■ Kommentar: Instabile Lage
Als sich der rot-grüne Senat 1990 weigerte, Sonderleistungen von Erziehern tariflich anzuerkennen, ging ein Sturm der Entrüstung durch die Kitas. Doch trotz wochenlanger Streiks blieb die Regierungskoalition standhaft. Als die Große Koalition im Dezember 1992 das Kitakostenbeteiligungsgesetz verabschiedete, stieß dies wiederum auf die Ablehnung der Betroffenen. Der gezielte Druck bewirkte jedoch, was bislang kaum möglich schien: Das Gesetz wird von seinen Initiatoren ausgehebelt, bevor es in Kraft ist.
Das soziale Anliegen, das in beiden Fällen zu den Protesten der Betroffenen führte, ist gleichberechtigt. Daß es im damaligen Fall scheiterte, jetzt unter viel schwierigeren Rahmenbedingungen jedoch erfolgreich ist, sagt einiges über die Verfaßtheit der Großen Koalition. Der rot-grüne Senat begriff sich, auch gegenüber Teilen der AL, in seiner Gesamtheit als politischen Projekt, das Mehrheiten gesellschaftlich erringen mußte. Anders sein schwarz-roter Nachfolger. Während der Senat bei den Kitakosten noch seine restriktive Haushaltspolitik verficht, üben sich die ihn tragenden Fraktionspolitiker in dem, was sie immer tun, wenn ihre Stimme für die Regierungspolitik nicht erforderlich ist: Sie betreiben Lobbypolitik. Die Große Koalition erweist sich, gerade wegen ihrer Größe, als instabil. Die politischen Vorhaben, die sie zu ihrem Daseinszweck erklärten, entfalten noch nicht einmal nach innen eine Bindungswirkung. Warum sollen sie folglich außerhalb ihrer Reihen jemanden fesseln – außer die jeweiligen Lobbyisten? Dieter Rulff
Bericht auf Seite 22
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