammenarbeiten. Ein Thema wie „Energiewende“ kann dann ganzheitlich im Kontext von Emissionen, Luftverschmutzung und Klimawandel bearbeitet werden.

Welche Themen werden das sein?

Wir sind gerade in einem Findungsprozess, dabei sind für uns die Vorschläge und Präferenzen der Mitarbeiter sehr wichtig. Einiges hat sich schon herauskristallisiert, Energie, Luftverschmutzung, Climate Engineering und Governance, also die politischen Entscheidungsprozesse, werden sicherlich dabei sein. Zurzeit sind viele gute Vorschläge im Gespräch, aber wir können natürlich nicht alles machen.

Wie wollen Sie das IASS gegen die etablierten Potsdamer Einrichtungen zur Umwelt- und Klimaforschung profilieren?

Bild: dpa
Im Interview: Ortwin Renn

64, ist seit 1. Februar wissenschaftlicher Direktor am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Zurzeit forschen und arbeiten rund 120 Mitarbeiter an dem Institut, das vom Bund und vom Land Brandenburg finanziert wird; zwischen 2017 und 2021 sind rund 40,5 Millionen Euro vorgesehen. Der renommierte Risikoforscher Renn bleibt seinem vorherigen Arbeitgeber, der Universität Stuttgart, als beurlaubter Professor für Umwelt- und Techniksoziologie verbunden.

Wir sehen uns als Netzwerkknoten und Plattform, die nicht nur wissenschaftliche Expertise bietet, sondern auch Erfahrungswissen einbezieht. Wir bringen Wissen aus unterschiedlichen Quellen, wissenschaftlichen, zivilgesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen zusammen und verdichten es zu zielgerechtem Handlungswissen. Das machen andere nicht, das ist unser Alleinstellungsmerkmal.

Der einflussreiche Wissenschaftsrat hat die Arbeit des IASS vor zwei Jahren sehr kritisch beurteilt und mehr Profilbildung gefordert. Wie wollen Sie das anstellen?

Also, der Wissenschaftsrat hat viel Positives gesagt, natürlich auch konstruktive Kritik geübt. Die uns gestellte Aufgabe ist schwierig: Wir verfolgen einen ganz neuen Ansatz, in dem wir etwa Wissenschaft, Politikgestaltung und die Partizipation der Zivilgesellschaft verzahnen. Der Wissenschaftsrat hat uns überwiegend nach den Maßstäben klassischer Wissenschaftsinstitutionen, also der Anzahl von Peer-Review-Veröffentlichungen, Ehrenprofessuren, Drittmitteln und so weiter beurteilt. Diesem Anspruch können wir nicht im gleichen Maße gerecht werden wie etwa eine Universität. Wir vertreten ein neues dialogorientiertes Wissenschaftsverständnis . Allerdings ist auch klar: Wir müssen und wollen qualitativ hochwertige Wissenschaft leisten.

Der Wissenschaftsrat hat mehr „Grundlagenforschung für Transformation“ vorgeschlagen. Was heißt das?

Transformationsprozesse sind immer bockig, zum Teil schmerzhaft. Das ist bei der Energiewende so, das wird bei der Integration von Flüchtlingen so sein. Die Frage ist, ob wir aus verschiedenen Veränderungsprozessen lernen können, ob es Grundsätze gibt, die sich von einem Bereich auf den anderen übertragen lassen. Wie können Barrieren abgebaut werden, wie können Menschen, die den Transformationsprozess durchlaufen, ihn positiv erleben und mitgestalten? In dieser Transformationsforschung haben wir am IASS eine erfolgreiche Tradition, das wollen wir auch in Zukunft stärken. Was ich nicht mag, ist Gesinnungswissenschaft, auch wenn sie sich für etwas Gutes einsetzt. Es gibt auch in der Nachhaltigkeitsdebatte Glaubenssätze, die einer wissenschaftlichen Prüfung nicht standhalten. Interessengruppen dürfen Glaubenssätze vertreten, das ist ihre Aufgabe, unsere ist es nicht. Wir wollen Prozessbegleiter sein, Beschleuniger von sinnhaften Transformationsprozessen, nicht Partei ergreifen.

Heißt das, dass Sie sich etwa von einer von Umweltverbänden getragenen Institution wie der zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende, mit der Sie zusammenarbeiten, auch abgrenzen müssen?

Als Institut haben wir einen anderen Auftrag und damit auch andere Interessen. Wir müssen Wissen generieren und kritisch überprüfen, davon dürfen wir uns nicht entfernen.

Diesen Drang, sich gegenüber Partnern abzugrenzen, haben Wissenschaftler gegenüber der Industrie eher nicht …

Auftragsforschung ist in Ordnung, wenn sie als solche gekennzeichnet ist. Abgesehen davon haben es die Natur- und Technikwissenschaften da leichter als die Sozialwissenschaften. Wenn sie auf eine Technik bauen, die auf fehlerhaftem Wissen beruht, funktioniert es nicht, das sieht man dann sofort. Das ist bei den Sozialwissenschaften anders. Welches Wissen langfristig trägt, ist oft erst nach ausgiebiger Prüfung und akribischer Analyse zu entscheiden. Ideologie und Wissen sind hier oft schwer zu trennen. Es ist daher wichtig, Institutionen zu haben, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen und nicht der guten Tat. Gut gemeint reicht nicht!

Haben wir in Bezug auf Ressourcenübernutzung und Klimawandel denn überhaupt noch Erkenntnisprobleme? Es hapert doch vor allem an der Umsetzung …

Nein, es gibt auch im Bereich der Nachhaltigkeit kontra-intuitive Einsichten, da ist Wissenschaft weiterhin gefordert. Zum Beispiel ist die Forderung, man müsse für den Klimaschutz zunehmend Biomasse einsetzen, für die Umwelt verheerend. Oder der Ansatz, bevorzugt aus der Heimat zu konsumieren, um lange Transportwege zu vermeiden, ist für viele Produkte keineswegs nachhaltig. Sicherlich sind die Grundregeln der ökologischen Nachhaltigkeit bekannt. Der Weg dahin ist alles andere als offensichtlich. Da können gerade die Sozialwissenschaften als Prozessbegleiter helfen. Wissenschaft hat hier eine katalytische Aufgabe, also verschiedenen Interessengruppen zusammenzubringen, sie mit Wissen zu versorgen und den gemeinsamen Willensbildungsprozess kreativ zu befördern.

Sie befassen sich seit Langem mit der Frage nach bürgerschaftlicher Partizipation an politischen Entscheidungen, auch das IASS hat dem Papier nach hier einen Schwerpunkt. Wie wollen Sie den mit Leben füllen?

Partizipationsforschung bleibt ein zentraler Forschungsschwerpunkt. Unter anderem wollen wir Leitlinien erarbeiten, wie die Teilhabe der Zivilgesellschaft an Transformationsprozessen gestaltet werden kann. Das ist anspruchsvoll, denn häufig sind wir uns beim Ziel wie etwa der Energiewende einig, aber nicht bei der Strategie, um es zu erreichen.

Also geht es vielmehr um Akzeptanz?

Nein, wenn ich Akzeptanz von Prozessen will, muss ich Partizipation ausschließen. Partizipation setzt Offenheit von Optionen voraus: Eine Vorgabe könnte sein, zu 80 Prozent erneuerbare Energien einzusetzen, aber es den Kommunen freizustellen, mit welchen Optionen sie das Ziel erreichen wollen. Wenn ich von vornherein weiß, was richtig ist, muss ich das glaubwürdig kommunizieren, Es macht dann keinen Sinn, die Bürger in die Entscheidung einzubeziehen. Sonst wird es zur inszenierten Beteiligung. Wenn etwa das Windrad schon steht, muss ich nicht noch einen Partizipationsprozess starten und fragen, ob da jetzt Efeu oder Wein am Schaft ranken soll.

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